Hauptschulreform in Rheinland-Pfalz: Hauptschule nur angekratzt
Rheinland-Pfalz lässt Haupt-und Realschüler jetzt zusammen lernen. Bildungsexperten ist das nicht radikal genug. Denn auch weiter entscheidet sich früh, wer aufs Gymnasium darf.
BERLIN taz Verhalten reagiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auf die Ankündigung, dass Rheinland-Pfalz seine Haupt- und Realschulen zusammenlegen will. "Wir hätten uns einen größeren Schritt in Richtung Gemeinschaftsschule gewünscht", sagte GEW-Vorstand Marianne Demmer.
Konsequent wirken die Pläne tatsächlich nicht: Rheinland-Pfalz schafft die Hauptschulen ab - den Hauptschulabschluss soll es aber weiter geben. "Realschule plus" heißt das neue Konzept der rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD), das ab 2009 umgesetzt werden soll.
Haupt- und Realschule werden dann zusammengelegt. Doch nur bis zur siebten Klassenstufe lernen die Schüler gemeinsam. Danach werden sie weiter in einen Haupt- und einen Realschulzweig sortiert. Nur an manchen mittleren Schulen in Rheinland-Pfalz soll es auch über die siebte Klassenstufe hinaus gemeinsamen Unterricht geben. "Regionale Schule" nennt sich dieses Modell, das heute mancherorts schon existiert.
Der Vorteil: Wer in Mathe gut ist, aber in Englisch schlecht, bekommt jeweils den entsprechenden Kurs. Kritisch sieht Gewerkschafterin Demmer allerdings, dass weiterhin nach der Grundschule entschieden wird, wer aufs Gymnasium darf und wer auf die neue "Realschule plus" geht. Die Auslese erfolgt also bereits im Alter von zehn Jahren.
Doch die neue Realschule werde "aufstiegsorientiert" sein, verspricht Bildungsministerin Ahnen. Die Schulen sollen an eine Oberschule angegliedert sein und so die Fachhochschulreife ermöglichen. Ludwig Eckinger, Chef des Verbands Bildung und Erziehung, lobt das Konzept denn auch, sagt aber gleichzeitig: "Wir werden beobachten, ob der Weg der Schüler tatsächlich bis ganz nach oben führt."
Die Gründe für die Reform des Schulsystems liegen auf der Hand: Zuletzt besuchten nur noch rund 15 Prozent der Schüler in Rheinland-Pfalz die Hauptschulen. Der Ruf der Hauptschule ist hier wie deutschlandweit ruiniert. Oft bekommen Absolventen nur schwer eine Lehrstelle, nach einer Analyse des Dortmunder Schulforschers Ernst Rösner steht heute nur noch jeder zehnte Ausbildungsberuf Hauptschülern offen.
Rheinland-Pfalz folgt darum dem Weg anderer Bundesländer. In ganz Ostdeutschland gibt es schon heute keine eigenständigen Hauptschulen mehr. Schleswig-Holstein führt Gemeinschaftsschulen ein und legt parallel dazu bis 2010 alle restlichen Haupt- und Realschulen zusammen. Hamburg fusioniert alle Schulformen neben dem Gymnasium zu so genannten Stadtteilschulen. Und in Baden-Württemberg forderten im April knapp 100 Hauptschulrektoren in einem Brief die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, was bisher am Widerstand der CDU scheiterte. Inzwischen gibt es über 300 Unterzeichner der Petition - und viel Lob für den Vorstoß der Schulleiter.
Der Trend ist klar: weg von der Dreigliedrigkeit, hin zur Zweigliedrigkeit. Frank Braun vom Deutschen Jugendinstitut in München beobachtet, dass in den integrierten Haupt- und Realschulen im Osten die Schüler inzwischen fast ausschließlich einen mittleren Abschluss anstreben. "Wer nur einen Hauptschulabschluss hat, steht am Ende schlechter da", sagte Braun der taz. Die Reform in Rheinland-Pfalz sei deshalb wohl "ein erster Schritt zur vollständigen Abschaffung der Hauptschule".
Eine Gruppe von Eltern, Lehrern und Schülern in Hamburg will sogar noch weiter gehen. Sie haben nun die Volksinitiative "Eine Schule für Alle" gestartet. Ihr Ziel: aus drei Gliedern nur eines zu machen.
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