Harald Schmidt über Theater: "Shakespeare würde weinen..."
Hamlet ist ein Langweiler und das Stück "echt zäh", sagt Harald Schmidt. Am Freitag hat seine radikal gekürzte Version Premiere. Der Schauspieler über Hochkultur und die Finanzkrise.
taz: Herr Schmidt, hat das Theater Zukunft?
Harald Schmidt: Ich denke, es wird wieder wichtiger werden, je mehr die Leute die Schnauze voll haben von dieser Dauerbeballerung. Es kann ja kein Mensch mehr in den Zug steigen, ohne gleich eine DVD anzuschmeißen. Meine Erfahrung ist, dass die Leute es wieder wesentlich stärker schätzen, dass abends um 19.30 Uhr der Lappen hochgeht. Wer vom Live-Erlebnis mal angefixt ist, kommt nicht mehr los.
Leiden Sie, wenn Theater nicht funktioniert?
Doch! Aber das gehört mit dazu. Es gibt nichts Schlimmeres als Fußball-Theater-Vergleiche, aber: Sie wissen nicht, was ein Superspiel ist, wenn Sie nicht unglaublich viel quälenden Schrott gesehen haben. Und Sie wissen nie, wann das Superspiel kommt. Am Schlimmsten finde ich Langeweile. Ich will nicht hasserfüllt rausgehen.
Für Langeweile ist "Hamlet" durchaus anfällig.
Unabhängig davon, dass ich die Rolle spiele: Ab dem Tod von Polonius wird es echt zäh. Schon beim Auftritt des Geistes wird die Spannung völlig rausgenommen, weil der Geist gleich zu Anfang sagt, was passiert ist. Wir haben den Text dramatisch zusammengestrichen. Der ganze vierte Akt ist nur noch ein Salbader, da sehen Sie im Grunde von unten zwanzig Minuten zu, wie Hamlet Außer-sich-sein spielt. Und dann kommt die Endloskiste mit dem Ausbaldowern: "Nehmt dieses Schwert und dieses Papier. Wenn das beim zweiten Stoß nicht glückt, so setz ich sechs Hengste" usw..
Alles gestrichen?
Ja. Wir haben die Fechtszene total auf den Punkt gebracht. Und zwar ganz klar unter der Maßgabe: Welches Florett ist vertauscht und welches vergiftet?
Werktreue bedeutet Ihnen nichts?
Doch. Es weiß ja niemand, in welcher Version Shakespeare gespielt hat. Ich habe gelesen, die Aufführungen haben um 14 Uhr angefangen und mussten spätestens um 17 Uhr fertig sein, weil dann das Licht weg war. Sicher ist nur, dass es Shakespeare extrem auf Wirkung angelegt hat, sonst hätte um Fünfzehnhundertblumenkohl in London sich keiner das angeschaut!
Was muss man sich unter einem Stuttgarter Hamlet vorstellen, der nicht langweilig ist?
Hier ist Hamlet so, wie er sich gehört. Shakespeare würde weinen, wenn er's sehen könnte, und mir auch noch nachträglich einen Teil seines Vermögens überschreiben. Die Kategorie «wie sich's gehört» stammt von meiner Mutter. Da war immer klar, wie das auszusehen hat. Wir hatten Hamlet nackt, wir hatten ihn als Nazi, als Sozi, als Frau. Wir hatten Hamlet als mehrere Leute, wahrscheinlich hatten wir auch schon einen Hamlet, in dem Hamlet gar nicht auftrat. Ich habe hier mal einen Hamlet gesehen, da hat Wolf Vostell fünfzig Monitore aufgestellt. Da ist es doch mal wieder an der Zeit, den guten alten Schauspielführer aufzuklappen und zu sagen: hier! Alexander Moissi, das ist ne Perücke!
Sie haben Schauspiel in Stuttgart studiert, als Peymann Intendant hier am Staatstheater war. Wohin hat sich das Theater seit damals entwickelt?
