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Heiße Liebe und inbrünstiger Haß

■ Der „Mythos Schalke“ ärgert viele Ruhrgebietler/ Unser Autor, ein eingefleischter VfL Bochum-Fan, fordert „Schluß mit Schalke“ und empfiehlt Ruhr-Ethnographen den MSV Duisburg als Alternative

Bochum (taz) — Mehr als 220.000 Zuschauer in den ersten vier Spielen im Parkstadion. Hysterie in Blau und Weiß — Schalke 04 ist wieder da! Und sofort läuft im Windschatten des königsblauen Taumels das kollektive Mediengestammel auf Hochtouren. Vom „Phänomen Schalke“ ist mindestens die Rede, der „Mythos Königsblau“ ist es auch gerne, und alles wird sowieso als „unerklärlich“ erklärt. So delirieren die Medienschaffenden in Schreibmaschinen und Mikrofone hinein und mengen eifrig ihre Phantasien unter. Halten sie Schalke doch für die deutlichste Erscheinungsform von Ruhrgebiet — gleich nach dem Förderturm.

Die „Knappen“, das riecht auch 50 Jahre, nachdem der letzte Schalker Spieler ein Flöz aus der Nähe gesehen hat, immer noch nach Kohle. Prima proletarisch ist das, was man natürlich vor allem im „auf Schalke“ eingebauten Grammatikfehler erkennt. Üppig mit solchem Unsinn versorgt, sind schon dreißig Kilometer hinter dem letzten neubegrünten Schlackenberg auch wohlmeinende Leute der Ansicht, daß diese Menschen tief im Westen den FC Schalke 04 wohl als fußballerischen Botschafter ihrer guten Sache sehen.

Dem ist nicht so und hohe Zeit, den Wahrheiten eine Gasse zu schlagen. „Auf Schalke“ sagen nur Zugereiste, die auf Second-Hand-Folklore setzen. Durch die Segnungen der sozialdemokratischen Bildungsreform können nämlich inzwischen selbst die Ureinwohner von Wanne- Eickel grammatikalisch korrekt ganze Sätze bilden. Auch mit den Proletariern ist das so 'ne Sache. Die Bildungsreform hat auch dort fürchterliche Lücken gerissen und der Strukturwandel ein übriges getan. Zechen, Kokereien und Stahlwerke werden gerade zu Museen umgebaut. Sozialromantiker und Freunde von Proletkult dürften sich in der kleinbürgerlichen C&A-Welt zwischen Duisburg und Dortmund sehr schwertun.

Steuern wir nach der Klärung erster Irrtümer direkt aufs Parkstadion zu, in dem das Ruhrgebiet sowieso in der Unterzahl ist. Schalke 04 ist nämlich vor allem die Mannschaft des Sauer-, Sieger- und Münsterlandes. Die Zahl der Schalke-Fans in Gelsenkirchen ist nicht größer als die von MSV-Anhängern in Duisburg. Das Hinterland macht's, und das ist ungefähr so groß wie „Deutschland in den Grenzen von 1937“ (Fan-Aufnäher). Der Schalke-Freund muß also oft einen weiten und entbehrungsreichen Weg zum Parkstadion auf sich nehmen, was seine Begeisterung besonders erhitzt. Für den auswärtigen Gast ist es daher sehr leicht möglich, sich eine Ohrfeige oder Übleres einzufangen, wenn er nicht bereit ist, ebenfalls der „Religion Schalke“ zu huldigen — oder gar die Gastmannschaft anfeuert.

Bemerkenswert ist dabei, daß selbst die Haupttribüne keine Schutzzone vor solchen Mißhelligkeiten ist. Selbst das schon bemerkenswert engstirnige und unfaire Publikum in Kaiserslautern ist dagegen als schon fast gemütlich und ausgeglichen zu bezeichnen. Auch das mag dazu beitragen, daß dem FC Schalke 04 im Ruhrgebiet neben anerkannt heißer Liebe auch inbrünstiger Haß entgegenschlägt.

Gegentoren von Schalke ist enthusiastischer Jubel in allen Stadien des Reviers sicher. Selbst an einem schlechten Tag der eigenen Elf reicht eine deftige Niederlage von Schalke 04 immer zu einer gewissen Seelentröstung. Die Abneigung geht so weit, daß Schalke noch nicht einmal auf dem Platz stehen muß, um heftig geschmäht zu werden. Beim Derby Bochum gegen Dortmund etwa sangen kürzlich die gegnerischen Fankurven vereint zur Titelmelodie von Flipper: „Schalke, Schalke — Zweite Liga. Oh ist das schön, euch nie mehr zu sehn!“ Und weil es in Fanherzen keine Verjährung gibt, hieß es danach gleich grob und unappetitlich: „FC Meineid, die Scheiße vom Revier.“

Es haben sich im Laufe der Jahre aber auch feinsinnigere Ausdrucksformen der Abneigungsbezeugung herausgebildet. Die unorganisierte, vereinsübergreifende „Keine-Mark- für-Schalke“-Bewegung weigert sich, ihre Mannschaft ins Parkstadion zu begleiten, um kein Eintrittsgeld in die Kasse von Schalke wandern zu lassen. Gar leicht religiöse Züge hat die Haltung, den Namen „Schalke“ mit einem Bann zu belegen und „von diesem Verein in Gelsenkirchen“ oder schlicht von den „Unaussprechlichen“ zu reden.

Wie konnte es zu dieser unerhörten Verhärtung der Positionen kommen? Schuld ist vor allem das oben schon erwähnte, jahrelang gebetsmühlenartig wiederholte Gerede und Geschreibsel, das die „auf Schalke“ in einem deutlichen Fall von Autosuggestion inzwischen schon selbst glauben. Und ganz besondere Schuld hat natürlich der ewige Protagonist und Dauerkronzeuge solcher Geschichten auf sich geladen: Charly Neumann. Das „Unikum“ (O-Ton Mediengestammel) beziehungsweise „der letzte wahre Schalker“ (O-Ton Neumann), im Moment zur Litfaß-Säule eines Milchprodukte- Herstellers mutiert, spielt seit Jahren den irren Gemütsklops mit „blau- weißem Virus“ (O-Ton Neumann).

Und der deprimierte Fernsehzuschauer bezahlt die öffentlichen Therapieversuche vor der Kamera regelmäßig mit Schüttelfrost, Hitzewellen und schmerzhaftem Aufrollen der Fußnägel. Während sich der Einheimische zusätzlich noch schämt und fürchtet, die Leute anderswo denken, daß hier alle so sind. Die Rettung oder zumindest ein Vorschlag zur Güte wäre, daß die Freunde der Ruhrgebiets-Ethnographie sich einfach mal ein neues Objekt suchen.

Ich persönlich würde zum MSV Duisburg raten. 1-a-Hafenarbeiter und Stahlkocher (Rheinhausen) auf den Rängen. Ein Verein, der von ganz unten kommt (Glaubwürdigkeit!). Zehn original eingeborene Ruhrgebietler im Bundesligakader (Super-woher-sie-kommen-Fotos in tristen Vorortsiedlungen!). Ein Torwart, der eine 40-Stunden-Woche außerhalb des Trainingsplatzes hat (richtige Arbeit!). Und ein Torjäger, der raucht und gerne Pommes ißt (Essensgewohnheiten fremder Völker!). Das müßte es doch sein. Christoph Biermann

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