Hartz-IV-Gegner Michael Bättig: "Armut hat sich verfestigt"
Interview mit Michael Bättig von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg, Mitveranstalter der bundesweiten Anti-Hartz-IV-Demonstration an diesem Sonntag.
taz: Warum findet die bundesweite Demo "Krach schlagen statt Kohldampf schieben" am Sonntag in Oldenburg statt?
Michael Bättig: Ursprünglich wollten wir die Demo in Witzenhausen bei Göttingen veranstalten - schließlich ist die Hartz-IV-Berechnung der reinste Witz. Das hat aber mit der Infrastruktur vor Ort nicht geklappt. Wir haben dann überlegt, wo es eine Erwerbsloseninitiative gibt, die das leisten kann. So sind wir in Oldenburg gelandet. Die hiesige Arbeitslosenselbsthilfe (Also) war in den vergangenen Jahren in Punkto Hartz IV sehr aktiv und hat auch einige Erfolge verbucht. Wir haben unter den Initiativen einen guten Ruf und sind auch gut vernetzt. Zwar gibt es unterschiedliche Forderungen - aber die Zusammenarbeit hat hervorragend geklappt.
Die Also bewegt sich mit "80 Euro mehr" eher im unteren Bereich, andere Initiativen fordern deutlich mehr. Warum 80?
der selbstständige Handwerker engagiert sich seit den 80er Jahren in der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg.
Wir wollten erstens eine Forderung aufstellen, die wir für durchsetzbar halten. Zweitens wollten wir es nicht als reine Geldfrage diskutieren, sondern auch als inhaltliche Forderung - nämlich 80 Euro mehr für Lebensmittel. Damit wollten wir den Fokus auf einen zentralen Bereich lenken, nämlich das Grundbedürfnis nach vernünftiger und ausgewogener Ernährung. Untersuchungen zeigen, dass der Kalorienbedarf eines Hartz-IV-Empfängers vom Regelsatz nicht gedeckt werden kann. Drittens stehen diese 80 Euro in einem Zusammenhang mit den Arbeits- und Lebensbedingungen in der Lebensmittelbranche: Wir wollen nicht gezwungen werden, das Billigste bei den Discountern zu kaufen und damit deren Preisdumping zu unterstützen.
Warum?
Weil wir wissen, welche Folgen das für die Angestellten und die Erzeuger hat. Damit hängt auch - viertens - unsere Zusammenarbeit mit den Milchbauern zusammen, die von den gedrückten Milchpreisen nicht mehr leben können und die sich an den Protesten auch beteiligen werden. Wir wollen nicht mehr, dass Bauern, Erwerbslose und prekär Beschäftigte gegeneinander ausgespielt werden.
Was für Rückmeldung bekommen Sie von Betroffenen?
Die Existenz einer starken Initiative wie der Also macht sich im sozialen Klima der Stadt bemerkbar. Wir haben zum Beispiel 100 Euro für Schulmaterial lokal durchgesetzt. Das hat bundesweit Nachahmer gefunden. Inhaltlich hat sich aber an den Problemen mit Hartz IV wenig geändert: Dauerthemen in der Beratung sind Einkommensberechnungen, Unterkunftskosten, generell unverständliche Bescheide. Das wird auch nicht weniger, denn im Moment sinkt zwar die Arbeitslosigkeit, die Zahl der Hartz-IV-Empfänger nimmt aber nur ganz minimal ab. Der Komplex von Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit und Armut hat sich verfestigt.
Geben Westerwelles Hartz-IV-Thesen oder jetzt die Fünf-Euro-Erhöhung der Protestbewegung Schub?
Aus der Beratungstätigkeit wissen wir: Da ist eine Stinkwut bei den Leuten, sie fühlen sich einfach schlecht behandelt. Es ist ja mal wieder typisch, dass es keine gesellschaftliche Diskussion darüber gab, wie eigentlich der Bedarf von Erwachsenen und Kindern aussieht. Stattdessen wird das Berechnungsverfahren geheim gehalten und dann auch noch dreist behauptet, dass die Regelsätze für Kinder eigentlich hätten gesenkt werden müssen. Es ist viel Wut, Unverständnis und Zorn da - ob das jetzt mehr Menschen auf die Straße treibt, lässt sich aber schwer sagen.
Diskussion zur Neufestsetzung der Regelsätze mit Rudolf Martens (Paritätischer Wohlfahrtsverband), Jutta Krellmann (Linke), Olaf Lies (SPD), Ralf Briese (Grüne) und Roland Riese (FDP): Samstag, 15 Uhr, Oldenburg, Lamberti-Kirche
Demo: Sonntag, 13 Uhr, Oldenburg, Hauptbahnhof
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