Harald Welzer über die Krise : „Das ist doch alles fuck“
Die Politik versage in der Klimapolitik auf ganzer Linie, sagt der Sozialpsychologe Harald Welzer. Es sei Zeit, endlich ernst zu machen.
taz lab, 24.03.2023 | Von ARON LENNY TEUSCHER
taz lab: Herr Welzer, Ihr neues Thema ist „Ernst machen“. Was meinen Sie damit?
Harald Welzer: Zum einen ist damit gemeint, dass man sich mit dem Nichterreichen von ehemals angestrebten Zielen vertraut machen muss. Wir sind nicht mehr im Vorfeld des Klimawandels und nicht mehr in der Lage, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Es geht um Leben mit dem Klimawandel und um die Verhinderung noch schlimmerer Auswirkungen. Dazu müssen wir uns ernsthaft Gedanken machen, wie wir unseren Stoffwechsel organisieren: die Wirtschaft so umstellen, dass wir mit den ökologischen und klimapolitischen Anforderungen angemessen umgehen können.
Zusammenfassend also: „Wir müssen handeln“. Würden Sie sagen „mehr handeln, weniger reden“ oder „anders handeln“?
Anders handeln. Wir sammeln bei taz FUTURZWEI seit vielen Jahren Beispiele von Unternehmen, die mit diesen Herausforderungen proaktiv umgehen und sagen: „Wir können nicht mehr konventionell weiterproduzieren, wir müssen unser ganzes Geschäftsmodell verändern, sodass wir nicht mehr zerstörerisch sind.“ Das ist der Schlüssel. Unsere konventionelle Wirtschaft ist zerstörerisch, und wir brauchen wirtschaftliche Strategien, um aufzuhören, die Natur zu zerstören.
Das ist keine neue Idee. Das fordern die Klimaaktivist:innen, die Sie als politiklos bezeichnen, auch.
Ich finde die Klimaaktivisten hervorragend. Ich glaube nur, dass ihr Horizont zu eng ist. Wir müssen an den Kern des Problems heran: die Art, wie wir unsere Produktion und Reproduktion organisieren. Wir haben ein Wirtschaftssystem, das permanent die Probleme produziert, die wir angeblich zu bekämpfen vorgeben. Und deshalb ist es nicht das Neuste, was ich sage; es ist ungefähr 50 Jahre alt. Aber wir haben alle gelernt, permanent weiterzumachen und Probleme zu ignorieren.
Wie muss sich die Wirtschaft transformieren, ist es „degrowth“, ist es nachhaltigeres Banking?
Das komplette Paket. Bei nachhaltigerem Banking weiß letztlich keiner, was das ist, ebenso bei „degrowth“. Wir brauchen eine Form des Wirtschaftens, die sich über die Endlichkeit der Welt im Klaren ist und dies als Voraussetzung ihres Jobs begreift.
Harald Welzer, Jahrgang 1958, ist Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg sowie Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen Stiftung FUTURZWEI Stiftung Zukunftsfähigkeit und Mitherausgeber des Magazins taz FUTURZWEI.
Foto: Jens Steingässer
Gibt es Mehrheiten für eine solche Transformation?
Nein. Die Mehrheiten gibt es für solchen Quatsch wie Elektroautos und mythische Worte wie „Dekarbonisierung“. Die Mehrheit wird dadurch hergestellt, dass man den Leuten sagt: „Ihr braucht euch nicht zu verändern, und wir können trotzdem den Klimawandel bekämpfen.“ Aber wenn man sagt, „wir müssen alles verändern, sonst werden wir mit dem Problem des Klimawandels nicht fertig“, gibt es natürlich keine Mehrheiten.
Sie sagen, es gäbe eine neue Bürgerbewegung, die kapiert, dass man handeln muss. Wer sind diese Menschen?
Diejenigen, die skeptisch sind, dass man so weitermachen kann wie bisher. Die meisten spüren, dass es an allen Ecken und Enden kracht und knirscht. Aber sie kriegen kein Angebot, damit umzugehen. Das Angebot ist nach wie vor: „Kauft Elektroautos und die Probleme sind gelöst“. Das sind keine proaktiven Angebote dafür, wie man anders konsumieren oder wohnen oder reisen könnte.
Vielleicht kommen die Menschen deswegen nicht ins Handeln, weil sie Angst haben, Dinge weggenommen zu bekommen?
Klar, weil ihnen nie kommuniziert worden ist, dass ihnen schon jetzt permanent was weggenommen wird. Wir leben unter Bedingungen, in denen wir bereits auf lauter Dinge verzichten: Ruhe, Sicherheit, Resonanz (wie Harmut Rosa sagen würde), auf einen vernünftigen Nahverkehr, auf Komfort und Daseinsvorsorge. Wann verzichtet man – wenn man etwas verändert oder wenn die Sachen so bleiben, wie sie sind?
Sie nennen die Menschen der neuen Bürgerbewegung die „guten Leute“. Dieser Begriff setzt voraus, dass es auch „schlechte Leute“ gibt. Wer sind sie und warum sind sie schlecht?
Na ja, der Bundesverkehrsminister beispielsweise und seine Partei. Seit 35 Jahren, seit einer kompletten Generation also, weiß man Bescheid. Und in dieser Generation ist trotzdem andauernd das Gegenteil davon gemacht worden, was dieses Wissen impliziert.
Dennoch haben wir heute noch eine Regierung in diesem Land, die Verträge abschließt für das Erschließen neuer Gasfelder, für Kohleimporte; der Verkehrsminister will 144 Autobahnprojekte durchsetzen, die Autoindustrie produziert Elektroautos mit 3 Tonnen Gewicht und 650 PS – kurz und gut, das ist doch alles fuck, das ist doch alles totale Scheiße. Und dann dieses Gerede, dass wir das Paris-Ziel noch einhalten können. Doch es wird permanent das Gegenteil getan. Das, was bisher versucht worden ist, ist offensichtlich nicht zielführend. Wir müssen die Sache viel ernster nehmen als bisher.
Braucht es dann nicht eine Utopie als Gegenentwurf?
Natürlich braucht man positive Zukunftsbilder, um sich irgendwohin aufzumachen, damit das Gegebene nicht als einzig Denkbares erscheint.
Sie sagen, das 1,5 Grad-Ziel könne nicht mehr erreicht werden. Ist das nicht eine Negation dieser Utopie?
Nein, das ist eine technische Schwundstufe von Zukunft. Das meine ich, wenn ich sage, dass die Klimabewegung, insbesondere die radikale, eigentlich unpolitisch ist. Sie konzentriert sich nur auf dieses eine Molekül. Das ist viel zu eng gedacht. Damit suggeriert man: „Wenn dieses Problem erledigt ist, haben wir keine Probleme mehr.“ Das ist Unfug. Es geht aber um den Entwurf einer anderen Form des Zusammenlebens und der Realisierung von Lebenssicherheit.
Glauben Sie, dass die These, die Sie stellen, in einem halben Jahr noch irgendeine Rolle spielt?
Ja natürlich. Welche sollte denn relevanter sein in einem halben Jahr? Wir haben nichts Relevanteres als die ökologische und die klimatologische Thematik. Wenn wir damit nicht umgehen können, kann man den Rest auch in die Tonne hauen.
Harald Welzer spricht auch auf dem taz lab am 22. April um 16 Uhr, Mainstreambühne: „Wir machen Ernst. Eine Stunde Zukunft mit Harald Welzer und taz FUTURZWEI“.