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Havarie der "Costa Concordia"Kollision dank altem Seemannsbrauch

Mindestens fünf Menschen starben, als das Kreuzfahrtschiff "Costa Concordia" kenterte. Dem Kapitän wird fahrlässige Tötung vorgeworfen.

Bis auf wenige hundert Meter steuerte der Kapitän das Schiff an die Insel Giglio heran. Bild: reuters

ROM taz | Fünf Tote, Dutzende Verletzte und immer noch mindestens 17 Personen vermisst: Das war am Sonntagmittag die vorläufige Bilanz des Kenterns des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia vor der toskanischen Isola del Giglio.

Das Unglück ereignete sich am Freitagabend kurz nach 21.30 Uhr, nur zwei Stunden nachdem das mit modernster Technologie ausgerüstete Riesenschiff vom etwa 100 Kilometer nördlich von Rom gelegenen Hafen Civitavecchia in See gestochen war. Die Reise sollte durchs westliche Mittelmeer führen.

Doch obwohl die See ruhig war, es kaum Wind gab und die Sichtverhältnisse gut waren, ging plötzlich ein starker Ruck durch das Schiff. Unmittelbar darauf fiel der Strom aus. Die Costa Concordia hatte direkt vor der Isola del Giglio, der "Lilieninsel", einen Granitfelsen geschrammt; dabei war ein Felsbrocken abgerissen und ins Schiffsinnere eingedrungen.

Die "Costa Concordia"

Besitzer: Reederei Costa Crociere, heute eine Tochtergesellschaft des US-Kreuzfahrtriesen Carnival

Taufe: 2006, die Champagnerflasche soll nicht zerschellt sein

Größe: 114.147 Bruttoregistertonnen, 292 Meter lang, 52 hoch, 35 breit

Passagiere: 3.780, vor allem aus Italien, Deutschland, Frankreich und Spanien in 1.500 Kabinen

Besatzung: 1.113, von den Philippinen, aus Bangladesch und Peru

Motto der Reise: "Der Duft der Zitrusfrüchte" (mb, rr)

Die Ursache: Statt im gebührenden Abstand von drei bis fünf Seemeilen hatte Kapitän Francesco Schettino sein Schiff bis auf wenige hundert Meter an die Insel herangesteuert. Er folgte damit einem alten Brauch der Costa-Kapitäne. "Der Fels war in den Navigationskarten nicht eingezeichnet", behauptete Schettino später fälschlicherweise im Verhör.

Dumme Sitte

Tatsächlich hat der Kapitän die dumme Sitte wohl einfach zu weit getrieben. Der Staatsanwalt jedenfalls geht von einem "falsch durchgeführten Manöver" aus, und nahm den Schiffsführer am Sonntag in Haft. Die Vorwürfe: fahrlässiges Herbeiführen eines Unglücks, mehrfache fahrlässige Tötung - und "unerlaubtes Verlassen des Schiffs". Denn während noch Tausende der Hilfe harrten - die Letzten wurden gegen drei Uhr nachts geborgen - war Schettino schon um 23.30 Uhr an Land.

Auch wenn die Reederei beteuert, die "vorgesehenen Sicherheitsprozeduren" seien nach dem Unglück "in den angemessenen Fristen" durchgeführt worden, fügt sich das Verhalten des Kapitäns in das Gesamtbild, das zahlreiche Passagiere zeichneten: Erst sei mit Durchsagen wie: "Wir haben nur ein Problem mit dem Stromgenerator" abgewiegelt worden.

Als dann - fast eine Stunde später - die Evakuierung angeordnet wurde, hätten sich die Besatzungsmitglieder der Situation nicht gewachsen gezeigt. Viele hätten offensichtlich vor allem daran gedacht, selbst von Bord zu kommen.

Panik entstand, Szenen mit Schlägereien um Schwimmwesten spielten sich ab. Vielen blieb nichts als der Sprung ins Wasser. Zwei französische Passagiere und ein Besatzungsmitglied aus Peru ertranken, bevor sie von einem der Boote, die von der Isola del Giglio ausgelaufen waren, aufgenommen werden konnten.

Weiterhin unklar ist der Verbleib von 17 Personen, davon 11 Passagiere und 6 Besatzungsmitglieder. Ein koreanisches Paar auf Hochzeitsreise konnte in der Nacht auf Sonntag aus seiner Kabine befreit werden. Zudem tauchten diverse auf der Vermisstenliste stehende Passagiere wohlbehalten wieder auf, etwa zwei Japaner, die nach der Rettung auf eigene Faust nach Rom gefahren waren. Aber die Rettungskräfte fürchten, dass sich weitere Opfer nicht mehr aus den unteren Decks und Kabinen retten konnten.

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24 Kommentare

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  • M
    Männersang

    Das Verhalten des Kapitäns paßt zum Bunga-Bunga-Oberguru.

