Hausbesuch Die Stadt gehört den Menschen: In Schleswig-Holstein eignen sich Leute deshalb gerade die 17.000 Quadratmeter der alten Knechtschen Hallen von Elmshorn an. Mit Chuzpe, Fantasie und Ideen: Wenn erst der Bauzaun weg ist
von Geraldine Oetken (Text) und Miguel Ferraz (Fotos)
Zu Besuch bei Visionären und Visionärinnen in Elmshorn. Sie wollen die brachliegenden denkmalgeschützten Knechtschen Hallen mitten in der Stadt nordwestlich von Hamburg neu nutzen.
Draußen: „Köllnflocken“ steht auf dem Schild, das über die Dächer ragt. Graffiti blitzen auf den Fensterresten durch. „Heute nur Farbe, morgen Sprengstoff“, ist so ein Spruch, den die Sprayer auf Mauern sprühten. Auf einem Schild steht: „Auf Gleis eins Vorsicht bei der“ – der Rest der Warnung hängt im Wind. Rote, leere Backsteinfassade, im Immobilieninserat würde „Industriecharme“ stehen, sechs Stockwerke, die Knechtschen Hallen. Drumherum viel Platz.
Drinnen: Ein fetter, klarer Sonnenstrahl drückt sich durchs Portal ins Kranhaus – den Raum des Freundeskreises der Knechtschen Hallen, den sie liebevoll „Keimzelle“ nennen. Drinnen ist es kalt, aber nicht so kalt, dass der blitzend neue Holzofen angemacht werden müsste. Neben der Bühne stehen ein paar Schreibtische, improvisiertes Dekor. Der Innenhof wurde schon von einer Hochbeetlandschaft, wie Hobbygärtner sie sich erträumen, erobert. Weiter hinten: mehr Platz, mehr Halle, noch abgesperrt, es zieht.
Der Verein: Fünf leicht aufgeregte Menschen stehen im Kreis. Zögerliche Namensrunde: Jens Jähne ist Anwalt und Vorsitzender des Freundeskreises, Peter Kruse nennt sich freier Berater, Irina Noack ist Gartenbautechnikerin, Edzard Kröger Tischler und Restaurator, Sabine Kück Angestellte im öffentlichen Dienst und freischaffende Künstlerin. Sie nennen sich Freunde, Freundeskreis der Knechtschen Hallen in Elmshorn. 120 Mitglieder hat der Verein bisher. Die Kranhalle, wo sie jetzt stehen, ist noch größtenteils Industriebrache. Sie wollen sie erobern, zum Kulturzentrum machen. Die Kranhalle ist erst der Anfang. „In Eigenarbeit renoviert“, sagt Jähne und führt herum. Er geht vor die Hallen, zeigt auf die zersplitterten Fensterlöcher, zeigt auf die Mauern daneben und sieht schon: Loftwohnungen, geteilte Werkstätten, Ateliers, Büros, Ausstellungs- und Veranstaltungsräume. Platz für alle.
Wem gehört die Stadt? „Uns“, rufen alle fünf, wie auf Stichwort. 50.o00 Einwohner hat Elmshorn. Jähne sagt: „700 Menschen zählen wir zum größeren Unterstützerkreis des Vereins.“ Das lässt sich schon in Verhältnissen ausdrücken, 1,4 Prozent der Stadt haben etwas mit den Knechtschen Hallen zu tun. Sabine Kück fragt: „Wo waren die Leute die ganze Zeit?“ Als sie vor fünf Jahren nach Elmshorn zog, hatte sie das Gefühl, dass die Stadt so klein sei. „Jetzt, wo sich hier was bewegt, kommt sie mir viel größer vor.“
Die Ideen: Die Freunde aus dem Freundeskreis bemächtigen sich der Stadt, bringen Ideen ein, öffnen ein Repair-Café, flicken Räder zusammen mit Flüchtlingen, öffnen ein Kunstatelier, machen Workshops, lernen gemeinsam schweißen, veranstalten Konzerte. „Alles ist erlaubt“, sagt Jähne. „Zum Beispiel, wenn jemand an einem Tag einen Pro-TTIP-Tag veranstalten will, und andere am nächsten Tag eine Kontra-TTIP-Sitzung, dann ist hier für beide Platz.“ „Den Pro-Leuten würde ich dann aber doch den Strom abdrehen“, meint Peter. „Alles ist erlaubt“, sagt Jähne, „außer, es stehen extreme oder böse Ansichten dahinter. Oder jemand will sein kommerzielles Produkt bei uns platzieren.“ Zweimal im Monat ist Stammtisch, dann dürfen alle, ob Mitglied oder nicht, Projekte vorschlagen.
