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Hausbesuch Markus Engel lebt als Bestattungsordner in Saarbrücken. Taktgefühl ist für ihn PflichtDer Engel schaufelt das Grab

von Luciana Ferrando (Text und Fotos)

Zu Besuch bei dem Bestattungsordner, Pferdewirt und Schlosser Markus Engel in Malstatt, Saarbrücken.

Draußen: Bergauf mit der S1, der einzigen planmäßig bedienten Straßenbahnlinie Saarbrückens, bis Cottbusser Platz. Malstatt: das Viertel am Rande der Stadt, mit dem schlechten Ruf und den noch bezahlbaren Mieten. Brücke über die Schienen, St.-Josef-Kirche, Kasino, Piercing­laden. Ein leerer Rollstuhl vor der Tür einer deutsch-französischen Bäckerei, leere Läden, dreistöckige Bergarbeiterhäuser. Hellblau, cremefarben, braun reihen sie sich an­einander, verwittert, als hätte es viel geregnet und der Regen Flecken an den Wänden hinterlassen. Markus ­Engel wohnt dort, wo die Straße, nach einer Kurve, die Friedrich-Engels-Straße trifft. „Ein Zufall“, sagt er.

Drinnen:Eckwohnung, Fenster ohne Gardinen, weiße Wände, herbstliches Mittagslicht. Im Sommer zu heiß, jetzt zu kalt, Tee mit Honig und Milch, um sich aufzuwärmen. Tisch, Sofa, kleine Bibliothek, ein Schrank wie bei Oma, ein Flechtkorb für Alma („Seele“ auf Spanisch), die kleine Münsterländer Jagdhündin. Spartanisch. „Nichts Spektakuläres“, sagt Engel immer wieder, im Mittelpunkt steht er nicht gern. Auf einem kleinen Holztisch zwei Ferngläser für seine Wanderungen in der Natur, Millionen Jahre alte Ammoniten auf der Fensterbank.

Engel:Markus Engel lächelt, wenn jemand nicht weiß, dass er Markus heißt. Die Gewohnheit aus der Schulzeit, sich beim Nachnamen zu nennen, hat er beibehalten. Er: Engel. „Es passt gut“, meinen seine Arbeitskollegen des Saarbrücker Friedhofs. Bestattungsordner ist der 36-Jährige. „Da kommt der Engel“, sagen sie und lachen. Engel redet nicht viel und erledigt seine Arbeit: das Loch graben, den Sarg tragen und zuschließen, die Urne beisetzen, den schwarzen Anzug mit Cape und Schirmmütze – in dem er wie ein Dichter des 19. Jahrhunderts („oder wie Jack the Ripper“) aussieht, für die Zeremonie anziehen, den Trauerzug anführen, sich verbeugen, schweigend ­dabei sein.

Der Tod, sein Alltag:„Wie das so ist, mit toten Menschen zu arbeiten“, wollen Freunde und Bekannte immer wieder von ihm wissen. So außergewöhnlich das für die Leute auch klingen mag, seine Aufgabe sei wie jede andere. „Für mich ist der Tod schnell zum Alltag geworden.“ Nachdem sein Vater und sein Opa als Sargträger gejobbt haben, „um ein bisschen Geld dazuzuverdienen“, sei er 2015 auf den Beruf gestoßen. Als Krankheitsvertretung fing er an. Das allererste Mal war schwer. „Der Kontakt mit einem leblosen Körper war ganz komisch.“ Berührungsängste hat er seitdem nicht mehr, doch an den „unbeschreiblichen und allgegenwärtigen“ Geruch gewöhne man sich nie. „Ein Geruch, den ich schon von toten Pferden kannte.“

Naturliebe:Pferdewirt war Engel früher. Nach einer Ausbildung als Schlosser, die „nie Spaß gemacht hat“ und zehn Jahren in einer Schlosserei war ihm klar, dass er etwas anderes wollte. Am liebsten draußen, in der Natur, mit Tieren. In der Natur fühle er sich am wohlsten, nur mit Hund unterwegs, wo es menschenleer und still ist.

Auf zu den Pferden: Als Kind verbrachte er viel Zeit bei seiner Patentante am Rande des Waldes. Dort ist er mit Pferden groß geworden. Deshalb war ihm die Umschulung zum Pferdewirt vertraut. Es war nicht schwer, einen Platz bei einem Kirchheimer Pferdehof in Baden-Württemberg und in einer Reitschule in dem westfälischen Ort Kleinhau zu finden.

