Haushaltsberatungen im Bundestag: "Schönredner Schäuble"
Die Regierung sieht das Wirtschaftswachstum optimistisch und plant den Haushalt für 2012 entsprechend. Die Opposition kritisiert den Entwurf als lebensfremd.
BERLIN dapd/rtr | Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verlangt eine Abkehr vom "extremen Pumpkapitalismus". Zum Auftakt der Haushaltsberatungen im Bundestag äußerte sich der CDU-Politiker am Dienstag besorgt über die aktuellen Entwicklungen an den Finanzmärkten und mahnte verstärkte Sparanstrengungen an. Er versicherte, dass Deutschland seinen Konsolidierungskurs beibehalten werde und machte zugleich deutlich, dass die EU-Schuldenstaaten ohne verstärkte Reformanstrengungen nicht auf weitere Hilfen hoffen dürften.
In den letzten 40 Jahren hätten sich die westlichen Industrienationen nahezu ausschließlich darauf konzentriert, Rezessionen zu verhindern, sagte der CDU-Politiker. So sei auch in Deutschland die Verschuldung auf zwei Billionen Euro angestiegen. Ein solches Verhalten habe weltweit zu einer "Aufblähung der öffentlichen Haushalte" und zu einem Vertrauensverlust in die Fähigkeiten der Politik geführt.
Es gehe nun darum, das Vertrauen der Märkte, aber auch das Vertrauen der Bürger wieder zu stärken, sagte Schäuble. Die Hilfe für EU-Schuldenstaaten machte er von klaren Bedingungen abhängig: "Ohne energische Reformen wäre jede Hilfe nicht zielführend." Die Einführung von gemeinsamen Staatsanleihen der Euro-Staaten, sogenannten Euro-Bonds, lehnte Schäuble erneut ab. Dies wäre "bestenfalls falsch verstandene Solidarität".
An die Adresse Griechenlands mahnte Schäuble: "Die Troika-Mission muss fortgesetzt werden und sie muss zu einem positiven Abschluss kommen. Anderenfalls kann die nächsten Tranche für Griechenland nicht ausgezahlt werden." Das müsse man in Athen respektieren, es gebe hier keinen Spielraum. Die Troika, eine Expertengruppe von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds hatte am Donnerstag die Prüfung der griechischen Sparmaßnahmen ausgesetzt, weil es unterschiedliche Auffassungen zu den Defizitzahlen des Landes gegeben hatte.
Kritik von der Opposition
Schäuble verteidigte vehement den Euro als gemeinsame Währung. "Das Versprechen einer stabilen Währung ist nicht gebrochen, sondern eingehalten", sagte der Finanzminister. Deutschland müsse den Euro verteidigen, "in unserem eigenen Interesse". Mehr als 60 Prozent der deutschen Exporte gingen in andere europäische Staaten. Daran hänge ein wesentlicher Teil der deutschen Arbeitsplätze und des sozialen Sicherungssystems.
Die Opposition hat den Haushaltsentwurf der Bundesregierung als unhaltbar und ungerecht kritisiert. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sei der Schönredner der Koalition, sagte der SPD-Finanzexperte Joachim Poß im Bundestag. Schäubles Haushaltsplanungen unterstellten ein ununterbrochenes Wachstum in den kommenden Jahren. "Das widerspricht jeder Lebenserfahrung", bemängelte Poß. Die angegebenen globalen Minderausgaben von 4,8 Milliarden Euro seien durch nichts belegt.
Auch die Grünen kreideten der Bundesregierung an, von unwahrscheinlichen Einnahmen auszugehen. Beispiele für Luftbuchungen seien die Bahndividende, die Brennelementesteuer und die Einsparungen bei der Bundeswehr, sagte Grünen-Haushaltsexpertin Priska Hinz. SPD, Grüne und Linkspartei warfen Union und FDP zudem vor, die soziale Spaltung der Gesellschaft fortzuschreiben. SPD und Linkspartei kritisierten, Millionäre würden bei den Bemühungen um die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ausgespart anstatt höher besteuert.
Einig war sich die Opposition auch bei der Forderung nach einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte, um künftigen Schuldenkrisen vorzubeugen. Poß kritisierte die Position der Regierung, wonach eine Finanzmarkttransaktionssteuer in der Europäischen Union nicht durchsetzbar sei. "Wer auf Großbritannien warten will, der vergackeiert die Bevölkerung", sagte er. In Großbritannien ist der Widerstand gegen eine Finanzmarkttransaktionssteuer wegen der dort besonders einflussreichen Finanzindustrie sehr ausgeprägt. Die Vorsitzende der Linken-Fraktion, Gesine Lötzsch, erklärte, diese Steuer lasse sich auch alleine umsetzen.
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