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Archiv-Artikel

Hauptspeise: Raupen

aus Kaitano GODFREY KARORO

In den drei kleinen Läden von Kaitano gibt es viele schöne Dinge. Kerzen, Bonbons, Kekse, Porzellanteller und vor allem das lokale Bier, ein trübes Gesöff in Zwei-Liter-Kanistern. Aber das Wichtigste gibt es nicht: Brot, Gemüse, Speiseöl. Vor allem das Grundnahrungsmittel von Simbabwe fehlt: Maismehl.

„Es ist schon lange her, dass wir hier Maismehl hatten“, sagt Verkäuferin Muchaneta. „Kaum jemand liefert hierher, und die Transportkosten steigen, so dass wir nicht viel ankaufen können.“ Wenn die Geschäftsleute von Kaitano einkaufen wollen, müssen sie für unglaubliche Summen Lastwagen mieten und über 110 Kilometer auf einer ungeteerten Bergstraße durch das Mavuradona-Bergmassiv in die nächste größere Stadt Mt Darwin fahren. Oder 70 Kilometer weiter in die Provinzhauptstadt Bindura. Oder gleich 270 Kilometer in die Hauptstadt Harare.

Kaitano, eine trockene Region Richtung Mosambik, wo sich 18.000 Menschen über verschiedene Dörfer verteilen, hat zwei schwere Dürren erlebt und steht jetzt am Rande einer Hungersnot. Es gibt eigentlich überhaupt nichts mehr zu essen, sagt Gemeinderat Masha Katanha. Das Vieh stirbt, weil alles Gras gefressen ist. „Seit November leben die Leute von Wurzelsuppe und teilen sich wildes Obst mit den Affen. Sie essen Termiten und Raupen.“ Die Leute leben in einfachen Rundhütten aus Lehm mit Grasdächern, üblicherweise drei pro Haushalt: In einer schlafen die Eltern, in einer die Söhne und in der dritten, die auch als Kochstelle dient, die Töchter.

50 Fälle Ruhr pro Monat

„Viele Kinder kommen schon nicht mehr zur Schule“, sagt Grundschuldirektor Gibson Kapurura, und dieses Jahr erwartet er noch leerere Klassenzimmer. „Es muss jemand kommen und die Kinder ernähren.“ Oberschwester Julia Dzveya von der Ortsklinik berichtet über eine Unterernährungsrate bei Kindern unter fünf Jahren von 8 Prozent im vergangenen Jahr, die erst zurückging, als das UN-Kinderhilfswerk Unicef eine Sonderaktion für Kleinkinder startete. Dieses Jahr rechnet sie mit einer Verschlechterung. „Wir bekommen sehr viele Durchfallpatienten. Diesen Monat hatten wir schon 50 Fälle von Ruhr.“

Jeder braucht Hilfe

Heute ist ein Glückstag in Kaitano. Die US-Hilfsorganisation World Vision führt ihre monatliche Lebensmittelverteilung im Auftrag des UN-Welternährungsprogramms WFP durch. Über 3.000 Leute haben sich geduldig in der drückenden Sonne aufgereiht und warten, bis sie drankommen. Wer nach vorne kommt, lässt seinen Namen anhand einer Liste kontrollieren und nimmt dann seine Ration entgegen: zehn Kilo Maismehl, ein Kilo Bohnen, drei Pfund Mehl und 600 Milliliter Speiseöl. Das muss für einen Monat reichen.

