Hartz IV spart Energie: Arbeitslose als leuchtende Beispiele
Ehemalige Hartz-IV-Empfänger erklärten Hartz-IV-Empfängern, wie man im Haushalt am besten Energie spart. Das hilft beiden - und der Umwelt.
Etwa 30 bis 50 Helferjobs werden 2009 bei der Caritas gefördert. Dort sind die Angestellten auch sozialversichert. Doch nicht alle Projektteilnehmer werden wie die sechs Helfer in Mitte für einen Brutto-Lohn von 1.300 Euro arbeiten. Jene, die die Kriterien für eine Maßnahme im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) nicht erfüllen - länger als zwei Jahre arbeitslos sein und zwei weitere "Vermittlungshemmnisse" haben - checken die Haushalte als 1-Euro-Jobber. Glück für den 56-jährigen Hans-Michael Kelp, dass er die ÖBS-Kriterien erfüllt - Pech für die zehn Arbeitslosen ohne jene Handicaps, die in Neukölln ausgebildet werden. Das Projekt sei keine Konkurrenz für andere Energieberater, so Caritas-Regionalleiter Rolf Göpel. Der Service beschränke sich auf die Zielgruppe der Einkommensschwachen und damit auf jene, die sich keinen Energieberater leisten können. MNO
"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal auf dem Abstellgleis lande", sagt Hans-Michael Kelp. Der Blick des 56-Jährigen wandert durch den kahlen Kellerraum zum vergitterten Fenster hinaus. Es regnet - und er strahlt.
Der ehemals Langzeitarbeitslose gehört seit vier Wochen zu Berlins erstem Energiesparhelferteam. Er arbeitet für die Berliner Caritas - und wird endlich wieder gebraucht.
Gleich, wenn seine fünf Kollegen - wie er bis vor kurzem langzeitarbeitslos - im Kellerbüro des Caritasgebäudes eintrudeln, wenn die Teambesprechung vorüber und der Kaffee in der weißen Billig-Kaffeemaschine alle ist, dann werden sie in Zweierteams aufbrechen. "Hausbesuche in Mitte", erklärt Kelp knapp und packt seinen Werkzeugkoffer. Neben ihm, auf provisorisch zusammengeschobenen Tischen, stehen zwei Laptops und ein Drucker. Die spärliche Büroeinrichtung lässt erkennen: Das Projekt namens "Stromspar-Check" steckt noch in den Kinderschuhen.
Die Idee stammt von der Frankfurter Caritas, dort wird das Modell seit zwei Jahren erfolgreich umgesetzt. Ziel ist es, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Langzeitarbeitslose wie Hans-Michael Kelp kommen in Arbeit; Einkommensschwache erhalten von ihnen einen auf Gewohnheiten und Wohnverhältnisse zugeschnittenen Energiespar-Check. Und natürlich gibt es noch einen sehr schönen Nebeneffekt: 290 bis 400 Kilo Kohlendioxid-Einsparung pro Haushalt und Jahr. Zum Vergleich: Das 100-Liter-Aquarium eines Zierfischfans verschleudert in einem Jahr rund 300 Kilo CO2. Und wer mit dem Auto von Berlin nach Rom fährt, pustet sogar rund 370 Kilo CO2 in die Atmosphäre.
Kelp hält einen weißen Zwischenstecker mit großem, seitlich angebrachtem Display hoch: "Das ist ein Energy-Logger", sagt er in perfektem Denglisch. Das Ding mit der Digitalanzeige erinnert an ein Navigationsgerät mit Steckerbuchse. "Damit messe ich nachher bei meinen Kunden den Energieverbrauch von Stereoanlage, Fernseher und anderen Energiefressern", erklärt er den Zweck des Werkzeugs, dann verstaut es es zwischen etlichen anderen. Menschen aus dem Bezirk Mitte, für die das Helfer-Team zuständig ist, haben einen Termin mit Kelp vereinbart. Sie wollen wissen, wo in ihrem Haushalt Energiefresser lauern und wie und wo sie dauerhaft Strom sparen können.
Mit Aussicht auf die enorme CO2-Einsparung werden die Stromspar-Checks für Geringverdiener im Rahmen der Klimaschutzinitiative gefördert: vom Bundesministerium für Umwelt, der Berliner Energieagentur, den Kommunen und vom örtlichen Caritasverband - Kelps Arbeitgeber. Die Finanziers erwarten für Juni eine erste Bilanz. Dann entscheidet sich, ob sie das Projekt weiter unterstützen werden.
