piwik no script img

Hausbesuch Seine Gottesdienste sind voll, üppig ausgestattet ist seine Kirche mit Engeln und Heiligenbildern. Bei Joseph Wowniuk, dem Erzpriester der russisch-orthodoxen Gemeinde des hl. Prokop in HamburgHeimat, was ist das eigentlich?

von Friederike Gräff (Text) und Miguel Ferraz (Fotos)

Im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel, wo sich Lenzweg und Hagenbeckstraße teilen, ist das Stadtbild unklar. Vornehme Villen stehen dort, daneben erhebt sich ein Hochhausriegel recht monströs, dann wieder ducken sich Häuser aus den vergangenen Jahrzehnten in ihren stilistischen Eigenarten hinter Alleebäume. Hier ist baulich vieles möglich, insofern steht die russisch-orthodoxe Kirche des Heiligen Prokop dort richtig. Ein schöner Kontrapunkt zur westdeutschen Baukultur so vieler Städte.

Draußen: Die Kirche mit den blauen Zwiebeltürmen wirkt so, als hätte sie ein Riese aus dem Russland des 19. Jahrhunderts in das hamburgische 21. Jahrhundert geworfen. Die goldenen orthodoxen Kreuze mit den drei Querbalken oben auf den Türmen sind zwar höher als der Backsteinflachbau nebenan, aber die Hochhaussiedlung dahinter überragt sie doch.

Drinnen: Der Innenraum ist über und über bemalt mit Engeln und Heiligenfiguren. Man kann nicht glauben, dass das erst 1965 geschah – so jung ist die Kirche. Sie ist üppig ausgestattet: Der Boden ist mit Teppichen ausgelegt, überall stehen goldene Leuchter. Auch die dreitürige Wand hinter dem Altar ist mit Gold und Ikonen geschmückt: Die mittlere, die königliche Tür darf nur der Priester benutzen. Gerade sind Freiwillige da, die die Kirche putzen und den Garten pflegen, Frauen mit Kopftuch und Männer in Arbeitskleidung – alle küssen dem Priester zur Begrüßung die Hand.

Was macht er: Joseph Wowniuk, 55, ist Erzpriester der russisch-orthodoxen Gemeinde des hl. Prokop in Hamburg.

Die Gemeinde: Genau kann Wow­niuk nicht sagen, wie viele Mitglieder seine Gemeinde hat, denn sie werden nicht registriert. Voll ist die Kirche auf jeden Fall. Etwa 150 kommen zum Gottesdienst, der mehrere Stunden dauert, Ostern sind es sogar um die 1.000. Es sind vor allem Russischstämmige, die nach der Wende gekommen sind, die meisten sind jung: Die Gemeinde hat bis zu 150 Taufen im Jahr und nur etwa 15 Beerdi­gungen. Teile des Gottesdienste werden auf Altslawisch gehalten: „Die, die regelmäßig kommen, kennen es“, sagt Wowniuk. „Die, die selten kommen, sagen, dort werden doch nur Eier geweiht.“

Die Jungen: Es sind viele Kinder im Gottesdienst, sagt Wowniuk, und oft sind sie laut, dabei herrscht im orthodoxen Gottesdienst eh ein Kommen und Gehen, und die Eltern schauen auch mal zu, wenn die Kinder an den Leuchtern rütteln. Hier in Hamburg sei der Religionsunterricht weniger streng als in Bayern, wo Wowniuk zuvor mit seiner Familie lebte. „Wenn man einen 15-Jährigen hier fragt: Kommst du in den russischen Religionsunterricht?, zeigt er mir einen Vogel“.

Wer ihn beeindruckt hat: Als 25-Jähriger ist Joseph Wowniuk für ein Jahr nach München ins orthodoxe Kloster gegangen. „Mit 25 sollte sich ein Mensch bewusst sein, was er tut“, sagt der Priester. Doch damals war es ihm unklar: das Priestergelübde ablegen und zuvor heiraten, wie in der orthodoxen Kirche für Priester vorgegeben, oder nicht? Der Bischof des Klosters hat ihn „sehr beeindruckt“: ein zweifacher Professor, der perfektes Russisch sprach, ein Mann, der um zwei Uhr morgens vom Gottesdienst aus Hamburg zurückkehrte und um vier Uhr morgens wieder aufstand. Der eine Woche fastete, aber dieses Regime nur von sich und seinen Mönchen verlangte. „Ein Mensch, der alles von sich gibt“, sagt Wowniuk.

Die Familie: Seine Frau lernte Joseph Wowniuk in seiner Zeit am Priesterseminar im polnischen Łódźkennen. Sie ist ein Jahr jünger als er und vermietet Ferienhäuser in Polen. Die Söhne sind 28 und 26 Jahre alt, der eine studiert BWL, der andere Informatik. Ob sie sich auch für Theologie begeistert hätten? Nein, sagt Wowniuk, das Lernen wäre ihnen zu viel gewesen.

Das Geld: Zu seiner Zeit in Bayern hat der Erzpriester noch nebenbei gejobbt, denn die orthodoxen Gemeinden kennen keine Kirchensteuer, sondern finanzieren sich über Spenden. Wowniuk, der kaum Deutsch sprach, hat als Aushilfe gearbeitet, beim Renovieren und im Garten – „alles, was ohne Sprache ging“. In Hamburg kann er darauf verzichten. Es macht ihn stolz, was die Gemeinde allein durch Sammeln, „ohne große Sponsoren oder Reiche aus Russland“ stemmt.

Heimat: Heimatgefühle hat Wowniuk, der in Polen als Sohn ukrainischer Eltern geboren wurde, nicht. Es war Zufall, dass er sich in Deutschland niedergelassen hat. Nach dem orthodoxen Priesterseminar ging er nach Dänemark in die russische Kirche: weil ihn das Ausland reizte und weil es für einen orthodoxen Priester in Polen schwer war, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten; viele dort arbeiteten zusätzlich als Bauern. Eigentlich wollte Wowniuk von Dänemark weiter nach Paris ziehen, um sich dort weiterzubilden, bekam aber kein Visum. Er ging nach Deutschland. Zu einer Heimat, sagt Joseph Wowniuk, ist es ihm nicht geworden. „Aber ich habe es hier gut, ich bin zufrieden.“ Überhaupt, das Wort „Heimat“ findet er schwierig: Im Russischen bedeute es „wo ich geboren bin“, im Slawischen, „wo mein Vater ist“ und im Deutschen „wo mein Haus ist“. Was soll es denn nun sein?

Ein guter Priester: In Deutschland müssten die Predigten modern sein, sagt der Erzpriester, von Politik handeln, von Angela Merkel und den Flüchtlingen. „In der orthodoxen Kirche predigt man über das Evangelium, man soll die Probleme der Welt vermeiden.“ Ein guter Priester soll Vorbild sein – aber die Gläubigen sollten nicht seinetwegen in die Kirche kommen. Wowniuk ist kein Freund von religiösem Zwang: Wenn gemischtkonfessionelle Paare zu ihm kommen, dann rät er ihnen, das Kind in dem Glauben aufzuziehen, der wirklich gelebt wird – sei er russisch-orthodox oder nicht.

Wie findet er Merkel: „Eine sehr gute Meinung“ hat der Priester von ihr gehabt – bis sie erklärte, alle Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. „Da hat sie übertrieben“, findet er. Das sei, als lade eine Hausfrau zehn ein und zwanzig kämen – „das kann nicht funktionieren“.

Sie wollen auch besucht werden? Schicken Sie eine Mail an: hausbesuch@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen