Harald Welzer über Umweltverbrechen: Krieg hat eine große Zukunft

Keiner spricht von den ökologischen Kriegsfolgen. Dabei sind sie immens. Und völkerrechtswidrig. Auch in der Ukraine ist eine Kaskade von Umweltverbrechen evident.

Eisbär im Zoo von Mykolajiw, 18. März 2022. Aus der Bildstrecke »Kowitsch« von Robin Hinsch Foto: Robin Hinsch

Von Harald Welzer

Am 10. Dezember 1976 hat die UN-Generalversammlung eine Konvention angenommen, die 1974 von der damaligen Sowjetunion auf die Agenda gesetzt wurde – damit war das »Umweltkriegsübereinkommen« in der Welt, das dann 1978 in Kraft trat. Dieses Übereinkommen verbietet den Einsatz von umweltzerstörenden Kriegshandlungen, etwa die gezielte Inbrandsetzung von Ölfeldern (wie in Kuwait 1991), das Bombardieren von Staudämmen, das Anzünden von Wäldern et cetera. Obwohl derlei seither zu den völkerrechtswidrigen Straftaten zählt, ist im Zusammenhang des Kriegs gegen die Ukraine zu solchen Themen noch kein Wort zu hören gewesen, auch nicht von der ehemaligen Umweltpartei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

»Es ist evident, dass eine Kaskade von Umweltverbrechen auch in diesem Krieg stattfindet, bis hin zu Angriffen auf Kernkraftwerke.«

Harald Welzer

Dabei ist ja evident, dass eine ganze Kaskade von Umweltverbrechen auch in diesem Krieg stattfinden – von Angriffen auf Tanklager über die Vernichtungsbombardements von Städten und Infrastrukturen bis hin zu Angriffen auf Kernkraftwerke.

Zudem wäre grundsätzlich darauf hinzuweisen, dass die Kriegsmittel, die in allen modernen Kriegen seit dem Ersten Weltkrieg eingesetzt werden und ihre ungeheure Vernichtungsdynamik entfalten, fossiler Natur sind. Ein moderner Panzer etwa verbraucht auf 100 Kilometer 250 Liter Sprit, im Gelände noch erheblich mehr, und dass Kampfjets, Kriegsschiffe, Versorgungsfahrzeuge und so weiter mit Kerosin, Benzin, Diesel oder Schweröl betrieben werden, sollte sich im Zeitalter der sogenannten Dekarbonisierung ja auch schon herumgesprochen haben. Hat es sich aber nicht. Weder in der politischen Klasse noch in den Medien hört man davon.

Dass die kämpfenden Parteien weder in Bürgerkriegen noch in zwischenstaatlichen Kriegen Rücksicht auf Umweltbelange nehmen, verwundert nicht, steht aber in seltsamem Kontrast zur friedlichen Welt der ökologischen Debatten. In Afghanistan etwa sind durch den zwei Jahrzehnte dauernden Kriegszustand rund 80 Prozent des Landes durch Bodenerosion beschädigt worden – die Fruchtbarkeit des Bodens nimmt ab, wenn er nicht bebaut wird, die Versalzung steigt an, der Grundwasserspiegel sinkt, die Verwüstung erstreckt sich über weite Flächen, und Erosionen durch Wasser und Wind sind weit verbreitet. Siebzig Prozent der Wälder Afghanistans sind in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden, auf fünfzig Prozent der landwirtschaftlichen Flächen wurde durch den Krieg nichts mehr angebaut.

Krieg hat langfristige Folgen für Folgen für Böden, Grundwasser, Pflanzen und Tiere

Im Vietnamkrieg sind durch den Einsatz von Entlaubungsmitteln 3,3 Millionen Hektar Land- und Waldfläche giftigen Chemikalien ausgesetzt gewesen, mit bis heute anhaltenden Folgen für die Böden, das Grundwasser, die Pflanzen und die Tiere. Die Weltbank hat 1995 resümiert, dass die Biodiversität Vietnams durch den Krieg dauerhaft verändert worden ist. Die nachhaltigen ökologischen Folgen des Vietnamkriegs waren im Übrigen auch der Anlass für die Verabschiedung des erwähnten Umweltkriegsübereinkommens.

Neben solchen direkten Folgen der Zerstörung und der unkontrollierten Entnahme von Ressourcen, der Verschmutzung des Grundwassers durch Kampfstoffe und Öl oder der Verwandlung ganzer Regionen in No-go-Areas durch Landminen, sind es auch die sekundären ökologischen Kriegsfolgen, die sich verheerend auswirken. So sind die Regionen um Flüchtlingslager meist in einem weiten Radius Ödland, weil die Geflüchteten zum Kochen oder zum Brennen von Ziegeln jedes verfügbare Bäumchen oder Gehölz niedermachen, was wiederum die künftige Versorgungslage beeinträchtigt, weil brennbares Material zur Überlebensinfrastruktur gehört.

In der Ukraine zählen zu den ökologischen Kriegsfolgen zerstörte Städte und Landschaften ebenso wie verwüstete Wälder und andere Naturräume mit ihren Tierbeständen. Die landwirtschaftlichen Flächen der Ukraine stellen ein Drittel der Ackerfläche der EU dar – die globalen Auswirkungen einer Nichtbewirtschaftung dieser Flächen sind evident. Schon in der Ostukraine haben, wie Sarah Fluchs in den IW-Nachrichten schreibt, »die Kämpfe seit 2014 die ohnehin schon prekäre ökologische Situation weiter verschärft. Durch die Überflutung von Minen, in denen seit dem Konflikt die Arbeit ruht, wurde das Wasser der gesamten Region kontaminiert. Der Fluss Siverskyi Donets und seine Nebenflüsse liefern 80 bis 85 Prozent des von der Donbas Water Company verwendeten Wassers, dem wichtigsten Wasserversorger der Region. Neben fehlenden Trinkwasserquellen sind Infektionen in den betroffenen Gebieten eine weitere Folge«.

Liefert all dies schon Grund genug, ökologische und nicht zuletzt auch klimatologische Folgen als völkerrechtliche Vergehen zu bewerten und so auch in die Debatten um das Für und Wider einer Steigerung der Kriegsmittel einzubeziehen, sollte in die geopolitischen Zukunftsszenarien auch dringend einbezogen werden, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der greifbaren Folgen der Naturzerstörungen der Industriemoderne ist. So kann man in der Betrachtung des gegenwärtigen Krieges nicht nur verwundert über die völlige Absenz jeder ökologischen und klimatologischen Perspektive sein, sondern auch irritiert über die Blindheit gegenüber den Kriegsursachen heutiger und kommender Kriege.

Harald Welzer ist Herausgeber von taz FUTURZWEI.

Dieser Beitrag ist im Juni 2022 in taz FUTURZWEI N°21 erschienen.

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