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Hausbesuch Er war Kneipenbetreiber, Schiffskoch, Hotelgastronom und wird Clown. Bis heute ist Dieter Junior ein Vielkönner. Er lebt mit 70 weiteren Leuten in der am längsten existierenden Kommune in DeutschlandEiner unter vielen

von Aline Leimbach (Text) und Helena Schätzle (Fotos)

Niederkaufungen, Nordhessen. Zu Besuch bei Dieter Junior, 60.

Draußen: Erst geht es am Holzlattenzaun mit dem Schild für den Hofladen „Wilde Rübe“ vorbei, dann an aufgeräumter Dorf­idylle. Auch der Hof des ehemaligen Bauernguts, wo die Kommune lebt, ist gefegt, nur ein paar herabgefallene Blätter liegen noch herum, ein wenig Sand aus dem Sandkasten ist verstreut auf den grauen Fliesen. Hinter dem Haus wird es bunter. Da stehen schief gewachsene Bäume. Da ist der riesige Garten mit der Scheune fürs Elek­tro­auto und der Kleiderkammer. Ach so, und bevor es reingeht: Handys bitte ausschalten – wegen der Strahlung.

Drin: Gemütlich, geräumig, alles in warmen Farben gehalten. 70 Männer, Frauen und Kinder leben in Niederkaufungen zusammen in zwei Wohnhäusern. Der Älteste ist 67, das Jüngste drei Jahre alt. Alles ist luftig und groß, nur Dieter Juniors Zimmer nicht, neun Quadratmeter, „das genaue Gegenteil von dem, was ich mal hatte“, sagt er. An den Wänden: Bilder von ihm und einer Frau. Seiner Frau? Ja. Im Frühjahr hat er geheiratet. Bürgerlich und wie man es so macht. Bilder von der Hochzeitsreise in Südfrankreich. Die beiden auf einer grünen Wiese, Juniors Gesicht mit spitzbübischem Lächeln. Auf einem anderes Foto ein ganz anderes Gesicht: Er mit seiner früheren Familie. Das Lächeln freundlich, aber blass wie das mintgrüne Hemd, das er auf dem Bild trägt. Das war, bevor er in die Kommune ging und sein Leben mit einer sinnhaften Idee vom einfachen Leben verband, seine Einnahmen in die Gemeinschaftskasse steckte, seine Arbeit an der Kommune ausrichtete.

Dieter Junior: Gebräunt, jovial, mit freundlich-rundlichem Gesicht unter den grauen, kurzen Haaren. Unter den Ärmeln sieht man seine Muskeln. Die Mitgliedschaft im Fitnessstudio, die muss sein – trotz des Lebens in der Kommune. Auch wenn ein paar andere meckern. Momentan pausiert er aber. Gelernt hat er Koch. Er isst gerne. Das sieht man ein wenig an seinem Bauch.

Lachen: Die Lachfalten in Juniors Gesicht geben schon Hinweise. „Ich mach schon ganz gern mal einen Scherz“, sagt er trocken. Sarkasmus, das ist auch sein Ding. Zurzeit macht er eine Ausbildung zum Clown im Altersheim. „Es war mal Zeit für was Neues.“ Nach der eineinhalbjährigen Ausbildung will er dann in der Tagespflegeeinrichtung der Kommune auftreten. Nur das Singen, das ist noch ein Problem, denn das kann er nicht, auch wenn das bei alten Leuten gut ankommt, weil es viele Erinnerungen wachruft.

Nein: „Nein ist ein ganz wichtiges Wort, gerade in der Kommune“, sagt Junior. Da seien einige schon dran gescheitert. Er habe es auch lernen müssen. Nicht zu allen, mit denen er zusammenwohnt, hat er ein gutes Verhältnis. „Es ist nicht gleichgeschaltet und das ist gut.“ Ein großes Ganzes, aber darin gibt es keinen Gruppenzwang.

