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Heißes Stück, heiß gespielt

■ Sex und Schuld und Opfertod: Konstanze Lauterbach inszeniert in rundum überzeugender Manier Arthur Millers „Hexenjagd“ am Bremer Theater

„Ich mußte an die alte Theaterweisheit denken, daß ein Stück in Puritanerkostümen noch nie ein Hit war“, schreibt Arthur Miller in seiner Autobiographie. Dennoch wurde es ein Hit, avancierte zu seinem meistgespielten Stück. Regisseurin Konstanze Lauterbach, zusätzlich für die Kostüme verantwortlich, verzichtet auf Puritanerfummel. Die Zeitlosigkeit des Stoffes unterstreichend, verwendet sie Kleider als Symbole, Andeutungen; eine Zuordnung zu einer Epoche oder gar einem Jahrzehnt ist nicht möglich, nur soviel steht fest: Alles ist etwas moderner geworden.

Der Plot bleibt der gleiche, ob 1692, 1953 oder 1999: Farmer John Proctor betrügt Ehefrau Elizabeth mit Hausmädchen Abigail, Eliza-beth feuert Abigail, Abigail bezichtigt Elizabeth der Hexerei, Eliza-beth soll verurteilt werden; John nimmt, um Elizabeth zu retten, das Verbrechen der Hexerei auf sich, zerreißt das Geständnis jedoch in letzter Minute und besiegelt so sein eigenes Todesurteil, beendet durch diesen märtyrerhaften Akt die Hexenjagd. Die menschlichen Tragödien um Schuld, Lüge und Sexualität spielen sich in den Zwischenräumen des Plots ab – und diese Zwischenräume macht Lauterbach mit ihrer Inszenierung sichtbar.

Nicht nur die Kleidung ist Symbol, sondern vor allem die darinsteckenden Körper. Untertöne von Sexualität? – Untertreibung! Mit psychoanalytischem Blick wird gezeigt, was in den Köpfen der Personen vorgeht; es wird getatscht und gefummelt, umklammert, gerungen und (trocken) kopuliert. Schonungslos werden Leidenschaften offengelegt und ausagiert, die in traditionellen Inszenierungen mitgedacht werden müssen. Da gibt es keine kleinen Gesten, keine kleinen Gefühle – es scheint, daß Lauterbach ihr Ensemble an einen Verstärker angeschlossen hat, alle gehen 100 Prozent. So bekommt die Bühnenszenerie etwas traumhaft Alptraumartiges; nichts Entrücktes, sondern im Gegenteil etwas sehr Konkretes: Die Konkretheit der Gefühle nämlich, die mit oftmals schmerzender Konsequenz vor dem Publikum ausgebreitet werden. Die Nerven liegen bloß.

Das Bühnenbild Helmut Stürmers bietet die Projektionsfläche, auf der Lauterbachs Körpersymbolik funktioniert. Der gesamte Bühnenraum ist mit roten Ziegelsteinen gepflastert, die ihn umgebenden Kulissen sind einfach und funktional: eine Rampe, mehrere Türen, ausklappbare Sitzflächen an den Wänden – das war's. Einen solchen großen Raum muß man beherrschen können, man muß ihn je nach Bedarf mit schauspielerischen Mitteln erweitern oder verengen können – was, ich sage es gleich dazu, durchweg gelingt.

Das Hausmädchen Abigail, Anführerin der Verschwörerinnen-Clique, wird von Anika Mauer gespielt, einer 23jährigen Neuentdeckung, frisch von der Berliner Schauspielschule. Mauer hat Präsenz, füllt den großen Raum souverän aus – zudem spielt sie mit vollem Einsatz und vollführt akrobatische Stunts, die schon beim Zuschauen wehtun. Ob das Bühnen-adrenalin wohl schmerzunempfindlich macht? Einfach mal Abigail fragen. Der volle Einsatz darf aber auch dem restlichen Ensemble bescheinigt werden. Ob Peter Pagel, der trotz seiner tragischen Rolle als John Proctor auch für humoristische Elemente zuständig ist, ob Gabriela Maria Schmeide als Mary Warren, ob Irene Kleinschmidt als Elizabeth Proctor oder Fabian Gerhardt als Reverend Hale – sie alle wissen zu überzeugen.

Dann ist da noch der „Mann an der Säge“. Das Kreissägengeräusch, ein inquisitorischer Ton, der sich in die Gehörgänge fräst, durchzieht die Inszenierung als wiederkehrendes Thema, akustische Analogie zu den Gemütszuständen in den Köpfen der Handelnden; im wahrsten Sinne des Wortes eine Nervensäge. Und eine gute Idee. Genau wie der Einfall, die Adaptionen von Metallica-Titeln auf klassischen Streichinstrumenten des skandinavischen Quartetts „Apocalyptica“ zur Illustration zu verwenden. Sinnigerweise heißt die Platte „Inquisition Symphony“. Von dieser Musik unterlegt, entfalten die sparsam eingeschobenen pantomimischen Traumbilder eine ungeheure poetische Kraft.

Konstanze Lauterbach und ihrem Ensemble ist eine rundum überzeugende Inszenierung eines zeitlosen Stoffes gelungen. Spekulationen, warum „Hexenjagd“ ausgerechnet auf dem Höhepunkt des Amtsenthebungsverfahrens gegen Clinton gespielt wird, werden dem Stück nicht gerecht. Sicherlich hatte der Text 1953, auf dem Höhepunkt der amerikanischen Kommunistenhatz, größere politische Brisanz. Aber seine Stärke liegt, wie bei den griechischen Tragödien, in seiner Universalität. Miller beobachtete bereits 1965, also zwölf Jahre nach der Uraufführung: „Losgelöst von seinen Wurzeln war das Stück Kunst geworden, einfach ein Schauspiel menschlicher Leidenschaften.“

Tim Ingold

Weitere Aufführungen: , 9., 14., 21., 26. Februar um 20.00 Uhr

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