: Hat Bremen eine Stahl-Titanic am Hals?
■ Diskussion um die Klöckner-Thesen des Jo Müller / „In der Krise ist die Stahlproduktion ein schwarzes Loch“
„Wenn die Titanic vor den Eisberg geknallt ist und der Kapitän sagt: Leute, das wars dann... diese Rolle ist natürlich nicht populär.“ In dieser Rolle sieht sich der Ex-Bremer Grünen-Ökonom und Publizist Jo Müller in der Diskussion über Sinn und Unsinn von Rettungsaktionen für die Klöckner- Hütte. Hat Bremen eine Stahl- Titanic am Hals und investiert munter in das sinkende Schiff?
Für Bremen wäre ein schneller Tod der Hütte besser gewesen — Wetten, daß der Betrieb in drei Jahren trotz Vergleich und Subventionen dicht sein wird? Mit diesen Thesen wagte sich Jo Müller am Mittwoch abend in die Höhle des Löwen, namentlich in eine von den Grünen veranstaltete Diskussionsrunde mit dem Klöckner-Betriebsratsvorsitzenden Peter Sörgel und Umweltsenator Ralf Fücks.
Die Stahlproduktion unterscheidet sich von anderen Produktionen: sie verursacht immense Fixkosten, die bei Unterauslastung stehenbleiben. Und siehe Rheinhausen: Ist eine Stahlproduktionseinheit erstmal angekratzt, ist ihr Ende nah, sagt Müller — und Klöckner steht mehr als nur angekratzt da. „In einer Krise ist die Stahlproduktion wie ein schwarzes Loch“, erklärt Müller seine These, Bremen solle sich besser gestern als heute von seiner industrieorientierten Politik — und der Hütte — trennen: „In der Krise fressen die fixen Kosten zuerst das Eigen-, dann das Fremdkapital, danach Steuergelder und zuletzt die privaten Existenzen der Arbeiter.“ Was also tun, wo der Betrieb nun mal in die Krise geschlittert ist?
Hier sei doch auch eine grüne Wiese denkbar, so die Ausage des früheren Grünen-Papstes Rudolf Bahro bei einer Begehung der AG-Weser zur deren schlimmster Krisenzeit. Vogelgezwitscher statt Maschinengehämmer — solche grünen Positionen haben sich gewandelt. Dieser naturalistische Ökologiebegriff sei „eine Ökologie ohne Menschen“, mithin nicht das, was die Grünen wollten, so Umweltsenator Fücks.
Doch was Jo Müller will, ist nicht die grüne Wiese, sondern ein Strukturwandel. Die industrielle Produktion erfahre einen „immensen Bedeutungsverlust“. Ihre Produkte seien standardisierbar und somit überall auf der Welt herstellbar — fast überall billiger als in Deutschland. Das hörten die KlöckneranerInnen in der rund 50köpfigen Teilnehmerschar gar nicht gern, hatte Müller das in seinem taz- Gastkommentar obendrein noch „Stahl kochen und walzen kann inzwischen jeder Depp“ formuliert.
Daß die industriellen Kerne in der Arbeitsplatzbilanz immer auf der Verliererseite stehen werden, prophezeite Müller, daß eine Kompensation der Arbeitsplätze rund 10 bis 15 Jahre dauern werde — doch zu konkreten Handlungsansätzen konnte er nichts sagen. Endgültig zog Müller den Zorn auf sich, als er von der „Überbewertung der gewerkschaftlich orientierten Apparate“ sprach: „Ich habe den Verdacht, es gibt eine politische Kultur, in der ein Malocher am Hochofen mehr zählt als der Malocher am Ofen von McDonalds.“ Letztlich sei es Bequemlichkeit, nicht über Alternativen nachzudenken.
„Es gibt längst eine Politik, die darüber hinausgeht, lediglich Altindustrien um jeden Preis zu erhalten“, warf Ralf Fücks ein: Die durch die Teilentschuldung des Landes Bremen eingesparten Zinsen sollen für wirtschaftliche Investitionen genutzt werden — und zwar in Innenstadtbereiche mit Dienstleistungsfunktion, Umwelttechnologie, Gewerbeflächenrecycling. Kann es eine moderne, produktionsorientierte Dienstleistungsmetropole ohne industrielle Basis geben? Fücks' und Sörgels Antwort: Nein. Die Hütte ist der drittgrößte Arbeitgeber, schüttet 500 Millionen Mark Löhne und damit Kaufkraft pro Jahr aus, und sie ist der größte Stromverbraucher Bremens — „wenn dieser Kunde vom Netz geht, können die Stadtwerke dicht machen“, so Ralf Fücks. Ein ganzer Rattenschwanz von öffentlichen Finanzen hänge von Klöckner ab — „Wir sind schon ziemlich dick im Risiko“. Deshalb könne man nur über eines nachdenken: Welche Vorteile hat die Hütte und wie kann man sie stärken? Alles andere sei Spekulation. Oder, wie Peter Sörgel es formulierte, „ein verquerer Aufguß des Versuchs, die Grundsätze kapitalistischer Produktion aus den Angeln zu heben.“ Susanne Kaiser
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