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Hauptsache Dagegen. Mehr nicht.

■ Bodo Morshäuser liest aus seinem Buch »Hauptsache Deutsch«

Der Inhalt, das ist ein Kloß, das Schwere«, sagt Bodo Morshäuser. Er liest aus seinem neuen Buch Hauptsache Deutsch, das eigentlich »Abrechnung mit Kellinghusen« hätte heißen sollen. Die weiße Papierbandage auf dem violettfarbenen Suhrkamp-Band soll wohl den »Kloß« verdauen helfen. »Skinheads? Neonazis? Protestierende Jugendliche?« steht dort zu lesen.

Provokant findet das niemand. Das Publikum kennt sie, die soziologischen, die soziokulturellen, die sozialpsychologischen Modelle, die der randalierenden Kinder Herr werden wollen — zumindest auf dem Papier. Auch Bodo Morshäusers Essay bietet eine Menge solcher Begriffe (selbst wenn er »Broken-Home- Problematik« natürlich in Anführungszeichen setzt). Doch sein eigentliches Thema ist weiter gefaßt. Die Skinheads sind ihm Symptom, Indiz für die allgemeine Unfähigkeit, sich über das Problem zu verständigen: »Die Hauptsache. Deutsch«.

Drei Jahre lange hat sich Morshäuser in Fußballstadien und auf schlechtbeleuchteten Bahnsteigen herumgetrieben, um zu verstehen, warum sich Deutsche so deutsch gebärden. 1988 lebte er für ein Jahr in Kellinghusen, irgendwo im Holsteinischen, um in Ruhe einen Roman zu schreiben. In der Idylle der Kleinstadt hatte es seit Beginn der achtziger Jahre empfindliche Risse gegeben. Damals sprang ein wohlhabender Mann durchs Dorf mit Deutschlandlied und -fahne, gefolgt von einer Horde begeisterter 13- bis 15jähriger. Bier vergab er umsonst und außerdem Freikarten für den Hamburger Sport-Verein mit Stehplatz in der Westkurve. Der Mann wurde irre, die Kids Skins. 1986 taucht Kellinghusen erstmals im Bericht des Bundesverfassungsschutzes auf. Die rechtsextreme FAP baut eine eigene Gruppe auf und ruft die ersten Antifaschisten auf den Plan. Das Klima stimmt. Zwei Jahre später töten vier Jugendliche, die »mit aller Macht Skinheads werden wollen«, Marga T. aus Kellinghusen. Sie treten und trampeln so lange auf ihr herum, bis sie innerlich verblutet.

Morshäuser protokolliert das Geschehen, ergänzt, was Richter und Staatsanwälte übersehen haben. Zum Beispiel, daß Wulf und Björn eine alkoholabhängige Frau tottreten, die den Müttern von Werner und Olaf ähnlich sieht. Daß diese zwei zur Tat anstiften, aber selbst nicht zuschlagen — Möchtegern-Skinheads, die im Gerichtssaal gar nicht wissen, ob von ihnen die Rede ist. Von Leuten aber ist die Rede, die vor laufender Kamera sagen: »Ich schlage aus Zerstörungslust.« Sie wollen alles sein, nur nicht so wie der Rest.

Das ist Morshäusers Thema. Der sich über Generationen hin perpetuierende »einschnappende Reflex«: Bist du für Deutschland, dann bin ich dagegen und sofort. Deshalb könne in Deutschland bis heute niemand aus dem Schatten Hitlers treten, findet Morshäuser. Mehr bietet er nicht. Der Inhalt Deutschland bleibt in der Tat der Kloß, das Amorphe. Hauptsache Deutsch ist deshalb im Grunde unspektakulär. Das Buch über die Hauptsache müßte erst noch geschrieben werden.

Weil sich der Autor dem entzieht — nicht anders kann, oder will —, bleibt alles beim alten. Morshäuser wird nie laut, nie unflätig, nie gemein. Aber analytisch sind seine Texte deshalb noch lange nicht. Die Lesung ist eine nette, langweilige Veranstaltung. Bodo Morshäuser redet leise, nicht zu abgeklärt. Er ist leicht irritierbar, kann sich mit der getäfelten Turnhalle — dem Kirchenraum in Zehlendorf, der manchmal Galerie »Buschgraben« heißt — nur schwer anfreunden. Dabei ist es genau das richtige »Ambiente« für die freundlichen Gäste, die sich um Verständnis bemühen und besorgt mit dem Kopf schütteln, wenn Hakenkreuzschmierereien überhandnehmen.

Im Anschluß an die Lesung signiert Morshäuser sein Buch. Grüppchen umringen ihn, möchten die oder jene Textstelle diskutieren. »Das ist so komplex, so differenziert, wie Sie das machen«, begeistert sich ein Buchhändler. Morshäuser soll das Wort haben, der soll reden dürfen. Das fanden auch 'Zitty‘ und 'Frankfurter Rundschau‘, die großzügig vorabdruckten. Dabei hat Morshäuser selber leise Zweifel, von welchem Standpunkt er denn überhaupt zu sprechen vermag, als Deutscher über Deutsche — ein Mitgefangener? Einer, der über Verharmloser und Übertreiber schreibt und sich dabei selbst immer fragwürdiger wird.

Wenn er schon keinen Versuch über... schreibt, will er sich zuletzt wenigstens einen Traum gönnen: »Ich träumte von einem, der nach dem Verfassen eines Manuskripts zum Thema Deutsch die Papiere vernichtete, um einem Buch zuvorzukommen. Da man übers Deutsche nicht sprechen kann, ohne sich am moralisch-profitablen Reden zu beteiligen, würde er es mit einem Buch nur verlängern ... und ich träumte von einem, der nach diesem Traum das Manuskript fotokopiert und weggibt.«

Kopieren? Zerknüllen. Ein Papierschiff daraus bauen. Mirjam Schaub

Bodo Morshäuser, Hauptsache Deutsch. Edition Suhrkamp 1626, Neue Folge Band 626. 14 DM.

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