Heiko Werning : Schluss mit dem Gejammer
So, Ihr Abweichler, jetzt mal ein paar ernste Worte! Also an Euch, die Ihr Euch irgendwo in den Untiefen der Unions- oder SPD-Fraktionen verkrochen habt, um von dort dann gegen die Wahl von Friedrich dem 1,98-Meter-Großen zu votieren.
Was sollte das denn? Ihr wart also politisch nicht einverstanden oder persönlich beleidigt und habt deshalb mit Nein gestimmt. Oder Euren Stimmzettel ungültig gemacht. Wie eigentlich? Stand da dann „Fritz ist doof“ drauf? Oder „Ich will zwar meine Diäten beziehen, ansonsten mit dem Scheiß hier aber nichts zu tun haben“? Egal. Ihr habt eine Aufgabe. Nämlich dieses Land zu regieren. Denn einer muss es nun mal machen.
Mich lassen sie ja nicht. Schade, aber nicht zu ändern. Aber Ihr wolltet es doch so. Klar, Schwierigkeiten bei der Berufsfindung, Zweifel über den Lebensweg, kenne ich alles. Aber da müsst Ihr ja nun nicht andere mit nerven. Klärt das mit Eurer Therapeutin. Oder, einfacher und billiger, setzt Euch in eine Kneipe, bestellt mehr, als Karl Lauterbach empfiehlt, und quatscht den Tresennachbarn zu, wie unsereins das schließlich auch macht.
Aber was soll denn dieses alberne Nein-Gestimme? Protest ausdrücken? Herrje, wir haben doch schon so viele schöne Formate für folgenloses Rumgequengel. Startet eine Onlinepetition! Schreibt schlechte Google-Bewertungen über das Konrad-Adenauer-Haus oder Brilon! Gebt dem Schmöker „Mehr Kapitalismus wagen. Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ von Friedrich Merz nur einen Stern bei Amazon, das Ding hat erstaunlicherweise nämlich immer noch vier davon! Droht mit der Kündigung Eures Cicero-Abos, das Ihr sowieso nicht habt! Oder schreibt meinetwegen taz-Kolumnen.
Das Ergebnis ist am Ende dasselbe. Außer, dass man mit diesen hübschen anderen Varianten nicht die AfD stärkt. Ganz anders als Ihr Vollidioten! Ja, Vollidiot! Jeder von Euch, ich meine Euch ganz persönlich, nichts mit Satire, Kunstfreiheit oder so. Einfache Formalbeleidigung. Zeigt mich doch an! Wer schweigt, stimmt zu! Na also.
Es ist nämlich so: Ihr seid angetreten für eine Partei, von der von vornherein klar war, dass sie genau das macht, was sie jetzt eben macht. Dann macht das jetzt auch! Dafür habt Ihr Euch wählen lassen, niemand hat Euch gezwungen, und so schlecht werdet Ihr dafür nun auch nicht bezahlt. Eure Aufgabe besteht darin, dass wir, die wir Euch nicht gewählt haben, endlich wieder gegen die Regierung sein können. Klar, konnten wir vorher auch, aber da hat es sich immer ein bisschen schlecht angefühlt, weil man ja nicht mitverantwortlich sein wollte dafür, dass stattdessen eine Merz-Regierung drankommt. Das ist jetzt vorbei, und das ist doch auf eine gewisse Art auch schön und befreiend.
Also: für uns. Ihr regiert das gefälligst aus und belästigt uns bitte nicht mit albernen Befindlichkeiten aus der anonymen Schmollecke. Es gibt schließlich genug zu tun. Für uns alle. Also, Schluss mit dem Gejammer und ran an die Arbeit!
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