Freiräume: „Momentan kapsele ich mich ein wenig ab. Da gönn ich mir ab und an mal Zeiten, wo ich nicht zum Gruppentreffen gehe. „Auf der Straße bin ich froh, wenn ich nicht sofort als Kommunarde erkannt werde.“ Er will in keine Schublade gesteckt werden.

Die Karriere: „Ich habe alles ausprobiert, was möglich war.“ Schiffskoch, Kneipenbesitzer, Hotelkoch, manchmal sei er 16 Stunden am Tag gerannt. Ab den neunziger Jahren gab es ein schrittweises Umdenken. Auch ökologisch. „Das, was ich auch bei der Arbeit gemacht habe, hat mir nicht immer gefallen. Auf dem Schiff wirft man meist alles über Bord.“ Irgendwann hat er probeweise in einer solidarisch geführten Kneipe gearbeitet, bevor er sich mit 52 entschloss, in die Kommune zu gehen.

Der Fanbrief: Einmal schrieb er einen Brief an Eugen Drewermann. Dessen Buch „Der tödliche Fortschritt“ hat Junior in den neunziger Jahren gelesen. „25 Jahre alt ist das Buch, aber immer noch aktuell.“ Es geht um Wachstum und was dahintersteckt. Viele politische Bücher habe er sonst nicht gelesen. Aber dieses, das hat was ausgelöst, auch beim damaligen Noch- nicht-Kommunarden. „Wie rauskommen aus dem Schaden machenden Leben?“, fragte er sich. Zeitweise wurde er sogar Vegetarier. Gerade weil das Buch so viel bewegt hat, schrieb er einen Brief an den Autor – und wurde von diesem ermuntert, „weiter den Weg der Nachhaltigkeit zu gehen“.

Die Grünen und die FDP: Lange Zeit hat er den Grünen nahegestanden. „Mittlerweile bereue ich das.“ Jutta Ditfurth ist ihm schon immer lieber als Joschka Fischer gewesen. „Wenn ich den heute sehe und erst sein Buch, ‚Mein langer Lauf zu mir selbst‘ “ – er rollt mit den Augen. Spätestens in der Regierungskoalition mit Schröder war Schluss mit der Sympathie. „Dass die Grünen mal da landen, wo die FDP heute ist, den stillen Wunsch habe ich.“ Zurzeit überlegt er, ob er bei der Linken eintritt.

Die Liebe: Am Finger der silberne, unauffällige Ring mit goldenem Innenschnörkeln. Zwei Elemente, die sich vermischen. Im Frühjahr hat er geheiratet. Eine Frau von außerhalb der Kommune. „Klar, manche fanden das komisch, aber einige ziehen hier jetzt auch nach.“ Für ihn war das genau die richtige Entscheidung. „Das hat mit Spießertum nichts zu tun.“

Wie ist das ohne Eigentum? Befreiend. „Keine Bankkarte, das fühlt sich wirklich gut an.“

Und was, wenn man dann doch mal was kaufen will? Dafür gibt es die gemeinsame Ökonomie. Eine Geldkassette. „Jeder kann sich nehmen, was er braucht.“ Erst ab einem Betrag von 150 Euro wird das Plenum einberufen, darüber zu entscheiden. Das scheint zu funktionieren. Auch insgesamt. Denn die Pro-Kopf-Ausgaben betragen 1.000 Euro für jeden in der Kommune – im Jahr, nicht im Monat.

Was macht Junior glücklich? Seine Frau. Und wenn die Dinge des Tages erledigt sind. Dankbar ist er dafür, dass er sich entschieden hat, auf der Kommune zu leben. „Das ist ein Stück gelebte Utopie.“

Und wie findet er Merkel? Sie hatte dieses Jahr in Bayreuth ein schönes Kleid an.

Sie wollen auch besucht werden? Schicken Sie eine Mail an: hausbesuch@taz.de

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