piwik no script img

Hartz IV verhindert FamilienlebenArme dürfen nicht lieben

Es begann so romantisch: Dieter S. heiratet Gülcan K. in der Türkei. Nun darf er seine Frau nach Berlin holen, nicht aber ihre Kinder. Denn Dieter S. lebt von Hartz IV.

Dieter S. hat in seinem Leben viel durchgemacht. Nicht alles war in Ordnung, das sagt er selbst. "Insgesamt habe ich 16 Jahre im Gefängnis gesessen", berichtet der 57-Jährige, ohne groß zu zögern. Wegen Drogen- und Steuerdelikten. Jetzt ist er auf Hartz IV angewiesen. Mit der Vergangenheit, in seinem Alter und dann noch mit Arthrose im Knie finde man nur schwer einen Job, sagt Dieter S., dessen grauweiße Haare bis zum Rücken reichen.

Vor Kurzem meinte er, dass sein Leben eine glückliche Wende nähme. Er hat seine große Liebe gefunden: Gülcan K.. Die 33-Jährige lebt in der Türkei. Vor vier Monaten haben die beiden geheiratet. Doch es sieht nicht so aus, als würden sie auch zusammenkommen - und das liegt nicht an Dieter S..

Zum ersten Mal sah er Gülcan K. auf dem Computermonitor ihrer Schwester, als er deren Söhnen Nachhilfe in Deutsch gab. "Die Schwestern haben ein sehr enges Verhältnis und chatten oft", erzählt Dieter S.. Seine Augen strahlen, wenn er von Gülcan K. spricht. Er wollte sie näher kennenlernen, rief bei ihr an. Und schon nach dem ersten Gespräch war er sich sicher, dass sie zusammen passen.

"Ich glaube nicht an Beziehungen, die über Facebook und Co. geschlossen werden", sagt hingegen Gülcan K.. Sie ist zwar in Deutschland geboren, kehrte aber mit sieben Jahren in die Türkei zurück. Ihre beiden Ehen - sie heiratete das erste Mal mit 15 Jahren - waren gezeichnet von Respektlosigkeit und Gewalt. Es blieben ihr die 16-jährige Tochter, die siebenjährigen Zwillinge und die Enttäuschung über die Ehe. Deswegen wollte sie den Mann erst einmal kennenlernen, der ihr über eine Distanz von 2.000 Kilometern den Hof machte. Sie lud Dieter S. in die Türkei ein.

"Dieter hat wirklich viel um mich gekämpft. Irgendwann konnte ich dem nicht mehr widerstehen", sagt sie heute. Noch nie habe ein Mann ihr und ihren Kindern so viel Liebe und Zärtlichkeit entgegengebracht. "Er hat lange mit den Kindern auf dem Fußboden gesessen und mit ihnen gespielt. Das kannte ich von den Vätern nicht", erklärt sie. Und so heirateten Gülcan K. und Dieter S. im März. Sie planten ein gemeinsames Leben in Berlin, mit den Zwillingen. Die ältere Tochter hingegen will in der Türkei bleiben.

Kurz nach der Hochzeit erfuhren die beiden jedoch, dass zwar Gülcan S. nach einer Prüfung durch die Ausländerbehörde einreisen darf, ihre siebenjährigen Söhne hingegen in der Türkei bleiben müssen. Bei Verwandten oder bei sonst jemand, der auf sie aufpasst und sie erzieht. Der Grund: S. ist auf Hartz IV angewiesen, er verdient angeblich zu wenig, um auch für die Kinder zu sorgen. Womöglich müsste der Staat einspringen. Damit es dazu nicht kommt, muss die Familie zerrissen bleiben.

Die Sprecherin der Senatsverwaltung für Inneres, Kristina Tschenett, bestätigt dies: "Deutsche dürfen in der Regel ihren Ehepartner auch dann nachholen, wenn dessen Unterhalt nicht gesichert ist." Für die eigenen Kinder des Ehepartners gelte das allerdings nicht. Jemand müsse für die Kinder aufkommen, ob es nun Frau S. sei oder Herr S. diese Pflicht übernehme. So sei das Gesetz.

Der Migrationsbeauftragte des Senats, Günther Piening, bestätigt das. Und macht wenig Hoffnung: "Die Kinder haben erst die Möglichkeit, nachzuziehen, wenn ein entsprechendes Einkommen da ist."

Dieter S. ist keiner von denen, die schnell aufgeben. Er hat sich mit seinem Anliegen an die Migrationsbeauftragten des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und des Senats gewandt, an die Migrationsberatung der Kirche, er ist mit der Ausländerbehörde im Gespräch. Seine Stimme zittert, wenn er spricht. "Die Situation ist sehr belastend, nicht nur für mich", sagt er. Mehr als 6.000 Euro hat er in die Beziehung und die Hochzeit gesteckt, er hat Erspartes verbraucht und Schulden gemacht. Alles in der Hoffnung, rasch mit seiner Frau zusammen sein zu können.

 

1.500 Euro Nettoverdienst im Monat soll er nachweisen, dann könnten auch die Kinder kommen. Wie er das schaffen soll, ist ihm ein Rätsel. Zwar hat er Sozialarbeit studiert, im Gefängnis Buchbinder gelernt und ehrenamtlich für die Obdachlosenzeitung Querkopf geschrieben. Und er bemühe sich um Arbeit, sagt Dieter S.. Seine Betreuerin im Jobcenter beschreibt ihn als "sehr motiviert", bestätigt auch die Sprecherin der Agentur für Arbeit Berlin Nord, Ina Gorzolka, nicht erst seit seiner Hochzeit. Bisher aber ohne Erfolg.

Gülcan S. wiederum kann nicht ohne ihre Söhne nach Deutschland ziehen, um sich einen Job zu suchen. Sie hat das alleinige Sorgerecht für die Zwillinge, zum Vater besteht kein Kontakt mehr. Es gebe niemanden, der sich in der Türkei um ihre Kinder kümmern könnte, wenn sie nach Deutschland käme. Es sei unzumutbar, dass eine Mutter ihre Kinder verlassen soll, findet Dieter S.. Und fügt hinzu: "Wer sagt denn, dass sie nicht arbeiten wird, wenn sie hier ist?" Er fühle sich als Hartz-IV-Empfänger diskriminiert.

Auf zwei Wegen will das Paar versuchen, die Zwillinge doch noch nach Deutschland zu holen. Sie wollen klagen - auch wenn das wenig Erfolg verspricht. Zudem ist Dieter S. entschlossen, die Zwillinge zu adoptieren. Klappt das, könnten die S.'s eines Tages eine ganz normale Berliner Familie sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!