Nicht jeder ist bezugsberechtigt. Das WFP, das die internationale Lebensmittelhilfe für Simbabwe sammelt, entscheidet zusammen mit seinen Partnern, die vor Ort die Verteilung durchführen, welche Gebiete prioritär versorgt werden und wer dort prioritär etwas bekommt. An erster Stelle stehen allein erziehende Eltern, die HIV-positiv sind; Haushalte, die von unter 16-Jährigen geführt werden; alte Menschen, die Waisen großziehen; Menschen ohne verdienende Angehörige oder Vieh. Die Partner müssen vor Ort feststellen, wer diese Kriterien erfüllt. „Sie müssen den Dörfern die Kriterien erklären, und diese teilen sich dann unter Aufsicht selbst ein“, erklärt Luis Clemens, Sprecher des WFP. „Das Mandat lautet, die Ärmsten der Armen zu ernähren, und so sind diejenigen, die ein Einkommen haben, nicht bezugsberechtigt.“

Kaitano ist so arm, dass hier jeder Haushalt etwas bekommt. Aber es gibt pro Haushalt eine Obergrenze von fünf Bezugsberechtigten. Das stößt oft auf Unverständnis, weil die meisten Familien viel größer sind. „Ich habe acht Münder zu füttern, aber bin nur für fünf berechtigt“, klagt die 60-jährige Taguma Chareka, als sie nach langem geduldigem Warten ihre Rationen entgegennimmt. „Das heißt, dass schon lange vor Monatsende nichts mehr übrig ist. Die Rationen reichen nur für drei Wochen.“

Herbert Kucherera, lokaler Vertreter von World Vision, stimmt zu – er schätzt, dass hier jede Frau durchschnittlich acht Kinder hat. „Viele Männer glauben hier, dass man umso mächtiger ist, je mehr Frauen und Kinder man hat“, sagt er. Aber er kann die Regeln nicht ändern. Als Ausgleich hat der Distriktrat von Mt Darwin ein „Food for Work“-Programm gestartet: Dorfleute helfen beim Bau von Straßen, Schulen, Latrinen und kriegen pro Monat ein wenig Geld, um Mais oder Gemüse zu kaufen.

Aber selbst mit Geld lässt sich der Hunger nicht lindern. „Wir haben Geld und können nichts kaufen“, ärgert sich Oberschwester Julia Dzveya. „Wir hungern mit vollem Geldbeutel. Mit dem Bus nach Mt Darwin und zurück zu fahren, um einzukaufen, kostet 2.400 Dollar (43 US-Dollar nach dem offiziellen Wechselkurs, 2 nach dem Schwarzmarktkurs). Ich weiß nicht, wann ich zuletzt Brot gegessen habe.“

Eigentlich ist diese Gegend eine Hochburg der simbabwischen Regierungspartei Zanu/PF (Zimbabwe African National Union/Patriotic Front) von Präsident Robert Mugabe. Die Partei hat die gesamte Provinz Mashonaland Central zur Sperrzone erklärt; ausländische Journalisten sind nicht zugelassen. Wer unabhängige Zeitungen liest, kann hier ernste Probleme bekommen. Simbabwes allererstes Ausbildungszentrum für Zanu-Jugendmilizen, nach ihrer Uniform im Volksmund „grüne Bomber“ genannt, entstand hier.

Keinerlei Parteiwerbung

Aber in den Zeiten des Hungers schwindet auch die Macht der Partei. World Vision hat strikt jegliche parteipolitische Aktivität in der Nähe der Lebensmittelverteilung verboten – eine Lektion aus Vorfällen in Insiza im vergangenen Jahr, als Parteiführer die Verteilung von Lebensmittelhilfe an sich rissen und die Hilfswerke daraufhin abzogen. Wer mit dem T-Shirt oder Plakat einer Partei auftaucht, Parteislogans aufsagt oder Signale gibt, die auf politische Loyalitäten hindeuten, bekommt nichts.

Normalerweise, erklärt die alte Bäuerin Chareka, kann ihre Familie pro Jahr 60 50-Kilo-Säcke Mais ernten und auch Baumwolle dazu, was reicht, um Lebensmittel, Kleidung, Steuern und Schulgelder zu bezahlen und sogar noch etwas anzusparen, um Vieh zu kaufen. „Aber dieses Jahr wird schlimm“, meint sie. „Wir haben noch keinen vernünftigen Regen gehabt und können nichts pflanzen.“ Zu Kolonialzeiten war die Gegend um Kaitano ein Naturpark voll Wild. Leider ist hier auch die Tsetsefliege heimisch, die die Schlafkrankheit verbreitet. Seit Jahrzehnten gibt es Programme, die Tsetsefliege auszurotten, und seit 1995 lassen sich hier schwarze Kleinbauern nieder, angelockt von dem vielen leeren Land, das sich theoretisch hervorragend für Baumwolle eignet. Aber bis heute kommt kaum jemand. Die Angst vor der Tsetsefliege, die mörderische Hitze und die Entfernung von den Städten schrecken viele ab.

Gemeinderat Katanha sagt, dass viele Bauern von Kaitano im Oktober Saatgut von World Vision erhielten – aber es mahlen ließen, um damit verhungernde Kinder am Leben zu halten, statt es auszusäen. Im April soll die WFP-Verteilung auslaufen – denn dann steht in Simbabwe die nächste Erntezeit an. Aber: „Wir schätzen, dass es in dieser Saison in Kaitano praktisch keine Ernte geben wird“, sagt World-Vision-Vertreter Kucherera. „Es gab Regen vom 3. bis 5. Januar und seitdem nichts.“ Was dann kommt, weiß keiner.

Bis jetzt hat das WFP für Simbabwe 116.000 Tonnen Lebensmittelhilfe besorgt und 2,7 Millionen Menschen ernährt. Aber neuerdings schätzt das UN-Programm die Zahl der von Hunger bedrohten Simbabwer auf 7,2 Millionen – weit über die Hälfte der Bevölkerung.

Die Maisproduktion Simbabwes ist 2001–2002 drastisch gesunken, weil die meisten kommerziellen Großfarmen aufgrund der Landbesetzungen durch Milizen die Produktion einstellen mussten und die neu angesiedelten Kleinbauern weder Kapital noch Materialien hatten, um den Ausfall auszugleichen. In der Saison 2002–2003 wird ein erneuter Ernterückgang um 50 Prozent erwartet. Anreize für simbabwische Bauern, mehr Mais anzubauen, gibt es nicht: Sie müssen ihre Ernte an die staatliche Getreidebehörde GMB (Grain Marketing Board) abgeben – zu einem staatlich festgesetzten Preis, der nicht einmal die Produktionskosten deckt. So wird immer weniger Mais angebaut, stattdessen immer mehr Gerste. „Eine Bierknappheit gibt es in Simbabwe nicht“, erklärt WFP-Sprecher Clemens. „Der Gerstenpreis ist nicht staatlich festgesetzt.“

Das GMB hält auch das Monopol auf Maisimporte – aber weil die Regierung kaum noch Devisen hat, kann sie nicht genug einkaufen. Überdies wird das GMB-Maismehl nicht an Bedürftige verteilt, sondern verkauft – vorzugsweise an regierungstreue Bürger unter Kontrolle der „grünen Bomber“. Das ist nicht einmal ein gutes Geschäft: Während das GMB den Mais auf dem Weltmarkt für 200 US-Dollar pro Tonne einkauft, verkauft sie ihn für 10.600 Zimdollar – das sind sogar nach dem offiziellen Wechselkurs nur 190 Dollar und nach dem inoffiziellen Kurs etwa 8 US-Dollar. Ein Verlustgeschäft – für den Staat und die Hungrigen.

„Lange Zeit war Simbabwe die Kornkammer des südlichen Afrika“, erinnert sich Clemens. „Wir hoffen, dass dies irgendwann wieder der Fall sein wird. Das hängt von vielem ab: vom Regen und von vernünftiger Agrarpolitik. Wir werden weiterhin Hilfe leisten. Und wenn das Land wieder normal ist, gehen wir. Wie lange das dauert, wissen wir nicht.“