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Archiv-Artikel

Heiliger Kitsch!

Üppigkeit, eine Lust am Spiel und der fortwährende Aufschub. Das sind Merkmale der Postmoderne. Und des Katholizismus. Ein Plädoyer für den katholischen Spleen

VON ANDREA ROEDIG

Seit einiger Zeit zünden eine Freundin und ich in katholischen Kirchen Kerzen an. Wir glauben nicht an Gott, wir besuchen keine Messen. An die Wirkung von Kerzen zu glauben wäre uns peinlich. Ich suche nach dem Grund dieser kleinen, flüchtigen kultischen Handlung, dem Grund eines Gefühls, für das der Begriff „Faszination“ zu stark und „bloße Sentimentalität“ zu schwach wäre.

Ich bin auf der Suche nach dieser erstaunlichen Haltung, weil ich glaube, dass dieses Gefühl kein privates ist, sondern mit einer allgemeinen „postmodernen“ Befindlichkeit zu tun hat, die von der katholischen Kirche vermutlich besser bedient wird als von der protestantischen. Das Phänomen dieses „katholischen Spleens“, wie man es nennen könnte, bildet den Ausgangspunkt für die Frage: Wie verhalten sich eigentlich Katholizismus und Postmoderne zueinander? Berühren sie sich oder stoßen sie sich ab?

I Abstoßen: Wenn man von der offiziellen Kirchenlehre ausgeht, sind Postmoderne und Katholizismus zwei nicht kommensurable Größen. In den Schriften, die Papst Benedikt noch als Kardinal Ratzinger verfasst hat, macht das Wort „Postmoderne“, auch wenn es nicht oft auftaucht, eine zentrale Beunruhigung aus. Die Aufsätze „Glaube, Wahrheit, Toleranz“ aus den 1990er-Jahren setzen sich ebenso mit dieser Sorge auseinander wie die Enzyklika „Fides et Ratio“. Auch die 2003 erschienene Schrift der päpstlichen Glaubenskongregation „Über die Zusammenarbeit von Frau und Mann in der Kirche“ darf man als Beschäftigung mit einer Spielart postmodernen Denkens, den Queer- und Gendertheorien, verstehen. Es treibt den Papst um, und trotz des wolkig gehaltenen Stils seiner fürs breitere Publikum gedachten Lehrschriften sind die gegenwärtigen „Bedrängnisse“ fürs Katholische beeindruckend klar auf den Punkt gebracht: Es geht um die Wahrheit. Mit der Wahrheitsfrage steht und fällt die gesamte christliche Religion, und weil oberstes Ziel ist, den Glauben zu retten, ist Rettung der Wahrheit erste Pflicht. Aus einer toleranteren Sichtweise betrachtet, sind Ratzingers Schlüsse so konsequent wie erschreckend: Gibt es die eine Wahrheit, so folgt daraus der Anspruch des Christentums, die religio vera zu sein, die Überzeugung, dass alle anderen Religionen „adventlichen Charakters“ sind, das heißt aufs Christentum als ihre Vollendung hin ausgerichtet.

Ratzingers Schriften ist die Anstrengung anzumerken, die es kostet, dem Relativismus, diesem „größten Problem unserer Zeit“, einen theologischen Riegel vorzuschieben. Was postmodernes Denken im Kern ausmacht, nämlich Pluralismus, ist genau das, was die katholische Lehre nur oberflächlich zulassen würde. Denn sie ruht auf der Grundlage der einen, universalen, ewigen Wahrheit. „Nur die Wahrheit macht frei“, heißt es bei Ratzinger in einer nicht gerade glücklichen Formulierung.

II Cross-over: Diese Abneigung ist aber nicht strikt gegenseitig. Die viel gescholtene Relativität, besser gesagt der Pluralismus der Postmoderne, beinhaltet auch eine Toleranz gegenüber Glaubensfragen, ja sogar eine Neugier dafür. Die Zeiten scharfer Polemik, wie sie Nietzsche im Sinne des (Über-)Menschen, Marx im Sinne gesellschaftlicher Utopie und Freud im Sinne der Vernunft geführt hat, sind längst vorbei. Gott ist schon so lange tot, dass es unverhältnismäßig wäre, Kirche oder Religion als Hauptfeind zu attackieren. Die so genannte Postmoderne wehrt sich also nicht gegen Religion, eher wird ihr nachgesagt, sie sei für theologische Inhalte wesentlich offener als umgekehrt die Theologie für postmoderne Fragestellungen. Was aber könnte das Interesse am Christentum, vor allem am katholischen, sein?

