Hauptstadtkunst in Großbeeren: Industriecharme statt White Cube
AGS Froesch und der Landesverband Berliner Galerien machten die Lagerhalle des Logistikers zum Treffpunkt der Kunstfreunde.
Wo fünf Kilometer vor der Berliner Stadtgrenze noch vor 25 Jahren die Brandenburger Heide brachlag, erstreckt sich heute mit dem Güterverkehrszentrum Großbeeren eines der größten Logistikzentren Europas. Als das Projekt angeschoben wurde, rechnete man mit 1000 neuen Arbeitsplätzen, heute sind es 9.000. Großbeeren zeichnet eine einmalige Lage aus, kreuzen hier doch drei transeuropäische Verkehrskorridore, was tägliche Zugverbindungen zu den deutschen Seehäfen, nach Russland und nach Asien möglich macht.
Hier lagern aber nicht nur Güter, die schnellst möglich nach Hamburg oder Kaliningrad transportiert werden sollen, hier lagert auch Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie, seit im Jahr 2015 ihre Sanierung einsetzte und dazu peu à peu 35.000 Teile des Gebäudes demontiert, katalogisiert und eingelagert werden mussten.
Unter anderem bei der in Großbeeren angesiedelten AGS Froesch, einem 1927 in Koblenz gegründeten Familienunternehmen, inzwischen aber ein internationaler Player im Bereich Logistik. Neben Wohnungs-, Büro- und Projektumzügen, ist die Firma auf Kunstlogistik, -lagerung und -versicherung spezialisiert.
Das Lager als Kommunikationstreffpunkt
Selbstverständlich nehmen die Berliner Galerien, wenn sie auf Messen gehen und auswärts verkaufen, die die Dienste von Froesch in Anspruch. Aber auch das Auswärtige Amt und Diplomatische Vertretungen, und internationale Organisationen wie die Europäische Zentralbank lassen die Umzüge ihres Personals durch Froesch organisieren.
Hier nun sahen der Vorstand des Landesverbands Berliner Galerien (LVBG) und der Leiter der Froesch Niederlassung Großbeeren eine interessante Querverbindung. Warum nicht die Leute, die umziehen und sich teils neu einrichten mit den Berliner Galerien und ihrem jeweiligen Programm bekannt machen? Und zwar an genau dem Platz, an dem sich beide Partien treffen, den Lagerhallen von AGS Froesch?
So könnten sie doch diesem ersten Kontakt ein Besuch der Galerie folgen. Und womöglich würde man dann auch fündig in Hinblick auf ein passendes Kunstwerk, das den Umzug und die Neueinrichtung symbolisch verankert? So kam man also letztes Jahr einfach zwanglos zusammen. In diesem Jahr wurde die Idee etwas ausgebaut und nun zeigten an einem Abend 29 Galerien an und zwischen den zig Merter hochgestapelten Containern Arbeiten der von ihnen vertretenen Künstler.
Der Alltag des Kunsthandels
Diese gewitzte Aktion repräsentiert den Alltag des Kunsthandels, wo viele engagierte mittelständische Galerien sich zehn Prozent des weltweiten Kunsthandels teilen, während zwei Dutzend Großgalerien und eine handvoll Auktionshäuser 90 Prozent des Volumens vereinnahmen. Wer da mitspielen will, kann sich leicht verheben, wie das gerade in den Medien groß aufgemachte Beispiel des wegen Kunstbetrugs im großen Maßstab beschuldigte Berliner Galerist Michael Schulz zeigt.
Es hatte seinen Reiz, Peter Tollens in verschiedenen Orangetönen variierenden Aquarelle statt im White Cube der Galerie Albrecht nun im Umfeld von blau, weiß oder schwarz angestrichenen Stahlcontainer und rohen, hölzernen Transportkisten zu sehen. Oder Juergen Holtz' Selbstporträt „Mich“ (2015), das die Galerie Bernet Bertram mitbrachte und in dem sich Holtz als kleiner Junge festhält, umgeben von brennenden Häusern und fliehenden Menschen.
Der heute 85 Jahre alte Schauspieler, der ein zeichnerisches und malerisches Werk vorweisen kann, erinnert sich an das Kriegskind, das er war. Aber dann setzt er sich als Hut kess einen kleinen Blumentopf auf den Kopf. Und dieser Blumentopf auf dem Kopf, der könnte das Symbolbild für den Kunstabend beim Logistiker sein. Eine Geste fröhlich-verwegener Zuversicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!