piwik no script img

Heilige Messe in Hottes Knödel-Bude

■ Das Volleyball-Spitzenspiel der Frauenbundesliga zwischen CJD Berlin und der TSG Tübingen lockte nur 200 Zuschauer nach Pichelsdorf/ Mit etwas Beistand von oben gewannen die Christlichen Jugenddörflerinnen den Tiebreak mit 15:13

Charlottenburg. Verkehrte Welt im Horst-Korber-Zentrum (HKZ) am Freitag abend. Zum Spitzenspiel der Volleyball-Frauen treffen ein Absteiger (CJD) und ein Beinahe-Absteiger (TSG Tübingen) aufeinander.

Wie ist so etwas möglich? Ganz einfach: Die Herren hinter den Kulissen des Christlichen Jugenddorfwerkes Berlin kauften sich nach dem unabwendbaren Abstieg ihres alten Teams nach der Jahreswende den Abonnementsmeister SC (Dynamo) Berlin der verblichenen DDR. Die Crème de la crème ostdeutscher Volleyballkunst erspielte sich 20 Meistertitel und war 16mal im DDR-Pokalfinale siegreich. Auch international lief der Dynamo aus Ost-Berlin auf vollen Touren. Im Pokalwettbewerb der Pokalsieger konnten die Frauen um Trainer Siegfried Köhler dreimal das europäische Finale gewinnen.

»Siggi« Köhler war Clubtrainer und Nationalcoach in Personalunion. Um den Ruhm des »sozialistischen Vaterlandes« in der Welt zu mehren, spielten damals zwangsläufig fast alle Auswahlspielerinnen in der DDR-Metropole. So konnte Siggi Köhler fast konstant mit seinem Stammsechser aus der Nationalmannschaft im Verein arbeiten.

Dann kam der Sturz der Mauer. Staatliche Förderung, Grundstein des DDR-Sports schlechthin, wurde zum 31. Dezember 1990 weitgehend eingestellt. Auch beim SC Dynamo schienen die Lichter auszugehen. Da entdeckten die Vertreter des Herren auf Erden ihr Herz für den Sport. Potente Geldgeber und Ausbildungs- bzw. Arbeitsplätze für die ehemaligen Staatsamateure konnten die sportlich engagierten Kirchenmänner dem alten Polizeisportclub Dynamo bieten und so die Zukunft eines der besten europäischen Vereinsteams sichern.

Ihr langjähriger Spiritus rector und Nationaltrainer Siegfried Köhler war schon dem Ruf des Geldes in den »goldenen Westen« gefolgt und hatte als Entwicklungshelfer zu Lohhof gewechselt.

Sein Co-Trainer und Schüler Volker Spiegel führt seitdem das Berliner Sextett. Heute spielen mit Susanne Lahme, Maike Arlt, Silke Jäger, Constanze Radfahn und Ute Kellner noch fünf aktuelle Nationalspielerinnen des ehemaligen SC- Teams im CJD-Kader von Coach Spiegel. Von der ehemaligen Toth- Mannschaft fand einzig Annette Kunze ob ihres Sprungvermögens Gnade vor den Augen des neuen Trainers. Alle übrigen wurden ins dritte Glied abgeschoben oder wechselten den Verein. Frustriert quittierte auch OP-Schwester Kunze vor kurzem als letzte Westspielerin den Dienst bei Coach Spiegel. Mit einem reinen »Ost-Sechser« erzogen zur Staatsreligion Kommunismus, kann Volker Spiegel nun mit kirchlichem Beistand auf neue Erfolge hoffen.

Nachdem sich die TSG Tübingen nur über die Relegationsrunde vor dem Abstieg retten konnte, gelang den Süddeutschen um Trainer Mike Schöps ein großer Wurf. Mit der Außenangreiferin Yuzhu Hou (300 Länderspiele für China) und Zuspielerin Beate Bühler (ehemals große deutsche Hoffnung, zuletzt Racing Paris) konnten zwei wichtige Stützen ins Team integriert werden.

Prompt gelang ein Saisonstart nach Maß. Feuerbach und Lohhof, zum engeren Kreis der Favoriten zählend, wurden geschlagen. In Hottes Knödel-Bude, wie das Horst- Korber-Zentrum bei den begeisterten Bundesligisten heißt, kam es tatsächlich zum heißen Tanz. Nicht immer schön, aber ständig spannend verliefen die fünf Sätze vor der mageren Kulisse von 200 Zuschauern. Die Spiegel-Truppe ließ vier Satzbälle im ersten Durchgang ungenutzt und verlor prompt 15:17. Schwächen in Block und Annahme waren unübersehbar. Im zweiten Satz ließen Lahme, Naumann und Co. mit hammerharten Angriffen erkennen, warum das Team zum Favoritenkreis gezählt wird. 15:5 wurden die Frauen um Mike Schöps abgefertigt.

Doch auch die lautstarke Unterstützung der 20 Fans aus dem evangelischen Johannisstift fruchtete nichts, und Tübingen drehte den Spieß (12:15) noch mal um. Inzwischen hatte sich der Berliner Block jedoch stabilisiert, und auch die nur 1,74 Meter kurze Maike Arlt brachte ihre fulminanten Angriffsschläge immer öfter ins Ziel.

Der Tiebreak im fünften Satz war wie immer ein Spiel der besseren Nerven. Wahrscheinlich gab's bei den wichtigsten Bällen auch ein wenig Beistand von ganz oben. Den Matchball aber donnerte Susi Lahme ganz allein longline ins gegnerische Feld. 15:13, und tschüß. uzi

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen