: Harmonische Gesundheitsdebatte
■ Sozialdemokraten sind bei Gesundheitsreform verhandlungsbereit, eine Kooperation sei jedoch „politisch nicht kostenlos“/ Gesundheitsminister: Defizite kommen Versicherte teurer als Reform
Bonn (ap/dpa) — Bei der Bundestagsdebatte über das Gesundheitsstrukturgesetz hat die SPD das Gesprächsangebot von Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) bezüglich seiner Reformpläne angenommen. Gleichzeitig warnten die Sozialdemokraten vor dem Ausstieg aus der solidarischen Krankenversicherung und dem Weg in die „Zwei- Klassen-Medizin“. Seehofer betonte, er wolle mit seinem Gesetzentwurf „dem Teufelskreis von steigenden Beiträgen und steigenden Ausgaben entgegentreten“. Zahlreiche Redner, auch der Opposition, wandten sich gegen die massive Anti-Reform-Kampagne der Ärzte.
Es sei „gesundheitspolitisch falsch“, so Seehofer, „mit steigenden Beiträgen Verschwendung und unerwünschte Mengenausweitungen zu finanzieren.“ Am Ende dieses Jahres werde es ein Rekorddefizit der Krankenkassen von mehr als zehn Milliarden Mark und Rekordbeiträge zur Krankenversicherung von durchschnittlich 13,5 Prozent geben. Der Hinweis auf die steigende Lebenserwartung und den medizinischen Fortschritt reiche nicht aus, um Steigerungen von etwa 17 Prozent beim Zahnersatz im ersten Quartal dieses Jahres zu erklären, sagte Seehofer. „Wir haben die zweithöchste Arztdichte in Europa. Wir sind Weltmeister im Schlucken von Pillen und Tröpfchen.“ Ein Großteil der Arzneimittel lande aber auf dem Müll. Mit Blick auf seine Auseinandersetzung mit den Ärzten betonte der Minister, es sei wichtig, daß Verbände bei Gesetzen ihre Interessen verträten. Wenn ihm jedoch ein „verkapptes Euthanasieprogramm“ und die „Hinrichtung“ der Patienten vorgeworfen werde, sei die „Grenze der Schallmauer“ durchbrochen. Er rief „alle Beteiligten“ zu einer parteiübergreifenden Zusammenarbeit auf. Doch der stellvertretende Vorsitzende der SPD- Fraktion, Rudolf Dreßler, erklärte, die Mitarbeit der Opposition sei „politisch nicht kostenlos“. Die Privatisierung gesundheitlicher Risiken werde es mit der SPD nicht geben. „Unser Gesundheitssystem muß durchgreifend umgestaltet werden.“ Seehofers Pläne hingegen griffen „zu kurz“. Die nächste „Kostendämpfungsoperation“ wäre danach schon 1995 vorprogrammiert. Dreßler erinnerte daran, daß die Koalition schon die erste Gesundheitsreform 1989 als Jahrhundertwerk angepriesen habe. „CDU/CSU und FDP lügen sich in die Tasche“, wenn sie glaubten, mit mehr Selbstbeteiligung könne eine Stabilisierung der Kosten erreicht werden. Es werde lediglich eine Finanzquelle durch eine andere ersetzt, sagte Dreßler. Auffallend sei auch, daß den Versicherten direkt Geld „abgeknöpft“, Ärzten und Apothekern jedoch nur der Einkommenszuwachs begrenzt werde. Für die FDP sagte ihr Gesundheitsexperte Dieter Thomae, das Solidarsystem lebe von der Akzeptanz der Beitragszahler. Es könne von den Kassen nicht mehr ausgegeben als eingenommen werden. Die PDS-Abgeordnete Ursula Fischer nannte es „unterstützenswert“, daß Seehofer auch die Leistungsanbieter zum Einsparen heranziehe. Er lasse jedoch die besondere Lage der Ärzte in den neuen Ländern außer acht. Nach Seehofers Vorstellungen sollen die Krankenkassen im nächsten Jahr elf Milliarden Mark einsparen. Dazu sollen die Patienten durch eine stärkere Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln und beim Krankenhausaufenthalt drei Milliarden Mark beitragen. Die Leistungsanbieter — Ärzte, Apotheker, Pharmaindustrie und Krankenhäuser — sollen acht Milliarden Mark einsparen.
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