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Hauptkommissar blieb hartnäckig

Ein Polizist trieb Aufklärung über Balsam-Pleite im Alleingang voran / Aussage vor dem Untersuchungs- ausschuß / Staatsanwälte ließen die Beschuldigten eineinhalb Jahre lang gewähren  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – „Wenn ich zu Herrn Oberstaatsanwalt Schmiedeskamp kam, mußte ich vor dem Besuchertisch stehen bleiben. Einen Stuhl bekam ich nie angeboten. Wir waren für ihn nicht weiter existent, so eine Art notwendiges Übel, Hilfsbeamte, die man zum Aktentransport einsetzen kann.“ Hauptkommissar Karl-Heinz Wallmeier beschreibt die Szene in ruhigem Tonfall. Nie hat man den Eindruck, hier wolle ein Eiferer sich für jahrelange Demütigungen rächen.

So ungefähr muß es zugegangen sein zwischen dem Leiter der Bielefelder Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität, Jost Schmiedeskamp, und dem Hauptkommissar, der im Dezernat für Wirtschaftsverbrechen den Kriminellen mit den weißen Kragen nachspürt. Vielleicht birgt die Schilderung dieser Atmosphäre den Schlüssel dafür, das unglaubliche Versagen der Bielefelder Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung eines der größten Wirtschaftsverbrechen der Nachkriegsgeschichte zu verstehen. Bisher jedenfalls weist alles darauf hin, daß der eineinhalbjährige Boykott der Ermittlungen bei der 2,5-Milliarden-Pleite des ehemals größten Sportbodenherstellers der Welt auf Ignoranz und Faulheit zurückzuführen ist.

Schon im Dezember 1992, als die detaillierte anonyme Anzeige über die bei Balsam getätigten Luftgeschäfte bei der Staatsanwaltschaft einging, wäre es an der Zeit gewesen, „strafprozessuale Maßnahmen zu ergreifen“. Das hat inzwischen ein Sonderermittler der Kölner Staatsanwaltschaft festgestellt. Doch eineinhalb Jahre lang geschah nichts. Im September 1993 meldete sich ein Mann bei der Polizei, der offenbar mit dem anonymen Anzeigenerstatter identisch war, und beschwerte sich darüber, daß nichts geschehen sei. Danach wandte sich Hauptkommissar Wallmeier an die Staatsanwaltschaft, um sich die Anzeige einmal anzusehen. Doch Schmiedeskamp verwehrte ihm mit dem Hinweis, hier handle es sich um ein Steuerverfahren, die Einsicht. Wallmeier fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen, „einfach perplex, denn nie zuvor hatte ich ähnliches erlebt. Es war, als sollte ich aus der Sache rausgehalten werden.“ Eine Nachfrage bei dem über die Anzeige informierten Steuerfahnder Kurt Ellberg ergab zudem ein ganz anderes Bild. Ellberg verwies den Polizisten an die Staatsanwaltschaft, weil es „sich um eine Betrugssache handelt“.

So weckt man polizeiliche Neugier: „Jetzt wollte ich wissen, was dahintersteckt.“ Über seinen Informanten kam er an die Anzeige. „Ich bin ganz ehrlich, ich hab' zunächst nichts verstanden“, gestand der Polizist gestern vor dem Untersuchungsausschuß. Luftgeschäfte über „sogenanntes verdecktes Factoring“ waren auch für ihn neu. Doch der Polizist fragte nach. Nach einem erneuten Gespräch mit dem Informanten, der einst eine leitende Position bei Balsam innehatte, schien ihm ein „Anfangsverdacht“ gegeben. Über das Gespräch verfaßte der Hauptkommissar am 30. 9. 93 einen Vermerk für Schmiedeskamp, der auch den Namen des Informanten enthielt. Aber nichts geschah. Über einen französischen Kollegen ließ Wallmeier unterdessen einige Geschäfte in Frankreich überprüfen. Und siehe da: Zahlreiche in Balsam-Bilanzen auftauchende Bauaktivitäten entpuppten sich als reine Luftgeschäfte. Im Elsaß schaute sich der Hauptkommissar während seines Urlaubs ein angeblich für 3 Millionen Mark erstelltes Sportgelände selbst an. Ergebnis: Von Balsam stammte lediglich ein Hallenboden im Wert von 50.000 Mark. Schmiedeskamps Reaktion darauf: alles schon verjährt.

Einem Fernsehredakteur des ZDF, das am 31. Mai 1994 erstmals über den Skandal berichtete, beschied die Staatsanwaltschaft noch naßforsch, die Polizei ermittle „offensichtlich in der falschen Sache“. Ein paar Tage später beschied Schmiedeskamp dem ungeliebten „Hilfsbeamten“: „Sie haben sich zwar Mühe gemacht, aber nichts Neues geliefert. Lassen Sie das in Zukunft. Wir haben davon mehr Ahnung als Sie.“ Am 6. Juni kam plötzlich mit der Verhaftung des gesamten Balsam-Vorstands Bewegung in die Sache. Zuvor hatte Balsam-Finanzvorstand Klaus Schlienkamp gegenüber der Staatsanwaltschaft ein Geständnis angekündigt. Danach mußte selbst Oberstaatsanwaltschaft Schmiedeskamp handeln. Vorläufig vom Dienst suspendiert, sieht er sich nun mit einem Strafverfahren wegen Rechtsbeugung und Strafvereitlung konfrontiert. Diesmal hat der „Hilfsbeamte“ Wallmeier die Nase vorn. Vom Frankfurter Verein für „Business Crime Control“ erhielt er eine mit 3.000 Mark dotierte Auszeichnung für seine hartnäckige Ermittlungsarbeit, und Düsseldorfs Innenminister Herbert Schnoor lobte seine „Berufsauffassung und Zivilcourage als vorbildlich“.

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