■ Tip: Hausgemacht
„Last Exit Hanau“, 21.55 Uhr, arte, im Themenabend zu 1968
An einem Seil schleift er einen Sarg hinter sich her. Darin liegt ein Maschinengewehr, das auf seinen Einsatz wartet. Der epochale Spaghettiwestern von Sergio Corbucci, aus dem diese Szene stammt, wurde in einer Hanauer Kiesgrube leicht modifiziert: Im Geist der 68er Revolte zieht „Django“ eine blutige Schreibmaschine hinter sich her...
Das sei, so der Regisseur dieses hausgemachten Avantgardefilms, „eine Szene von hoher Symbolkraft“. Sie stammt aus der Zeit um 1968, als Hanauer Provinzrevoluzzer in Frankfurter Kinos italienische Western betrachteten. Und mitdemonstrierten: der 68er Mythos. Aufgrund des 25jährigen Jubiläums wurde der Studentenrevolte im vergangenen Jahr zwar ausgiebig gedacht. Doch auf meist uninspirierte Weise: Fein säuberlich wurde das Archivmaterial bearbeitet wie Beete in einem Schrebergarten. 1968 hat ein telegenes Gesicht; die Revolution, so scheint es heute, fand wegen schlechten Wetters im Fernsehen statt.
Deswegen die Dokumentation „Last Exit Hanau“ mit diesem Fernsehen. Ansagerinnen in verwaschenem TV-Color, die die üblichen Rück- und Überblicke ankündigen, geben die hinlänglich bekannten, stereotypen Phrasen von sich: „Love-ins, Sit-ins und Go-ins...“. Schnitt. Ein Apparat segelt auf dem Fenster und zerschellt auf dem Pflaster. Ein enormes Vergrößerungsglas weist uns darauf den Weg nach Hanau, in eine Kleinstadt bei Frankfurt: Was geschah an den Rändern der Revolte? Drang der 68er-Protest bis in die Mitte der Kleinstädte? Diese Fragen hat der Fotograf Gerhard Franz am Beispiel der hessischen Atomstadt Hanau recherchiert. Regie führte Tom Carlé. „Last Exit Hanau“ – unschwer als Hommage an den Titanic-Titel „Last Exit Sossenheim“ zu erkennen – ist ein traumhaft uriger Dokumentarfilm, der die multikulturellen Reibungsflächen zwischen amerikanischen GIs, deutschen Gammlern und einem leidlich entnazifizierten Dorfsheriff liebevoll rekonstruiert. Statt glorreicher Momente sammelt der Film pittoreske Augenblicke des Versickerns des 68er- Geistes im Sumpf des Bürgerlichen. Manfred Riepe
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