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■ Hamburg: Das Musical „Cats“ feiert zehnjähriges JubiläumHarrie hört Hard Rock

Mieze ist Singles Liebling. Die Stella Musical AG mag keine Singles, Stella bedient gleich ganze Familien: 4,3 Millionen Katzenfreunde besuchten bislang das Dauer-Musical „Cats“. Stella feiert zehn Jahre Schmusekurs im Hamburger Operettenhaus, zugleich den ersten Schritt in die privatwirtschaftliche Musical-Vermarktung in Deutschland.

Während im echten Leben die „Muschis“ und „Mischas“ vor lauter Eigensinn ständig zur Tierpsychologin müssen, tanzen auf der Bühne an der Reeperbahn Abend für Abend 22 gutgelaunte Whiskas-Konsumenten vor Busladungen von Zuschauern aus dem ganzen Bundesgebiet – sieben Tage die Woche, sonntags zweimal.

Doch während es nach zehn Jahren für Kater langsam ernst wird, braucht „Cats“ keine Frischzellenkur. Die Tänzer erhalten nur Jahresverträge.

Harrie Poels alias Theaterkater Gus ist da eine Ausnahme. Doch selbst in seinem sechsten Hamburger Jahr blickt er im Gespräch ständig nach links, wo die Pressefrau hockt und mit Kopfbewegungen ja oder nein signalisiert. Der studierte Gesangslehrer stimmt mittlerweile neue Kätzchen auf die Supermarktmelodien ein. Auf seinem Schminkspiegel klebt in Augenhöhe ein Zettel: „Ich bin ein Webber-Knecht.“

Nicht immer war sein Standort so klar bestimmt: „Wie? Was? Wo?“ fragte sich Harrie gelegentlich, wenn „ich einen richtigen Kater hatte“. Orientierungsschwierigkeiten verlassen ihn, scheint's, auch im trauten Heim nicht: Harrie hört eigentlich lieber Hard Rock. Trotzdem will der einstige Wagner-Tenor an der „Cats“-Bühne bleiben: „Normales Theater – nie wieder!“

„Zehn Jahre volle Säle – irgendwas muß ja dran sein“, sagt er und singt als Gus aus voller Seele: „Das moderne Theater / auch wenn es gefällt / ist wohl nicht zu vergleichen / wie man mir erzählt / mit der Zeit / als ich meisterhaft / die Welt begeistert hab'.“ Daß da einige einstimmen, beweisen die vielen Musical-Unternehmungen in Hamburg: Buddy Holly, Phantom der Oper, Grease und andere.

Der Hamburger Hafen hat ausgedient, „Cats“ ist der Touristenzentrale liebste Mausefalle. Stella- Signets prangen auf städtischem Informationsmaterial, werben bei Galas für einen Besuch an der Elbe. Einmal im Jahr gar residieren eingeladene ReisejournalistInnen in Hamburg, den Geist von „Catsburg“ zu verbreiten. Das funktioniert, wie die 95prozentige Platzausnutzung des Theaters beweist.

„Nicht die Stadt hat uns, sondern wir der Stadt genutzt“, prahlt Amal Al-Jazairi, eine der drei Mitarbeiterinnen in der Chefetage. Einst als studentische Hilfskraft in der Telefonzentrale beschäftigt, verantwortet sie nun mit Barbara Meyer und Corinna Druve zehn Jahre Katzendressur.

Das Trio kümmert sich auch um die Darsteller aus aller Welt, Familiensprache Englisch. Ein Leben wie im Zoo: „Was kostet die Milch, wo gibt es ein Bett, wir kümmern uns um alles“, erzählt Al-Jaziairi stolz. Harrie winselt: „Reeperbahn? Wär' schön, wenn ich die mal sehen könnte!“

Auch die Freizeit ist organisiert. Jeden Donnerstag etwa trifft man sich zum „Voice-“ und „Dance- Cleaning“. Und wer nicht anderthalb Stunden vor der Show pünktlich zum „Company Call“ erscheint, muß zur Familientherapie bei Sorgenmutter Corinna Druve, hauptberuflich künstlerische Leiterin.

Die straffe Führung bringt die zehn Millionen Jahresüberschuß, den die 35 Subunternehmen der Stella AG 1994 erwirtschafteten. Selbst die Bauknecht- und Michelin-Logos im Schrotthaufen des Bühnenbilds mehren den Ertrag. Schwarze Zahlen lassen Al-Jazairi „auf Privatleben“ verzichten. Bei Stella wird gut verdient: 6.500 Mark Monatslohn waren schon 1988 Durschnitt. Das reicht für ein dickes Fell: „Man wird ja hier gerne belächelt wegen der Busse.“ Sie weiß, wann sie die Stella-Formel daherplappern muß: „Wir machen Unterhaltung, keine Kultur.“ Jole Roßdeutscher/

Jan Pallokat

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