Hartz IV: Nun muss Karlsruhe entscheiden
Das Sozialgericht Berlin hält die Neuregelung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer für einen rechtswidrigen Eingriff ins Eigentum. Es hat das Verfassungsgericht angerufen.
FREIBURG taz Das Sozialgericht Berlin hält die Art und Weise, wie 2003 die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gekürzt wurde, für verfassungswidrig. Es hat daher zwei Verfahren dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt. Die Berliner Richter halten eine schonendere Übergangsregelung für erforderlich.
Mit den Hartz-Arbeitsmarktreformen war Ende 2003 die Bezugsdauer des am letzten Lohn orientierten Arbeitslosengeldes I massiv gekürzt worden. Statt 32 Monaten bekommen es Arbeitslose über 55 Jahre nur noch 18 Monate lang. Bei allen anderen Arbeitslosen ist die Bezugsdauer sogar auf zwölf Monate beschränkt. Anschließend bekommen sie nur noch ALG 2 in Höhe von derzeit 347 Euro/Monat (plus Wohngeld).
Die Richter legten Karlsruhe unter anderem den Fall eines 52jährigen Verkäufers vor, der sich am 1. Februar 2006, dem Stichtag für die verkürzte Bezugsdauer, arbeitslos meldete. Wäre er einen Tag vorher arbeitslos geworden, hätte er 22 Monate lang ALG 1 bekommen, so beschränkt es sich auf 12 Monate.
Die Berliner Richter sehen in diesem aprupten Verlust von Ansprüchen einen Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum. Dieses sei berührt, weil das Arbeitslosengeld 1 eine Leistung der Arbeitslosenversicherung ist. Der Anspruch beruht also auf eigenen Beiträgen, die der Empfänger zu Zeiten geleistet hat, als er noch Arbeit hatte.
Eine schonende - und damit nach Ansicht des Sozialgerichts - verfassungskonforme Übergangsregelung hätte die maximale Anspruchsdauer jährlich um einen Monat verkürzt. Die Bundesregierung hielt es dagegen für ausreichend, dass sie die alte Regelung noch bis 2006 weiterlaufen ließ. Sie hat die schockartige Umstellung also nicht abgemildert, sondern nur herausgezögert, damit sich alle darauf einstellen konnten.
Die 32-monatige Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes war 1987 eingeführt worden. Man hoffte, dass die Unternehmen dann ältere Arbeitnehmer sozialverträglich entlassen können, um jüngere Arbeitslose einzustellen. Das war ein Irrtum. Die älteren Beschäftigten wurden zwar auf Kosten der Arbeitslosenversicherung entlassen, aber nur jeder siebte Arbeitsplatz wieder neu besetzt.
Wann das Verfassungsgericht über die Anfrage der Berliner Richter entscheiden wird, ist noch unklar. Nur das Bundesverfassungsgericht kann Gesetze für nichtig erklären.
Zuständig wird für das Verfahren der neue Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof sein. Er trat seinen Dienst am Montag an. Sein Bruder Paul Kirchhof war bis 1999 Verfassungsrichter und bei der letzten Bundestagswahl als Finanzminister in einem rein schwarzen Merkel-Kabinett im Gespräch.
Neben den Berliner Verfahren ist nach Angaben einer Karlsruher Sprecherin noch eine weitere Grundsatzfrage der Hartz-Reformen am Verfassungsgericht anhängig. Dort geht es um die Höhe des ALG 2. Angegriffen wird eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem letzten Herbst. Damals hatte das BSG entschieden, dass auch mit den niedrigen ALG 2-Sätzen ein menschenwürdiges Dasein möglich sei. Der Kläger bestreitet das in seiner Verfassungsgbeschwerde.
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