Heimdekoration: Im Märchenmöbelland

Auf der Neuköllner Sonnenallee bieten Geschäfte Möbel und Dekor für den Geschmack vieler arabischstämmiger BerlinerInnen.

Kitsch Bild: DPA

In einem Schaufenster an der Sonnenallee tanzen zwei Pinguine. Ihre rundlichen Körper sind elegant zur Seite gedreht, die Köpfe mit den langen Schnäbeln neckisch geneigt. Auf den graziös abgespreizten Stummelflügeln glitzern Strasssteine in Gold. Die Pinguine sind weiß, aus Keramik, beinahe lebensgroß. Ihr Schaufenstertanz wirkt im trübgrauen Nordneuköllner Winter wie eine Einladung ins Märchenland.

El-Salam Style Galerie heißt das Geschäft, hinter dessen Scheiben die Neuköllner Pinguine ihren Tanz aufführen. Direkt ins Märchenland führt dessen Eingang nicht, doch gibt es hier einiges an möglicher Ausstattung dafür.

In dem Geschäft an der Ecke Sonnenallee und Weichselstraße finden sich etwa lebensgroße goldene Pfauen, die einen Kronleuchter im hochgereckten Schnabel tragen. Leuchtet die Lampe, dreht sich funkelnd der Lampenschirm. Daneben stehen Glastische, deren Platten auf vergoldeten Stoßzähnen aus nachgemachtem Elfenbein ruhen. Falsche Kamine mit künstlichen Holzfeuern glühen unter großen Spiegeln mit schweren dunklen Holzrahmen. Winzige Zwergensessel in Schwarzgold und Weißrosa, die wie kleine Throne aussehen, stehen neben tiefliegenden schweren Sitzgruppen, die ins Foyer gediegener Hotels passten. Die Pracht wird umrahmt von mehrlagig gerafften und mit Unmengen von Strasssteinen bestickten Vorhängen, die wirken, als sollten sie verträumten Prinzessinnen den Blick nach draußen ein bisschen weicher malen.

Die El-Salam Style Galerie führt Shukry Omairat gemeinsam mit seiner Frau Howeida. Vor zwei Jahren eröffneten die beiden ein paar Häuser weiter ihr erstes Möbelgeschäft, vor einem Jahr die große Galerie. Ihr Angebot komme aus Italien und Syrien, vor allem aber aus China, erzählt Shukry. Mehrmals im Jahr besucht er dort Messen und ordert neue Ware. Der Laden läuft gut. Die prunkvollen großen Möbel- und Dekostücke würden vor allem von Kunden arabischer und türkischer Herkunft gekauft, sagt Howeida Omairat. Den Anteil der Deutschen unter ihrer Kundschaft schätzt sie auf etwa 40 Prozent. Die kauften aber eher kleinere Teile: "Spiegel, Lampen, Kronleuchter oder Geschirr." Gerade habe ein deutscher Kunde ein mehrere Quadratmeter großes Deckenstuckelement aus Polyethylen mit Goldbemalung geordert, erzählt ihr Mann: "Der kam aus München, wir liefern ihm das." An einem der falschen Kamine klebt ein "Verkauft"-Zettel mit einem türkischen Namen.

Ein älteres Kundenpaar interessiert sich für ein hüfthohes, aus goldenem Blech spitzenfein gearbeitetes Segelschiff, das als Lampe dient. Die beiden sind Roma. Um die 100 Euro kosten die Lampen, die Stuckornamente je nach Größe um 500. Bei den Möbelstücken gehen die Preise bis in den vierstelligen Bereich. Das tanzende Pinguinpaar dagegen kostet nur 25 Euro.

Gerade unter Berlinern arabischer Herkunft gebe es immer mehr, die viel Geld und Mühe in die Ausstattung ihrer Wohnungen investierten, sagt Shukry Omairat: "Es gibt jetzt viele erfolgreiche Geschäftsleute, Ärzte, Akademiker." Die wollten zeigen, dass sie etwas erreicht haben: "Unsere Sachen sehen wertvoll aus." Und orientalisch, ergänzt er: "Fast wie im Harem." Junge Leute kauften besonders gern klassisch orientalische Einrichtungsstücke wie Sitzkissen und Tische aus Silbertabletts. "Sie wollen sich damit vielleicht ein Stück der eigenen Geschichte zurückholen", meint der Händler. Die Frage, ob hinter der Märcheneinrichtung die Erinnerung an Häuser und Wohnungen in der alten Heimat steht, die viele arabischstämmige Berliner als Flüchtlinge verlassen mussten, kann Shukry Omairat nicht beantworten. Er selbst kann sich jedenfalls nicht daran erinnern, wie das Haus seiner Familie in Beirut eingerichtet war.

Der heute 39-Jährige war sieben, als er als Bürgerkriegsflüchtling aus dem Libanon nach Berlin kam. Nach dem Hauptschulabschluss habe er als Tellerwäscher in einem Restaurant angefangen, sagt Shukry. Jetzt ist er deutscher Staatsbürger und hat neben den Möbelläden noch eine Bäckerei.

Seine Frau Howeida zeigt Fotos ihrer Wohnung: Wie eine silberne Fontäne dekorierte Kunstblumen auf dem Esstisch in der Küche, wie ein schwarz-glitzernder Wasserfall die Gardinen im Wohnzimmer. Sie dekoriere oft und gern um, erzählt sie: "Die Mode ändert sich ja!" Derzeit seien die Farbkombinationen Schwarz-Gold und Beige-Gold modern: "Der Stil des italienischen Designers Versace."

Auch wenn es üblich sei, dass bei einer Hochzeit die Familie des Bräutigams die Wohnungseinrichtung bezahle, seien es doch die Frauen, die bestimmten, was gekauft werde: "Sie setzen sich meistens durch", sagt Howeida und lacht. "Sie verbringen mehr Zeit in der Wohnung, also muss es ihnen gefallen", erwidert ihr Mann.

Für seine Frau gilt das weniger: Sie managt zusammen mit ihrer Mutter den Verkauf im Laden und die Familie. Die 34-Jährige kam mit 13 aus dem Libanon nach Berlin. Eine Schule hat sie hier nicht besucht, Lesen und Schreiben kann sie auf Deutsch kaum. Deutsch sprechen habe sie von den Kindern gelernt, erzählt Howeida. Neun Kinder hat das Paar, die älteste Tochter ist mit 18 bereits verheiratet. Der praktische ausziehbare Esstisch in der Küche, der Platz für die ganze Familie bietet, sei allerdings nicht aus dem eigenen Laden, sagt die Geschäftsfrau und lacht wieder: "Der ist von Ikea!"

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.