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Havel bittet die USA, Gorbatschow zu helfen

■ KSZE-Konferenz von 1992 soll kollektiven Friedensvertrag abschließen / Deutsche Einheit nur in demokratischen und friedlichen europäischen Strukturen / Militärblöcke sind kurzfristig noch notwendig / Verständnis für Verzögerung des sowjetischen Truppenabzugs

Washington (dpa/ap) - Der tschechoslowakische Präsident Vaclav Havel hat vor den beiden Häusern des USA-Kongresses dazu aufgerufen, einen Schlußstrich unter den Zweiten Weltkrieg und all seine schrecklichen Folgen zu ziehen. Havel schlug vor, die für 1992 angesetzte KSZE-Konferenz in eine Friedenskonferenz für Europa umzuwandeln.

Diese Konferenz sollte ein künftiges demokratisches Deutschland in eine paneuropäische Struktur einbetten. In deren Rahmen solle Europa über sein eigenes Sicherheitssystem entscheiden. Dieses System, sagte Havel, würde selbstverständlich Verbindungen zu jenem Teil der Erdkugel unterhalten, „den wir den Helsinki-Teil nennen können und der sich von Wladiwostok bis nach Alaska erstreckt“. Die Grenzen der europäischen Staaten sollten endgültig durch einen gemeinsamen Vertrag garantiert werden, dessen Grundlage die Beachtung der Menschenrechte und freie Wahlen sein sollten.

Der tschechoslowakische Präsident Havel sprach sich gegen die sofortige Auflösung der Militärblöcke aus. Die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa sei allerdings ein nicht mehr umkehrbarer Prozess, in dessen Ergebnis Europa wieder beginnen werde, seine eigene Identität zu suchen, statt als zweigeteiltes Waffenarsenal zu dienen.

Havel forderte die USA auf, der Sowjetunion dabei zu helfen, demokratische Verhältnisse zu schaffen und den verschiedenen sowjetischen Nationen eine autonome Entwicklung zu gewähren. Je schneller sich die Sowjetunion friedlich auf ein wirkliches Mehrparteiensystem zubewege, desto besser sei dies für die CSSR und die ganze Welt. Der Sowjetunion zu helfen, scheine für viele Amerikaner heute noch paradox, habe dieses Land doch über viele Völker ein Nachtmahr gebracht.

Dennoch bleibe eine einfache Rechnung für die USA: „Je schneller das Reformprogramm in der Sowjetunion obsiegt, desto eher werden die Vereinigten Staaten in der Lage sein, die Bürde des Militärbudgets zu reduzieren. Die Millionen“, sagte er, „die sie heute dem Osten geben, werden bald als Billionen eingesparter Gelder an sie zurückfließen.“

Havel äußerte Verständnis dafür, daß die Sowjetunion ihre Truppen nicht mit der gleichen Geschwindigkeit aus der CSSR abziehen könne, mit der sie sie hereintransportiert habe. Er hoffe aber, daß vor den Parlamentswahlen im Juni ein substantieller Teil in die Sowjetunion zurückgekehrt sei.

Europa, sagte Havel, lege jetzt die Zwangsjacke einer Weltordnung ab, deren Koordinaten die zwei Supermächte gesetzt hätten. Es werde seine Handlungsfreiheit zurückgewinnen.

Zum Schicksal der Menschen in Ostmitteleuropa sagte Havel, die Jahre der Unterdrückung, die seine Landsleute hätten durchmachen müssen, hätten sie Wesentliches erkennen lassen. Das Heil der Menschen könne nirgendwo anders gefunden werden als in den Herzen der Menschen. Noch immer wirke der zerstörerische und eitle Glaube, der Mensch sei der Höhepunkt der Schöpfung und nicht ein Teil von ihr. Was not tue, sei Demut und Verantwortungsgefühl und nicht der Glaube, alles sei machbar. Die Kongreßabgeordneten vernahmen's mit Staunen und spendeten stürmisch Beifall.

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