Die Energiespar-Checker hoffen es, schließlich wissen sie aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, am Jahresende 100 Euro mehr oder weniger im Geldbeutel zu haben. So viel könnten die Kunden im Idealfall sparen, bestätigt Mechthild Zumbusch von der Berliner Energieagentur - einer GmbH, verwaltet vom Land Berlin, Vattenfall, Gasag und der KfW Bankengruppe. Laut Statistik haben mehr als 15 Prozent der Klienten in der Allgemeinen Sozialberatung der Caritas Schulden, die aus den Betriebskosten ihrer Wohnung resultieren. "Oft aus Unwissenheit", weiß Kelp. "Beim einen kocht das Wasser ohne Deckel, der andere stellt das heiße Essen zum Abkühlen in den viel zu kalt eingestellten Kühlschrank, der Fernseher steht bei fast allen auf Bereitschaft und der Computer wird gar nicht erst ausgemacht", zählt er einige Energie-Sünden auf, die er regelmäßig beobachtet. Er sieht seinen neuen Job als Aufklärungsarbeit.
Seine Klienten seien überrascht, wenn sie hörten, dass ihr PC mit Monitor und Drucker im Stand-by-Betrieb jährlich rund 25 Euro mehr kostet, als wenn sie die Geräte komplett ausschalten würden. Nimmt man den immer betriebsbereiten DSL-Router dazu, steht die jährliche Rechnung sogar bei mehr als 40 Euro - für nichts. "Das Geld kann man sich durch einen einzigen Knopfdruck an einer Steckdosenleiste sparen", betont Kelp.
Das Energiesparteam wurde zwei Monate lang von Fachleuten der Energieagentur unterrichtet. Auf dem 100-Stunden-Stundenplan standen unter anderem Begriffskunde, Umgang mit der Computersoftware, Rechnen mit Kilowattstunden, Stromzähler ablesen, und besonders wichtig: Kundengespräche führen.
Hans-Michael Kelp war der erste Berliner, der von seinem Fallmanager im Jobcenter in das Projekt vermittelt wurde. "Sicher wegen meiner Vorkenntnisse", glaubt er. Nach seinem Architekturstudium in den 70ern war Kelp als Bauplaner und -leiter beschäftigt, arbeitete als freischaffender Architekt und später als Baudezernent für die Stadt Fürstenwalde. Wie bei seinen jetzigen Kollegen kam der Abstieg schleichend: Scheidung, Hausverkauf, Krankheit. Als auch der letzte Versuch, als Energieberater beruflich wieder auf die Beine zu kommen, nach drei Jahren misslang, reihte er sich 2006 in die Jobcenter-Schlange der Arbeitslosen ein.
In Berlin stehen für das Umwelt- und Sozial-Projekt lediglich 30 bis 50 Förderplätze bei der Caritas zur Verfügung. "Leider müssen wir die Berliner Jobcenter zum Mitmachen überzeugen", bedauert Rolf Göpel, Regionalleiter der Berliner Caritas. Bisher könne deswegen nur der Bezirk Mitte mit im Februar rund 58.000 erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen von seinem Sechserteam bedient werden. Zehn weitere Helfer werden gerade für die rund 55.000 Bedürftigen in Neukölln ausgebildet; demnächst jeweils zehn weitere in Tempelhof und Schöneberg.
1.300 Euro brutto verdienen die Stromsparhelfer im Bezirk Mitte durch ihren Servicedienst - zu Tarifbedingungen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS). Unter ihnen ein ehemaliger Diplom-Designer, ein Eisenbahntechniker und eine Dekorateurin. "Die Kunden haben keine Vorbehalte gegen uns, weil wir bis vor kurzem ähnliche Probleme hatten", begründen sie ihren Vertrauensvorschuss, der ihnen entgegengebracht wird, während sie - wie sie sagen - "Detektivarbeit" verrichten. Sie interessiert nämlich nicht nur, welche Glühbirne in welcher Lampe brennt, sondern auch, wie hoch die letzte Stromrechnung der Kunden war. Die Zahlen dienen als Vergleichswerte und sind Grundlage für die Kostensparanalyse, die beim zweiten Besuch präsentiert wird. "Dann baue ich die kostenlosen Geräte aus dem Starterkoffer ein", sagt Kelp.
Der individuelle Service kommt an. Zwischen 50 und 100 Anfragen sind in den vergangenen Wochen im Bezirk Mitte eingegangen, sagt Caritas-Regionalleiter Göpel - obwohl es bisher kaum offizielle Werbung gibt.
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