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Heiligabend in BerlinSonst ist hier keiner, warum auch

Zwei Polizisten bewachen das Kanzleramt, Döner-Männer wärmen sich an ihren Spießen, eine Frau spricht französisch. Ein Spaziergang durch Berlin an Heiligabend - abends.

Außer Flocken niemand da: Das Brandenburger Tor am Abend des 24. Dezember 2010. Bild: dapd

Alleine geht gar nicht, finden die meisten. Wer die eigene Familie zu Heiligabend einmal unbegleitet gen Westen hat ziehen lassen, erntet Unverständnis, Mitleid. Eine ganz kleine Prise Neid ist bei manchen auch dabei. Schließlich sind die Aussichten auf eine wahrhaft stille Nacht bemerkenswert gut, es sei denn, man ginge auf eine Weihnachtsparty für einsame Menschen oder in die Kirche. Oder man ließe sich von den Kollegen überreden, eine Heiligabendreportage zu schreiben. Darüber, was auf Berlins Straßen passiert, wenn am Weihnachtsbaum die Lichter glänzen. So wie ich.

Am Hauptbahnhof lange Gesichter und Schlangen an allen Schaltern. Über die Monitore ziehen Schriftbänder, die von stundenlangen Verspätungen oder der totalen Kapitulation künden: Zug fällt aus. Himmel hilf! In Bielefeld werden schon die Geschenke drapiert! Aber vom Himmel fällt feiner Schneeregen. Die Bahn hat uniformierte Menschen neben ihre Fahrkartenautomaten gestellt, die Gestrandeten bei der Wahl einer Alternative helfen sollen. Der Ton ist genervt, die Gesichter stumpf bis finster. Nur einmal lacht eine Frau übers ganze Gesicht. Sie sagt etwas auf Französisch.

Vor dem Kanzleramt stapfen dick verpackt zwei Polizisten durch den Matsch. Sonst ist hier niemand. Warum auch. Immerhin sieht man von hier aus vier Bundesweihnachtsbäume gleichzeitig, zwei bei Frau Merkel, einen am Reichstag, einen im Löbe-Haus. Wer bietet mehr? Ich schlage mich durch den dunklen Tiergarten zum Potsdamer Platz. Obwohl: Dunkel ist hier gar nichts. Der schneebedeckte Boden reflektiert das Streulicht der Stadt. Schwarz hoppeln Kaninchen in die Büsche. Helle Nacht. Wie in einem Raum, in dem der Fernseher weiterflackert, während sein Besitzer in einen unruhigen Schlaf gefallen ist.

Im Sony-Center flackert, lautlos, ein riesiges Kaminfeuer auf dem Großbildschirm. Selbst jetzt sind ein paar Touristen unterwegs, fotografieren sich und die diodengleißende Kulisse, durch die der Wind pfeift. Von hinten kriecht mir die Kälte durch die Kapuze in den Nacken. Immerhin, die Lautsprecher schweigen endlich, still und starr ruhen die Marktbuden, irgendwann muss ja auch mal gut sein.

Kreuzberg. Was geht in Kreuzberg am heiligen Abend? Einfache Antwort: Nichts geht. Nur ein paar Menschen, hin und wieder, mit Tüten, aus den Geschenkschleifen ragen. An diesem Abend sind alle auf dem Weg nach Innen, egal was kommt. Das Wetter spielt da sicher eine Rolle. Da, am Geländer der Admiralbrücke steht ein Mann. Der wird doch nicht …? Nein, er beobachtet nur die Schwäne, die sich auf einer Eisscholle drängeln. Einer der Vögel fettet seine Schanzfedern, sorgfältig zieht er jede einzelne durch den Schnabel.

Es wird kälter. Die Döner-Männer am Kotti frieren nicht, sie stehen warm an ihren Spießen und beobachten besorgt die Straße, wo junge Männer die ersten Böller zünden.

Was hatte ich eigentlich erwartet? Den Geist der Weihnacht zu finden? Irgendeine Antwort, irgendeine Erkenntnis? Nun, eine mögliche Erkenntnis lautet: Selbst an Weihnachten kriegt der Berliner nicht die Zähne auseinander. Niemand wünscht dem Umherstreifenden ein frohes Fest, schon gar nicht der Busfahrer, dessen Knurren sich mit Phantasie als "Durchtreten!" interpretieren lässt. Nicht einmal die Punks im U-Bahnhof Alexanderplatz haben sich ein ironisches rotweißes Mützchen aufgesetzt oder sagen freche Gedichte auf.

Ich will nicht mehr. Die Kälte ist jetzt überall, am Kopf, im Kreuz, an den Füßen. Zuhause könnte ich mich in warme Decken wickeln und im Dunkeln dem Weihnachtsoratorium lauschen. Auf dem S-Bahnsteig spielt ein Mann mit seinem Hund: Er lässt den roten Lichtpunkt eines Laserpointers über den Boden tanzen. Das Tier schnappt aufgeregt danach, tanzt, winselt, leckt an den Steinplatten. Andere Wartende sehen zu, halb angewidert, halb belustigt.

In der U6 nach Tegel telefoniert einer neben mir. "Na, mein Kleener, schläfste noch nich … ja … na, det hattste dir do jewünscht, wa … juti, wir sehn uns dann Silvester." Er macht ein Kussgeräusch. Ich betrachte ihn verstohlen: ein untersetzter Mann, Halbglatze, Stoppelbart, karierte Jacke. Er steigt Holzhauser aus. Wahrscheinlich JVA.

Später, auf dem Weg vom Bus nach Hause, fällt feiner, jetzt trockener Schnee, der schön unter den Schuhen knirscht. Es wird leiser. Eine Gestalt biegt lautlos um die Ecke. Wahrscheinlich der Geist der Weihnacht.

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