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Hat Jugendtheater bei ABM getrickst?

■ Der Schöneberger Verein "Interkunst" soll eine halbe Million Mark ans Arbeitsamt zurückzahlen Der Senat wirft ihm "finanzielle Unzuverlässigkeit" vor / "Interkunst": Amoklauf auf unterer Ebene

Dem Schöneberger Jugendtheaterprojekt „Interkunst e.V.“ sind sämtliche ABM-Stellen gestrichen worden. Das Arbeitsamt verlangt darüber hinaus die Rückzahlung sämtlicher Gehälter für das Jahr 1994. Nach Aussagen des Vereins handelt es sich dabei um einen Betrag von ca. 500.000 Mark. Dieser Fall ist in Berlin bisher ohne Beispiel.

Dieter Jahnke, Chef der zuständigen Dienststelle im Arbeitsamt, begründet die Rückforderung seiner Behörde mit „Unkorrektheiten“ in der ABM-Durchführung. Die zugewiesenen ArbeitnehmerInnen seien mit „nicht für diese Maßnahmen vorgesehenen“ und daher „nicht förderungsfähigen“ Aufgaben beschäftigt worden.

Eine unangekündigte Prüfung des Vereins im August dieses Jahres hatte ergeben, daß einer der Mitarbeiter, dessen ABM-Stelle als Bürokraft ausgeschrieben war, zum Teil als Techniker und Fotograf gearbeitet hatte.

Seine eigentliche Aufgabe im Rahmen der Maßnahme bestand jedoch im Aufbau einer EDV- Kartei. Zum Zeitpunkt der Prüfung, die kurz vor dem Auslaufen der einjährigen Maßnahme stattfand, war diese Aufgabe noch nicht bewältigt worden. Jahnke hält es daher für bewiesen, daß „ein Arbeitsergebnis entsprechend der beantragten Maßnahme nicht erreicht wurde“.

Till Dellers, Leiter des Theaterprojekts, räumt ein, es sei ein Fehler gewesen, die Ausweitung des Arbeitsbereichs nicht dem Amt mitzuteilen. Der Behörde wirft er allerdings vor, die Kritik an einem Mitarbeiter pauschal auf die übrigen zu übertragen: „Alle zwölf ABM-Stellen wurden uns gestrichen, obwohl lediglich die Unterlagen eines Mitarbeiters überprüft worden sind.“ Dellers vermutet darüber hinaus eine Verbindung zwischen der Prüfung und einem „privaten Rechtsstreit“, den jener Mitarbeiter seit längerem mit dem Arbeitsamt führt. Der Sachbearbeiter der Behörde sei nämlich in beiden Angelegenheiten ein- und dieselbe Person.

Die Gründe für die Stellenstreichung bezeichnet Dellers deshalb als „vorgeschoben“. Statt dessen vermutet er einen „Amoklauf auf einer unteren Ebene“ der Behörde, ausgelöst durch „persönliche Empfindlichkeiten“. Dellers: „Jahnke lügt, wenn er behauptet, mehrere Stellen seien geprüft worden.“

Uneinigkeit über die Beurteilung von „Interkunst“ besteht auch in den verschiedenen Senatsverwaltungen. Claudius Oder, Sachbearbeiter der Jugendsenatsverwaltung und Mitarbeiter der Landeskommission „Berlin gegen Gewalt“, ist der Auffassung, daß der Verein „wichtige Jugendarbeit leistet, die Unterstützung verdient“. Es sei schade, wenn das Projekt aus Gründen, „die unter die Rubrik ,Schludrigkeit‘ fallen“, eingestellt würde.

Offensichtlich herrscht jedoch eine Diskrepanz zwischen der Qualität der Arbeit und der finanziellen Zuverlässigkeit des Vereins. Stefanie Dahns, Sachbearbeiterin in der Kultursenatsverwaltung, erinnert sich an ein älteres Projekt von Till Dellers namens „Theaterhaus e.V.“. Wegen eines finanziellen Debakels war der Verein 1991 in Konkurs gegangen.

Der Kultursenat hatte das Projekt mitfinanziert, konnte später jedoch nicht mehr nachvollziehen, wohin die Gelder geflossen waren. Dahns schließt nicht aus, daß „Geld in die eigene Tasche gesteckt worden ist“. Von einer Rückforderung hatte der Senat schließlich abgesehen, nachdem der Verein in Konkurs gegangen war. Seitdem genießt Till Dellers bei den Behörden den Ruf „finanzieller Unzuverlässigkeit“. Ein Antrag auf Unterstützung des „Interkunst e.V.“ ist abgelehnt worden.

Dellers' Nachfolgeprojekt wurde 1992 gegründet und engagiert junge Schauspieler aus ganz Europa für gemeinsame Aufführungen zum Thema Gewalt und Fremdenhaß. Die finanziellen Forderungen des Arbeitsamtes würden allerdings den erneuten Bankrott bedeuten. Noäl Rademacher

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