Miteinander: Als Gartenbautechnikerin übernimmt Irina Noack im Innenhof das Urban Gardening – im ländlichen Elsmhorn ist das mehr Gardening als urban. Gemeinsam mit Kitakindern gräbt und sät und jätet sie in den Beeten. Es sind Beete, die für alle da seien. „Ganzheitlich ist der Anspruch“, sagt Noack. Den Kleinkindern das Kräuterziehen und Kräuterteemachen zeigen, für die Geflüchteten und das Willkommensteam Gemüse zum Kochen wachsen lassen, und ein Verein zur Unterstützung psychisch kranker Menschen ist auch dabei. Die vielen verschiedenen sozialen Initiativen in Elmshorn sollen über die Hallen zusammenkommen.
Zugang: „Bald kommt der Bauzaun weg“, sagt Noack „Man kann dann so vorbeikommen und sich Gemüse mitnehmen.“ Wenn keine Zäune den Zugang versperren, komme auch niemand in Versuchung, sie einzureißen, dann werde auch weniger kaputtgemacht.
Die Hallen: Ursprünglich wurden sie als Lederfabrik gebaut und bis in die fünfziger Jahre genutzt, später stapelte die Firma Kibek darin ihre Teppiche. Von 2006 bis 2014 lagen Gelände und Gebäude brach. Brach ist aber nicht leer, nicht Vakuum, für Sprayer waren die Mauern Leinwände, für Träumer waren die Hallen Rückzugsort, und für Entdecker waren sie unbekanntes Terrain. 16.000 Quadratmeter groß ist das gesamte Gelände, 7.000 Quadratmeter wurden nun dem Verein vom Besitzer der Kibek-Teppiche zur Verfügung gestellt. Seit 2014 renoviert der Freundeskreis peu à peu Teile der Gebäude mit Geld des Verkehrsbundesministeriums aus der Initiative „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau – Innovationen für Innenstädte“. Inzwischen haben sich auch wieder Sprayer gemeldet, die dort Street Art machen wollen, nun aber legal.
Eigentum verpflichtet? „Na ja“, sagt einer. Ein anderer: „Ja, Eigentum verpflichtet.“ Die Brandstiftereien während des Leerstands hätten die größten Schäden verursacht. Momentan verhandelt die Stadt mit dem Kibek-Besitzer über den Kauf der Hallen. „Wir wollen als Bürger uns sichtbar machen“, sagt er. Wem die Stadt gehört, darin sind sich die Freunde einig gewesen: ihnen nämlich. Mit dem Projekt wollen sie sich Mitsprache über das Stadtgeschehen sichern.
Das Futur II:Wenn dann so eine ganze Kulturfabrik dort steht, wo mal Lederriemen gemacht wurden, wenn sich dann dort also der Kreativwirtschaftsstandort – ein neues Lieblingswort der Bürokratie – Elmshorn entwickelt haben wird, und nicht nur Hobbykünstler, sondern auch Berufskreative sich einnisten, wenn das alles bunt und lebendig geworden sein wird, die Wohnungen oben als Lofts stehen und da weiter unten der öffentliche Stadtgarten, dann, dann, dann. Dann wird alles erfolgreich gewesen sein. Und auch eigenes Geld kommt ins Spiel, von Bürgern will der Freundeskreis Geld sammeln, um sich in einen Investorenpool für die Hallen einzukaufen. Das alles dauert. Deshalb wird eine Weile lang noch improvisiert. Noch steht der kaputte Staubsauger mit seinem Smiley-Gesicht umgekippt im Dreck, und am Wochenende ist aufräumen angesagt.
Und wie finden sie Merkel? „Beständig“, sagt Kruse. Und Kröger: „Ich hätte nie gedacht, dass ich überlege, mal CDU zu wählen.“ „So weit will man jetzt ja nicht gehen“, sagt Kruse daraufhin.
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