Erfahrungssammler:Jeden Tag vier Stunden Kühe melken, landwirtschaftliche Arbeit, Reparaturen, in Kleinhau machte er, was nötig war, und hatte Spaß. Doch dann kam die Zeit zum Wechsel. Das Ende einer siebenjährigen Liebesbeziehung mit einer Pferdewirtin gab ihm den entscheidenden Kick, nach Saarbrücken zurückzukehren. Er bewirbt sich dort als Bestattungsordner und wird angenommen. Den Drang, sich für ­einen bestimmten Beruf zu entscheiden, fühle Engel nicht, die Möglichkeit, weiterzulernen, sieht er immer. Er glaubt auch nicht, als Bestattungsordner alt zu werden. „Es ist eine schöne Erfahrung, aber irgendwann ist gut mit den Toten. Ich muss dann zurück zu den Lebenden“.

Zurück: 2015 ging Engel nach sechs Jahren ins Saarland zurück. In seinen Geburtsort Wiebelskirchen, ein Dorf, etwa 30 Kilometer von seiner Wohnung in Malstatt entfernt, wäre er nicht zurückgezogen. „Die Kindheit dort zu verbringen war schön, danach war es zu eng, zu langweilig.“ Berlin, Hamburg sind ihm dagegen zu groß, Saarbrücken war schon immer seine Stadt. Dort wohnen viele seiner Freunde. Heimat ist da, wo die Freunde sind. Familie auch.

Wie es bei mir so sein wird?“

„Was wäre, wenn auf meiner Beerdigung keiner auftaucht?“, fragt sich Engel, denn bei seiner Arbeit komme es schon vor, dass Menschen „allein ins Grab gehen müssen“. Nur Engel bleibe bei der Person und denke an sie. Er frage sich, wer das war, warum niemand kam. „Sind die Freunde vielleicht schon tot? Gab es überhaupt Freunde? Wird irgendjemand noch an ihn denken, sich an ihn erinnern?“ Wenn sich der Verstorbene eine Rede gewünscht hatte und niemand kommt, dann erzählt ein Pfarrer trotzdem seine Geschichte vor sich hin. Solche Tage, an denen er allein in der Kapelle bei einem fremden Toten sitzt, sind melancholisch, an diesen Tagen findet er seine Arbeit dann doch traurig. Sonst gefällt es ihm gut, „draußen“ auf dem Friedhof zu sein – auch im Winter, bei Regen und Schnee –, und es gefällt ihm vor allem, ­„einen Job zu machen, den jema­nd machen muss“.

Pietät und Ordnung:Mehr Angst vor dem Tod als früher oder auch weniger empfinde er nicht. Er hat „praktische“ Ängste, zum Beispiel, dass er einen der Angehörigen kennt und es diesem unangenehm sein könnte, ihn in seiner Rolle zu sehen. „Ich würde einen Kollegen bitten, meine Aufgabe zu übernehmen“, sagt er. Auch dass etwas schieflaufen kann, beschäftigt ihn. „Manchmal träume ich von Trauerfeiern, die wegen mir nicht gut ausgehen, in denen alles durcheinandergeht.“ Es sind nächtliche Albträume, und er sagt, so was dürfe wirklich nicht vorkommen. Taktgefühl sei Pflicht, ein Bestattungsordner sei nun einmal da, damit die letzte Zeremonie für einen Menschen „pietätvoll und ohne große Überraschungen“ abläuft. „Ordnung muss auch beim Sterben sein“, sagt er und lacht.

Feierabend:Ordnung ist keineswegs immer gleichbedeutend mit Langeweile. Markus Engels Arbeitstage sind immer anders. Wenn es keine Beerdigung gibt, müsse er beispielsweise „abgelaufene“ Grabsteine entfernen. Wenn mehrere Trauerfeiern geplant sind, muss er die Leute diplomatisch wegschicken: „Es tut mir leid, aber es kommen schon die nächsten Gäste.“ Bei muslimischen Zeremonien hat er weniger zu tun als bei katholischen, denn die Angehörigen schaufeln die Erde dann selbst. Grünanlagen pflegen, kleine Bauarbeiten gehören zu seinen Aufgaben. Engel mag das Unerwartete: Eine ältere Frau fällt in Ohnmacht, ein Gast erscheint, den niemand kennt, wie im Film. Und er mag Feierabend: alles hinter sich lassen, seine Freunde treffen und mit seinem Hund Alma im Wald verschwinden, bis es dunkel wird.

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