     

    Der Hinweis, die Costa-Kreuzfahrten seien ein riskantes ?Billig-Angebot ist analog zum NABU-Dinosaurier-Pranger für AIDA und TUI Ende 2011: die krasse Ölverschwendung und Umweltbelastung durch dramatisch anwachsenden Schiffstourismus (angeblich ca. +20% pro Jahr) wird nicht dadurch ok, daß Diesel statt Schweröl und zuverlässigere Reedereien gewählt werden.

     

    Wie kommen derartige Zuwachsraten zustande? Sicherlich nicht zuletzt durch die gehirnwäscheartige Dauerpropaganda seitens ZDF und papageienhafte Endlos-Wiederholungen durch Phoenix, finanziert übrigens aus ZWANGsgebühren auch derjenigen, die sich solche Reisen nicht leisten können - oder wollen, s.o.

    Wann endlich wird diese massive Werbeschlacht mit Zwangsgebühren unterbunden - vorzugsweise durch drastische Einschränkung des gesamten Wildwuchses, privaten wie öff.-rechtlichen? Immerhin verbraten die zusammen sicherlich die Grundlast eines Braunkohle-Kraftwerks: der Nutzen für die Umwelt und Ressourcenschonung wäre also gleich doppelt - oder dreifach, wenn man die geistige Umweltverschmutzung durch den geballten Schund mit in Betracht zieht.

     

    Kreuzfahrt-Kritik in Leser-Kommentaren bei ZEIT-online wurde ruck-zuck gelöscht, mit dummem Begründungs-Gefasel von Pietät u.dgl.

    Hochinteressant: Selbst in unmittelbarer Nachbarschaft der Havarie-Meldungen wurde auf den ZEIT-Seiten intensiv für Kreuzfahrten geworben!! Das ist das "Niveau" der vermeintlichen Edel-Postille aus Hamburg.

    Auch Phoenix hat nach einer unterirdischen aktuellen "Info-Sendung" (in kurzem Abstand wiederholt, damit das Grundlastkraftwerk stetig giften kann) nichts besseres zu tun, als einen Kreuzfahrt-(?Werbe-)Film aus dem Archiv abzuspulen (immerhin mit Darstellung u.a. der faschistischen KdF- usw. -KreuzfahrtWurzeln): Schluß mit dem zwangsgebühren-finanzierten öffentlich-rechtlichen Umweltterror!

  • SK
    Selbst Kaputt

    @Faltbrot: Was genau ist als Taz-Leser Ihr Problem dabei? Gutes Deutsch schadet jedenfalls nicht.

  • L
    lvm

    liebes faltbrot,

     

    wenn du wissen willst, was ich von der sache halte lies dir einfach mal den kommentar von der netten anette durch, der so so schön und knapp beschreibt woran ich bei dem artikel denke.

     

    die einzigen betroffenen für die ich mitleid empfinde, sind die kinder der passagiere und die "rangniederen" besatzungsmitglieder!

  • F
    Faltbrot

    Oh Mann !!!,manche Taz Leser sind ja so kaputt,da ersaufen die Leute ,es steht vielleicht eine Umweltkatastrophe bevor und Ihr debattiert ob man bergen bei Lebenden schreiben darf oder nicht.???????

  • F
    FMH

    Eigentlich habe ich den Artikel gelesen, weil ich wissen wollte, wass denn dieser Brauch ist, der die Katastrophe verursacht hat. Irgendwie scheint man das aber hier weggelassen zu haben.

  • W
    Wolf

    Die Geschichte vom Stromausfall hat dazu beigetragen, daß die Prügelei um die Rettungswesten zu spät angefangen hat.

     

    Merkt Ihr nicht, wie uns die Medien schon wieder verschaukeln? Wie stellt sich der normale Reisende eine Evakuierung vor?

    "Liebe Passagiere, wir sinken, bitte bleiben sie ganz ganz ganz ruhig, alle werden gerettet ?"

     

    Niemals, die Typen stürmen los wie eine wilde Kuhherde und klauen sich gegenseitig die Schwimmwesten. Unbestritten, daß die Inselanfahrt idiotisch war.

  • A
    Annette

    So berechtigt diese Berichterstattung sein mag - ich würde mir wünschen, dass über die vielen anderen Schiffbrüchigen und Toten des Mittelmeers, die auf Flüchtlingsbotten statt auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs waren, ebenso groß berichtet würde.

  • EW
    E W

    Sorry, aber das weiß der Duden besser. Im großen Duden steht ausdrücklich unter "bergen" 1. retten, in Sicherheit bringen: den Hausrat, Verletzte b.; das Getreide vor dem Unwetter b.; eine Schiffsladung b.; wir führten sogar noch ein Unternehmen durch, um den Fallschirm zu b.

  • A
    atalaya

    @RettungsAssistent: Warum sollte die TAZ einem Sprachgebrauch folgen, den eine bestimmte Begrufsgruppe verwendet, wenn dieser nicht durch den allgemeinen Sprachgebrauch gedeckt ist. Das Verb "bergen" ist jedenfalls laut Duden synomym zu "retten", "in Sicherheit bringen", ihre Behauptung also falsch!

  • L
    lvm

    @Rettungsassistent

     

    interessante aufforderung, nach welcher regelung wurde dieses denn festgelegt und vor allem wo?

     

    mfg

    LvM

  • R
    RPH

    Herr RettungsAssistent , erst kommen die Kinder , dann die Frauen , dann die Männer und erst dann die Korrekturleser .

  • DA
    Der Analogist

    Dieser Unfall passt zum Bild der Costa-Linie: Unter Kreuzfahrern ist bekannt, dass man Costa besser nicht bucht. Da werden Passagiere mit viel italienischem Kellnerchuzpe wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Der Kunde steht hier nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit.

     

    Genau wie MSC einfach eine billige Linie.

  • G
    GehtsNoch

    @RettungsAssistent: Das ist

     

    a) etymologisch falsch (vgl. "Geborgenheit")

    b) fachlich strittig (vgl. SKK-Wörterbuch)

    c) journalistisch soooooo was von irrelevant

     

    Da sind Menschen gestorben - sch**ß doch auf die Wortwahl!

  • PS
    Peter Schlee

    Ich möchte eine Welt in der ein jedes "Schiffsunglück" im Mittelmeer eine derartige mediale Aufmerksamkeit bekommt.

  • FB
    Fege Baus

    bergen

     

    starkes Verb - 1. retten, in Sicherheit bringen; 2a. verbergen, verstecken, verhüllen; 2b. schützend verbergen

  • M
    Michael

    Also ich finde, überlebt und geborgen okay, gerettet und tot nicht so gut!

     

    Sie haben natürlich recht! :-)

     

    Auch ein Kreuzfahrtschiff ist ein Schiff, ist ein Schiff ... auf einem Schiff ist man abhängiger von seinem Mitmenschen als sonst wo.

    Wenn man so will, ist die Erde auch nur ein Kreuzfahrtschiff.

  • JS
    Jannis Schu

    Mhm, was ist denn jetzt der "alte Brauch der Costa-Kapitäne"? Dicht ans Inseln heran fahren, Seekarten falsch interpretieren? Bin auch nach Lesen des Artikels nicht im Bilde.

  • TE
    Tausende Ersoffene Flüchtlinge

    Ich weiß ja nicht wie das Bild stimmig werden soll, wenn soviele der Galeerensklaven dabei draufgehen. Die Art und weise wie sich die deutschen Herrentouristen in der Glotze ausgelassen haben, zeigte überwiegend den empörten Kunden, für den es völlig normal ist, das Mittelmeer als Kreuzfahrer zuzuscheissen und der offensichtlich überhaupt nicht peilt, daß Meer gefährlich ist.

    Soviel Presserummel gibt es natürlich nicht, wenn griechische Küstenwache und Frontex Schlauchboote mit Afghanistankriegsopfern abstechen oder die NATO im lybischen Meer überfüllte Flüchtlingsboote überfährt und damit versenkt.

    Wer weiß, vielleicht findet sich ja noch ein übersehenes Boot, das zum Felsen leitete.

  • H
    HD-122

    Der Kapitän hat wohl noch nie was von "Der Kapitän verlässt zuletzt sein Schiff" gehört!

    Aber leider ist man auf der See und vor Gericht allein in Gottes Hand.

    Mein Beileid für die Hinterbliebenden

  • CT
    Chris Topf

    Das mag ihre persönliche Wahrnehmung sein, entspricht jedoch nicht dem tatsächlichen Bedeutungsumfang des Begriffs. 'Bergen' wird sehr wohl im Zusammenhang mit (Über-)Lebenden verwendet und ist in dem Fall bedeutungsgleich mit 'retten'. Der Duden selbst gibt das Beispiel "Verletzte bergen".

  • MD
    Ma Dalton

    Na, und was ist denn nun dieser "alte Seemannsbrauch"??? Zu nah an die Küste ranfahren? Zu welchem Zweck? Angabe?

    Das ist Idiotie und Machogetue, aber ein "Brauch"? Um was genau handelt es sich denn nun bei diesem "Brauch"? Bin verwirrt.

  • D
    Dudinator

    @RettungsAssi: Laut Duden heißt "bergen" auch "retten" (http://www.duden.de/rechtschreibung/bergen). Was nun?

  • A
    Antoninus

    "Kollision dank altem Seemannsbrauch"

    Ups: 'dank gutem, altem, angeheitertem Seemannsbruch'.

  • R
    RettungsAssistent

    Bitte achten Sie doch beim Verfassen solcher Texte darauf, dass der Begriff "bergen" nicht im Zusammenhang mit Überlebenden verwendet wird. Überlebende werden gerettet. Nur Tote werden geborgen.