piwik no script img

Hausbesuch Verlassen, verraten: Der 1946 geborene Schubert hatte es schwer und hat doch den Weg gefundenEiner, der auszog, das Leben zu suchen

Text Elke HellersiekFotos Lena Böhm

Zu Besuch bei Jürgen Schubert, 69, in Aachen. Früher war er Bäcker, heute ist er Hausmeister. Vatersucher war er immer.

Draußen: Eine Straße mit prächtigen Altbauten. Dazwischen ein Sozialbau aus den 50er Jahren. Verwaiste, vernachlässigte Balkone. Ein winziger Vorgarten quetscht sich neben den Weg zur Haustür.

Drin: Schwere Eichenwand, Zigarettengeruch, Flatscreen und PC. Der Balkon sieht nicht aus, als würde er benutzt, doch in den nagelneuen Kästen stecken Blumen (“Vorige Woche im Baumarkt gekauft“). Der Blick geht auf den Hinterhof mit Garagen, aus einer lugt Schuberts Putzwagen mit Besen, Lappen, allerlei Gerät. Damit pflegt er die Häuser und Gärten der Nachbarschaft. Im Minutentakt rattern Regionalzüge vorbei.

Was macht er? Neben seinem Job hat Schubert einen Verein für Heimkinder mitbegründet, die für ihre traumatischen Erlebnisse in der Nachkriegszeit entschädigt werden sollen. Er selbst hat nichts davon – Schubert war nie im Heim, er war in der Kinderpsychiatrie (“Wir Schwachsinnigen kriegen keine Entschädigung“). Er hat noch einen Verein gegründet: Russenkinder. Er soll den Kindern von sowjetischen Kriegssoldaten in Deutschland eine Stimme geben. Schubert ist fröhlich und freut sich über Besuch. Er will rauchen, lässt es aber, „um die Damen nicht zuzuqualmen, das muss ja nicht sein, so was“.

Was denkt er? „Ob ich meinen Vater finden werde?“ Schubert hat seine Mutter wenige Male, seinen Vater nie getroffen. Der Vater war russischer Soldat im Zweiten Weltkrieg. Schubert sucht mithilfe von guten Bekannten seit Jahren und geht jedem Hinweis nach. Zuletzt hat er ein Foto gefunden. Auf dem schwarz-weißen Gruppenbild der Sowjetsoldaten, stationiert in Glatz, steht ganz rechts ein Mann mit auffälligen Ohren. Sie stehen genau so ab wie die von Schubert. „Meine Mutter hatte auch so ein Ohr.“ Sie hat sich nie um ihn gekümmert, Schubert hat sie das erste Mal gesehen, als er 18 Jahre alt war, und danach nur selten.

Jürgen Schubert: Schlesien im September 1945, ein Vorort von Glatz: Bei Jürgen Schuberts Mutter wird ein russischer Soldat einquartiert. Er ist nett zu ihr, die beiden beginnen ein Verhältnis, sie wird schwanger. Ihr Ehemann, Wehrmachtssoldat und überzeugter Nazi, gilt als tot. Ist er aber nicht. Während der Schwangerschaft kehrt er zurück. Als das Kind, Heinz Jürgen Schubert, am 8. 7. 1946 geboren wird, lässt die Mutter es auf der Entbindungsstation des Krankenhauses zurück. Der heimgekehrte deutsche Ehemann will kein Kind eines Siegersoldaten im Haus.

Stationen: Jürgen Schubert kommt ins Säuglingsheim Bünde, nördlich von Bielefeld. Im Waisenhaus wird er nicht gefördert, „konnte mit drei Jahren weder laufen noch sprechen“. Also wird der Dreijährige in die Kinder- und Jugendpsychiatrie verlegt, „eine Unterbringung für Schwachsinnige, so wurde ich auch genannt“. Rechnen, schreiben und lesen wird kaum gelehrt, stattdessen Religion. Eine Erzieherin behandelt ihn besonders schlecht, sie ist eine Vertriebene, wie Schuberts Mutter. Für sie galt: „Der Russe war der Feind, mit dem ein Kind zu zeugen war Verrat“. Er, Schubert, war somit das Kind einer Verräterin. Die Erzieherin verprügelt ihn mit allem, was ihr in die Finger kommt. Sie nennt Schubert „Bastard“ und „Russenbalg“ (“Ich dachte damals: Kann man das essen?“) und sagt, im Dritten Reich hätte es eine bessere Lösung für ihn gegeben. Schubert versteht nicht, worum es geht. Das hilft ihm nicht. „Ich hatte die Pranke im Gesicht hängen, wenn ich viel dumm fragte.“

Behandlung:Die Nonnen verteilen „süße, kleine Bonbons, von denen wir ständig müde wurden“ – Psychopharmaka, auch im Kaffee aufgelöst. „Der hatte immer so einen komischen Beigeschmack.“ Die Kosten für die Unterkunft übernimmt der Staat. Die Mutter ist zwar bekannt, doch sie behauptet, der russische Soldat hätte sie vergewaltigt. „Eine glatte Lüge, sie hat es selbst zugegeben, als wir uns trafen“, sagt Schubert.

Freiheit: Mit 18 läuft Schubert weg, bekommt eine Lehrstelle in einer Bäckerei, wird Bäcker. Langsam beginnt so etwas wie ein Leben für ihn, „von Tag zu Tag wurde das Leben schöner, es ging einem besser“. Dreißig Jahre arbeitet er in dem Beruf, steht jeden Morgen früh auf, knetet Teig, schleppt Mehl. Behindert oder schwachsinnig ist er nicht. Das wird ihm jedoch erst 1997 attestiert.

Der Alltag: Den Hausmeisterjob macht er zwischendurch, weil die Bäckerrente nicht reicht. „Ein bisschen Wiesen mähen, Gebäude reinigen, alles bei freier Zeiteinteilung.“ Zum Bäcker geht er nur noch als Kunde. „Gegen früher ist das ganz schön teuer. Jetzt bezahlen Sie für ein Stück Butterkuchen vier, fünf Euro.“ Krank werden darf er natürlich nicht, „das ist dann schon verdammt wenig Geld“. Einige Stunden in der Woche sucht er im Netz und per Telefon Leute, die Hinweise auf seinen Vater geben könnten. Seine Homepage, Russenkinder.de, pflegt er gemeinsam mit einem Freund. Immer wenn es etwas Neues gibt, wird die Seite ­aktualisiert.

Wann sind Sie glücklich? Wenn er Fortschritte bei der Vatersuche macht, erfülle ihn das mit Glück. „Und wenn ich gesund bin. Das ist in meinem Alter so, als wäre man Millionär.“ Zwei, drei Kinder hätte er schon gern gehabt. Aber die Psychopharmaka und die Mangelernährung aus den Kindertagen haben das verhindert. Ein, zwei Frauen gab es auch, „die waren schon toll“, mehr sagt er nicht. Schubert wohnt heute allein. „Glücklich bin ich trotzdem.“

Und wie er Merkel findet? Fehler mache die natürlich, aber daran seien ja auch ihre Berater schuld. Gewählt hat er sie nicht. „Ich wähle Linke, was anderes gibt‘s ja nicht!“ Früher war er mal in der PDS, nicht lange und auch schon vor langer Zeit. „Aber neulich war ich bei denen auf’nem Gartenfest!“ Schubert geht zu jeder Wahl, „das muss sein. Und danach schön was Leckeres essen.“

Sie wollenauch besucht werden? Schicken Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen