: Heide macht mobil
von ULRICH SCHULTE
Am Ende hat sogar der Wind mitgespielt: Als die DemonstrantInnen 100 blaue Luftballons mit aufgedruckten Friedenstauben steigen ließen, trieb sie eine sanfte Brise direkt über das Gelände des Bombodroms. Was sich am Ostersonntag neben dem Gelände des ehemaligen Militärübungsplatzes der Roten Armee in Nordbrandenburg abspielte, war in doppelter Hinsicht einmalig: Rund 12.000 Menschen demonstrierten gegen die Pläne der Bundeswehr, hier Tiefflüge zu üben. Damit war der Bürgerinitiative Freie Heide mit ihrer 100. Protestwanderung nicht nur ein Rekord geglückt, nämlich „die größte Einzelveranstaltung“ ihrer Geschichte, wie Sprecher Benedikt Schirge sagt. Die Bombodrom-Gegner organisierten auch die bundesweit größte Friedensdemonstration.
Ein Zufall ist das nicht. Denn die Bürgerinitiative Freie Heide ist zu einem Musterbeispiel erfolgreichen Bürgerprotests geworden. Ginge es nach Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU), würden schon bald 1.700 Tiefflüge jährlich über dem 142 Quadratkilometer großen Areal in der Kyritz-Ruppiner Heide geübt. Die Tornado-Piloten müssten zum Beispiel für Nato-Auslandseinsätze trainieren, argumentiert er.
Die Idee der Bundeswehr ist alt, der Protest dagegen auch. Seit 1992 kämpften drei Verteidigungsminister mit wechselnden Begründungen vergeblich für die militärische Nutzung, die Bürgerinitiative Freie Heide hat sie alle überlebt. Mehr noch: Sie ist mit den Jahren stärker geworden. Wenn also Demonstranten wie am Sonntag Plakate mit Aufschriften „Herr Jung, hier dürfen nur die Pilze schießen!“ tragen, spricht daraus ein besonderes Selbstbewusstsein.
Die Mobilisierungskraft der Bürgerinitiative hat dabei Tradition. „Dass auch in diesem Jahr so viele Menschen kamen, ist für mich vor allem ein Beleg der Kontinuität“, sagt Schirge. Ein Großteil der DemonstrantInnen kommt aus der Region, aber auch Busse aus Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen trafen in dem dünn besiedelten Winkel Brandenburgs ein. Im vergangenen Jahr kamen rund 10.000 Menschen, davor pendelten die Teilnehmerzahlen um 8.000.
Ein Grund für diesen Erfolg ist, dass die Freie Heide für ein greifbares Anliegen eintritt, nicht für den Frieden an sich. Schließlich soll vor der Haustür der rund 1.000 Mitglieder der größte militärische Übungsplatz Mitteleuropas entstehen. „Unser Anliegen ist ein lokales, es hat aber globale Auswirkungen. Damit können sich viele Menschen eher identifizieren als mit abstrakten Forderungen“, sagt Schirge.
Jeder sucht sich seinen Anknüpfungspunkt. Die Zugereisten mag ausschließlich der drohende Krieg gegen den Iran nach Fretzdorf getrieben haben, bei den Einheimischen sind die Motive vielfältiger: Sie demonstrieren für Frieden, aber auch gegen Umweltverschmutzung, gegen Lärm durch Überflüge, gegen die wirtschaftliche Schwächung der auf Touristen angewiesenen Region. Auch die Anfänge des Übungsplatzes in der DDR haben viele hier nicht vergessen. Die DDR-Führung drückte den Landbesitzern erst Pachtverträge auf, in den 60er- und 70er-Jahren zwang sie die Eigentümer dann zum Verkauf – zu einem Preis von 2 bis 4 Pfennig pro Quadratkilometer.
So wie es aussieht, wird der Kampf der Bombodrom-Gegner lange weitergehen. Die Landesregierungen von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin votieren für eine zivile Nutzung, doch der Bund hält an den Tiefflugplänen fest. 1.000 Postkarten, die die Bürgerinitiative gesammelt hat, sollen jetzt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) überzeugen. Vor Gericht ist der Streit zwischen den Aktivisten und der Bundeswehr in vollem Gange – wobei bisher eher die Bürger punkteten. Initiativen-Anwalt Rainer Geulen ist optimistisch: Es sei nicht absehbar, wann der Übungsbetrieb aufgenommen werden könne.