Es ist in erster Linie wohl ein Lebensgefühl. Das, was ich hier mit „Postmoderne“ umschreibe, stammt ja in Teilen aus einem Affekt gegen den Gegenspieler des Glaubens: die Vernunft. Die Postmoderne verdreht den Anspruch des rationalen Arguments in einen Stil, den man guten Gewissens „barock“ nennen kann. Sie arbeitet – gerade auch in ihren theoretischen Texten – mit Üppigkeit, Synkretismus, sie verwirrt, sie spielt, liebt das Trompe l’OEil der Dekonstruktion, ergibt sich einer literarischen Lust am Kitsch und einem unglaublichen Imponiergehabe. Es war überdies der Baustil des Barock, mit dem der Katholizismus ästhetisch gegen die Reformation zu Felde zog. Und gleichen die dekonstruktiven Lektüren Derridas, die sich verzweigen, nicht enden, jeden Text überformen, nicht der Kolonisierung karger Kirchen durch üppig-goldene Altaraufbauten und gewundene Marmorsäulen? In dem berühmten Aufsatz „Cross the border, close the gap“ hat Leslie A. Fielder schon 1984 für die postmoderne Literatur formuliert, „dass wir heute inmitten einer großen religiösen Renaissance leben“, die aber, fährt er fort, „von den offiziellen Sprechern der etablierten christlichen Kirchen bisher kaum bemerkt worden ist, weil sie eine andere Sprache spricht“.

Auch in der Verwendung von Trash, schlicht in einem gewissen Antielitismus, mag man eine Stilparallele zur katholischen Propaganda erkennen, so wie ja auch die letzte Enzyklika des Papstes, „Deus caritas est“, in ihrer Metaphorik mit den literarischen Mitteln des Groschenromans arbeitet.

Postmoderne und Christentum jedenfalls sind nicht so weit auseinander, wie es zunächst den Anschein haben könnte, und wenn es einen wirklich zentralen Gedanken gibt, in dem man postmodernes Denken „religiös“ nennen könnte, liegt er – grob gesagt – im Prinzip des Sichentziehenden, des Aufschubs, der Abwesenheit, des ewig Ausstehenden, in dem, was Jacques Derrida die „différance“ oder was Jean-François Lyotard den „Widerstreit“ nannte. Fast alle postmodernen Theorien fußen in irgendeiner Weise auf einer Art gesteigerten „negativen Theologie“. Es wäre eine Wette wert, zu sehen, inwieweit „positiv“ Christliches in der Postpostmoderne nun wieder eine Rolle spielen wird und als philosophiefähig gilt. Die Paulus-Lektüre steht auf der Tagesordnung, Slavoj Žižek macht Vorstöße, die „symbolische Struktur“ des Christentums zu rehabilitieren, und in Sujets wie „Gabe“ (Jacques Derrida), „Spur“ (Derrida, Emmanuel Levinas), Paradox (Žižek), Offenbarung (Jean-Luc Marion), Ereignis (Alain Badiou), Alterität (Levinas), könnte Religiöses durchaus eine Konjunktur erleben.

III Kerzen: Die Zeit der großen Kirchenbindung in Europa ist vorbei. Die Zeit der Säkularisierung aber offensichtlich auch. Die klassische „Säkularisierungsthese“, die da hieß, dass der Prozess der Moderne unweigerlich auf eine religiös entzauberte Gesellschaft hinausläuft, ist schon seit den 80er-Jahren umstritten. Die Forschungsgruppe um den Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner spricht von einem „Mega-

trend Re-spiritualisierung“ und will zeigen, dass sich gerade für europäische Großstädte in den letzten Jahren eine Zunahme religiöser Parameter nachweisen lässt, etwa eine Zustimmung zu dem Satz, man glaube an Gott, bete und gehe in die Kirche. Die Erklärungen, die man für eine „Wiederkehr der Religionen“ anbieten kann, sind plausibel.

Und sie sind unbefriedigend. Es gehe um Sinnsuche nach dem Ende der politischen Utopien, na gut, um Sehnsucht nach Transzendenz, um Kontingenzbewältigung, Modernisierungsängste und um Wellness – alles richtig, und es mag sein, dass die großen Kirchen Morgenluft wittern, neue Angebote schneidern, Exerzitien im Alltag, sakralen Tanz, Ikonenmalkurse, Sternwallfahrten und Urlaub im Kloster. Doch all das erklärt nicht, wie hier „geglaubt“ wird. Warum zünden wir diese Kerzen an?

Meine These ist, dass der alte, traditionelle Katholizismus nur unter der Bedingung fasziniert, dass man nicht mehr an ihn glaubt. Dies wäre der „katholische Spleen“, der sich am christlichen Pathos labt, nicht an seiner Moralität – sofern das zu trennen ist. Vielleicht etabliert sich hier eine andere Art von „Glauben“, die mit einem „Tun, als ob“ zu umschreiben wäre oder mit dem Begriff des „Spiels“, das ja, nach einer bekannten Formulierung, ein „heiliger Ernst“ ist. Es könnte also sein, dass der Katholizismus davon profitiert, dass wir ihn postmodern interpretieren.

