Hattinger Hochofen kaltgestellt

■ Letzter Abstich am „Schwarzen Freitag“ / 350 Arbeitsplätze vernichtet / Nur der Anfang vom Ende / Thyssen AG erwirtschaftete Jahresüberschuß von 302 Millionen und schüttet zehnprozentige Dividende aus

Bochum (taz) - Am gestrigen, nach Ansicht vieler Hattinger Bürger „schwarzen“ Freitag wurde im Thyssen Stahlwerk Henrichshütte zum letzten Mal ein Hochofen „abgestochen“. Nach 133 Jahren, während derer allabendlich der Himmel über der Stadt von der Roheisenglut erleuchtet wurde, verursachte dieser letzte Abstich nicht nur für die direkt in diesem Werksbereich Arbeitenden „ein komisches Gefühl“. Einige hundert Arbeiter aus verschiedenen Abteilungen, die zahlreich angereisten Pressevertreter und einige Bürger sahen dem Schauspiel zu. 350 Arbeitsplätze kostet diese Teilstillegung in der Henrichshütte, denn auch die Arbeiter in der Wasserzufuhr, in der Stromerzeugung, im Kesselhaus und im Fahrbetrieb, die die Bahnen mit dem Roheisen über das Betriebsgelände transportierten, haben nichts mehr zu tun. Wer nicht über den Sozialplan oder Abfindungen „ausscheidet“, muß in Zukunft nach Duisburg fahren, seiner Arbeit nachwandern. Doch, so sagte der Betriebsratsvorsitzende Rolf Bäcker, ist das keine Lösung für Kinder und Enkel der Hattinger Stahlarbeiter und unterstrich die Forderung nach Ersatzarbeitsplätzen. Weitermachen können in der Henrichshütte derzeit noch die Arbeiter im Bereich Maschinenbau, wo von Atommüllbehältern für Transnuklear bis zum Blaskopf zur Kunststoff–Folien Erzeugung Stahlgußteile mechanisch bearbeitet und montiert werden. Die Thyssen AG hat sich, wie die Geschäftsleitung am Montag vergangener Woche mitteilte, trotz des verlustreichen Stahlbereichs, „insgesamt gut entwickelt“. Der Jahresüberschuß der „Thyssen–Welt“ erreichte im Geschäftsjahr 86/87 302 Millionen, 68 Millionen weniger als im Vorjahr. Daher beschloß der Vorstand die Ausschüttung einer Dividende von fünf Mark pro 50–DM–Aktie an die etwa 160.000 Aktionäre. Damit diese günstige Entwicklung anhält, werden bis Ende 1989 voraussichtlich 7.800 Mitarbeiter, hauptsächlich in Hattingen und Oberhausen, ihre derzeitigen Arbeitsplätze verlieren. Nur 600 von ihnen sollen innerbetrieblich neue Arbeitsplätze finden, der Rest soll mit vorzeitigen Pensionierungen und Abfindungsverträgen in den kommenden zwei Jahren stillgestellt werden. Hans Gert Woelke, der Arbeitsdirektor der Stahl AG hatte bei der Jahrespressekonferenz des Konzerns erläutert, daß auch durch „natürliche Fluktuation“ voraussichtlich 400 bis 500 Stellen freiwürden. Doch die wolle man sich „bewußt als Reserve halten“ und Lehrlinge übernehmen, denn das Unternehmen müsse auch etwas für seine Altersstruktur tun.