„Heilig sind die Friedfertigen“

■ Hanau–Demo verlief ohne Zwischenfälle / Statt der erwarteten 15.000 kamen nur 5.000 Demowillige / In der Innenstadt demonstrierte nur die schwerbewaffnete Polizei / Route durch Innenstadt verboten / Tag der Senioren

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Hanau/Frankfurt (taz) - Insgesamt rund 8.000 Menschen demonstrierten am Sonnabend in der Atom– und Märchenstadt Hanau: 5.000 friedlich und ohne Waffen; 3.000 martialisch aufgerüstet mit allem, was der postmoderne Staat zur Abwehr vermeintlicher und tatsächlicher Chaoten zu bieten hat. Doch die angeblichen „Chaoten“, die - nach den Kassandrarufen von CDU und SPD - plündernd und marodierend die Stadt Hanau in Aufruhr hätten versetzen sollen, waren am Sonnabend auf der Demonstration gegen die Nuklearanlagen im Stadtteil Wolfgang nicht zu sehen. So zogen die knapp 5.000 Menschen mit lila Halstüchern, bunten Pullovern und auch Lodenmänteln friedfertig um die Stadt Hanau herum, denn der geplante Marsch durch die Innenstadt war den Veranstaltern vom Verwaltungsgerichtshof in Kassel verboten worden. Die genehmigte Demoroute sei denn auch „ein Skandal“ gewesen, befand der grüne Landtagsabgeordnete Ruppert von Plottnitz, Obmann seiner Partei im Hanau–Untersuchungsausschuß des hessischen Landtages, der sich - zusammen mit seinem Kollegen Chris Boppel - in den bunten Zug eingereiht hatte. Die aus vier Bundesländern zusammengekarrte Polizei durfte dagegen in der menschenleeren Innenstadt vor vernagelten Geschäften und an sämtlichen Straßenkreuzungen Stärke demonstrieren: Kaum ein freier Platz in Hanau, auf dem nicht zig Fahrzeuge der „Polente“ (Reg.Präs. Darmstadt) - Wasserwerfer, Mannschaftswagen und rollende „DoKu“–Zentren - mit den entsprechenden Besatzungen auf ihren Einsatz warteten. Schon auf dem Hanauer Hauptbahnhof und auf den zahlreichen Zufahrtsstraßen wurden Menschen und Autos mit gezielten Griffen in Taschen und Kofferräume durchsucht - ohne greifbares Ergebnis. Unter dem Titel „Polizei: mit Sicherheit für alle da“, verteilten Beamte Flugblätter und fragten darin: „Stell Dir vor, es ist Demo und die Polizei geht nicht hin! Irre, Was? Aber wart mal, was geht dann ab? Ein Haufen Demowilliger und ein paar Chaoten... Ruck, zuck ist die Randale da! Die Stimmung wird ätzend! Das Anliegen der Demo geht den Bach runter! Und die große Solidarisierung bleibt aus, weils den kleinen Mann nur verschreckt! Deshalb, Leute, easy...“ Daß der von Robert Jungk prognostizierte Atomstaat an diesem friedlichen Sonnabend in Hanau seine Fratze gezeigt habe, befand anschließend die als Rednerin geladene schwedische AKW–Gegnerin Ingeborg Kleinhans, die „entsetzt“ war über das in Massen präsente Polizeiaufgebot. Für den Schwandorfer Landrat Hans Schuierer(SPD) ist dieser Atomstaat in der Oberpfalz bereits „auf Dauer“ Realität geworden. Bespitzelungen, willkürliche Ver haftungen, Hausdurchsuchungen und Kriminiaisierungsversuche bestimmten den Alltag der Menschen in der Region um die im Bau befindliche WAA in Wackersdorf. Schuierer forderte die Hanauer AtomgegnerInnen zur Solidarität mit den AtomgegnerInnen aus seiner gebeutelten Heimat auf, denn die Front der unkritischen Atombefürworter sei am Bröckeln, selbst in der CSU. Diese bröckelnde Front glaubte auch Elmar Diez von der gastgebenden Initiative Umweltschutz Hanau (IUH) ausgemacht zu haben, auch wenn sich viele Hanauer am Samstag noch hinter heruntergelassenen Rolläden „verschanzt“ hatten, als der Demonstrationszug auf dem Weg zum Kundgebungsort Freiheitsplatz die City kurz streifte. Der Freiheitsplatz wurde - nach dem Eintreffen der Demonstranten - von Polizeikräften in Leder hermetisch abgeriegelt, obgleich ein Protestler per T–Shirt die Parole des Tages proklamiert hatte: „Atomblöcke und schwarze Blöcke: Sofort abschalten.“ Die für die erwarteten 15.000 AtomgegnerInnen konzipierte Großveranstaltung geriet dann zur Geduldsprobe, denn die Veranstalter hatten etwa zehn RednerInnen aufgeboten. Das auf die tatsächlich „abbröckelnden“ Massen niedergehende Wortstakkato wurde nur von den tiefschwarzen und affengeilen Rythmen einer Kapelle (Eddy Bernhard/Moderator) aus Ghana unterbrochen, die zum aufwärmenden Hüpfen animierte. Alles wartete auf Robert Jungk, der als letzter Redner des Tages angekündigt war. Jungk komplettierte die Riege der Senioren im Widerstand gegen den Atomstaat, die mit Eddy Bernhard (61), Ingeborg Kleinhans (64) und dem Hanauer Dekan Schluckebier (“Heilig sind die Friedfertigen“) nahezu vollständig vertreten war. Der in Salzburg lebende Jungk, der demnächst wegen der ihm zugeschriebenen Äußerung: „Macht kaputt was Euch kaputtmacht“ in Hanau vor Gericht stehen wird, forderte das „gute Leben“ ein, das ein Leben „ohne Angst, in Gerechtigkeit und Brüderlichkeit“ sei: „Gutes Leben, das heißt für uns sinnvolle schöpferische Arbeit für alle.“ Robert Jungk ging in seiner Rede auch auf auf den von der Hanauer Staatsanwaltschaft gegen ihn erhobenen Vorwurf des Aufrufs zur Gewalt ein. Mit seiner Rede Ende 86 auf der letzten Hanau–Demo habe er nur zum Ausdruck bringen wollen, daß wir uns von „denen“ nicht mehr „reinlegen und kaputtmachen“ lassen wollten. Jungk: „Militärisch sollten wir in der Tat nicht kämpfen, und ich warne davor, die großen sozialen Bewegungen in diese Falle hineinzulavieren, wie es einige unserer autonomen Freunde versuchen.“