Der Philosoph Robert Pfaller versucht in seinem Buch „Die Illusionen der anderen“ eine Form des Glaubens zu fassen, die nach dem Muster einer „suspendierten Illusion“ funktioniert. Es ist dies eine Art Aberglaube nach dem Motto „Ich weiß zwar …, aber trotzdem“. Anders als die „eigenen Einbildungen“, unsere wirklichen Überzeugungen, haben die „Einbildungen der anderen“ kein Trägersubjekt, wir hängen ihnen an, würden uns aber nie zu ihnen bekennen.

Man könnte diesen Glauben einen „postmodernen“ nennen, aber nicht, weil er „beliebig“ wäre. Es ist durchaus nicht egal, woran sich der Aberglaube bindet, und es ließe sich vielleicht sogar zeigen, dass ein Starposter des Papstes etwas anderes bewirkt als eines der Popsängerin Madonna. Nein, „postmodern“ ist dieser Glaube, weil er bewusst ist und dennoch funktioniert. Er wäre, in seiner besten Form, so etwas wie ein über sich selbst „aufgeklärter“ Glaube.

Ein Glaube nach dem Schema „Ich weiß zwar, aber dennoch“ wäre ein eher „katholischer“ Glaube, weil er mit dem Spiel, dem Drama und dem Bild arbeitet, mehr mit der Verführung als der Überzeugung und mit der Ambivalenz, die vielleicht der heutigen Weltwahrnehmung mehr entspricht als klar einsichtige Modelle. Und er versorgt, wie der Katholizismus, auf nachhaltige Weise den Affekthaushalt. Die christliche Logik der Differenz, gerade auch die des Opfers, ist ein Drama mit ganz eigener Lustökonomie. Das ist oft beschrieben, niemals aber in seiner Logik befriedigend erklärt worden.

Der Postmoderne fehlt die leidgewürzte Lust, das volle Drama, das Pathos, das wohl nur entsteht, wenn es Hoffnung auf Erlösung und Furcht vor der Verdammnis gibt. Vielleicht steckt im pathetischen Christentum ja ein verloren gegangenes Gefühl, und vielleicht würde der Katholizismus gar zum Eros der Postmoderne taugen. Gemeint sind mit dem „Eros“ natürlich nicht die lila gewandeten Altherrenzeremonien der Kurie, auch nicht die Kirchentagseuphorien im Gitarrenklang. Gemeint ist das Pathos seiner Ästhetik, ist der heilige Kitsch. Es ist ein ernstes Spiel oder ein spielerischer Ernst, der darin liegt, besseren Wissens eine übersinnliche Welt zu adressieren, die wir kaum mehr bekenntnishaft vertreten können. „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ – die „suspendierte Illusion“ ist nicht die Glaubenshaltung, die die katholische Kirche sich vorstellt. Sie wird sich aber nicht gegen sie wehren können und bietet Bilder und Inhalte für diese Illusion. Denn der „katholische Spleen“ basiert auf kultureller Prägung, er trifft nicht jeden – und er ist, weil er sich auf eine lange europäische Tradition, auf oft erzählte Geschichten stützt, für uns derzeit noch von größerer „Dichte“ als die diversen Gemischtwarenläden an fernöstlicher oder sonst wie inspirierter Esoterik. Man muss den Spleen nicht hochreden. Er bildet keinen klaren religiösen Charakter aus, er ist flüchtig, wenig stabil, wankelmütig und wandelbar, anfällig für Kitsch. Aber eines ist er nicht, wenn er sich richtig versteht: fundamentalistisch. Es wird kein Bekenntniseifer aus ihm entstehen, und das ist – bei gegebener politischer Lage – wohl das Beste, was man von Religion als einer Übung in Demut erwarten kann. Der „katholische Spleen“ ist weniger, als die Kirchenfürsten sich erhoffen, aber mehr, als die Skeptiker denken. Er ist kein spiritueller Wunsch, der sich auf jede beliebige religiöse und kommerzielle Ästhetik aufpfropfen ließe. Er ist ein „Inbetween“ in dem so etwas wie Frömmigkeit wächst, eine Ernsthaftigkeit wider Willen, weil manchmal eben nur beten hilft.

ANDREA ROEDIG, 43, ist leitende Kulturredakteurin der Wochenzeitung Freitag. Ihr Text entstand während eines Stipendienaufenthaltes am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. Ein längerer Beitrag erscheint im Juni in „Transit – Europäische Revue“ (Verlag Neue Kritik, Frankfurt a. M.).