Ich habe eigentlich nur die Generation Peymann, Stein, Zadek weiterverfolgt, weil ich mit denen als Zuschauer groß geworden bin. An die Generation von Michael Thalheimer und Thomas Ostermeier habe ich mich erst wieder angedockt, seit ich wieder intensiver Theater mache. Aber das hat man schnell aufgeholt. Die glauben natürlich, sie haben die alten Säcke abgesetzt. Ich würde sagen: Viel hat sich nicht verändert. Manches kommt wieder. Meiner Meinung nach lebt das Theater nach wie vor von erstklassigen Schauspielern, die von guten Regisseuren geführt werden. Es gab schon Ende der 70er Jahre Nackte, Minimalstbühnenbild, Schauspieler, die zwischendurch privat aus der Rolle aussteigen.
Was ist der Unterschied zwischen einem Staatstheater und einer Fernsehproduktionsfirma?
Das können Sie gar nicht vergleichen. Das ist so als ob Sie einen Krankenhausbetrieb mit einer Autofirma vergleichen wollten. Man nähert sich im Theater mit einem Ensemble wesentlich gründlicher einem Stück an, es entsteht über einen längeren Zeitraum hin. Und es muss wieder herstellbar und abrufbar sein.
Im Fernsehen popularisieren Sie Feuilletonthemen.
Klar. Ich lese alles. Jetzt ist das ja dank Internet teilweise nicht mehr nötig, aber ich war und bin ein großer Nachts-an-die-Tankstelle-Fahrer, um noch Zeitungen zu kaufen und die Kritiken zu lesen.
Populariseren Sie jetzt im Theater den Kanon?
Das hängt zwangsläufig mit meiner Person zusammen. Bei mir denkt das Publikum immer die Fernsehfigur mit. Insofern kann ich nicht dagegen an. Ich kann nur das machen, was ich für richtig halte auf der Bühne. Ich denke natürlich auch eher in Richtung Westend oder Broadway als in Richtung Off-Bühne, die sich nicht verbiegen lässt. Ein volles Haus ist ne tolle Sache.
Woher kommt Ihre Sehnsucht nach Hochkultur?
Mir ging es nicht um Hochkultur, ich wollte auf die Bühne. Aber ich habe zuhause Klavierunterricht gehabt und Orgel gespielt. Das bleibt. So wie Sie mit Begeisterung einen Döner und zwei Eimer Fritten essen können, wenn Sie wissen, dass es Gemüse gibt und wie das schmeckt, so können Sie sich auch dem Trash viel offener hingeben, wenn Sie einmal das Weihnachtsoratorium mitgesungen haben. Davon profitiere ich im Fernsehen. Um auf die Idee zu kommen, Antigone mit Playmobilfiguren nachzuspielen, müssen Sie halt mal was von Antigone gehört haben.
Ist das Humor für Eliten?
Da wird ja nichts anderes vorgeführt als mein Scheitern an diesen Hochgebirgen. Ich zeige ja auch mein angelesenes Wissen, das ich mir gerade für die halbe Stunde, die diese Sendung dauert, merken kann. Der Name Carl Schmitt war mir bis vor fünf Jahren überhaupt kein Begriff. Jetzt lese ich alle vierzehn Tage einen großen Feuilletonartikel über ihn, Tendenz entweder: Carl Schmitt muss mal anders gesehen werden als nur als Kronjurist des Dritten Reiches, oder: jetzt muss mal Schluss sein mit dieser Exegese, der Mann ist ausgeforscht. Man begegnet ihm ständig, insbesondere bei kritischen Linken mit so einer leicht fiebrigen Sehnsucht, von dem überragenden Geist eine Ladung Dreck ins Gesicht zu kriegen. Das ist Münte auf Kante genäht. Die kommen ja auch aus der gleichen Ecke, Plettenberg und Sundern. Als ich angefangen habe, mich damit zu beschäftigen, bin ich auf das Buch «Verhaltenslehren der Kälte» von Helmut Lethen gestoßen. Dieses Buch ist für mich eine echte Fundgrube, so wie früher Brechts Hauspostille.
Harald Schmidt, interpretiert mit Helmut Lethen, wäre ein schönes Seminararbeitsthema.
Total! Mich haben sie direkt seelisch aufgewärmt, die Verhaltenslehre der Kälte. Wenn Sie so was im Fernsehen thematisieren, dann schalten die meisten ab. Aber für die zehntausend Irren, die sich da auskennen, werden Sie eine Art Lourdes auf zwei Beinen. Jetzt bereiten wir gerade die größte Playmobilaktion überhaupt vor: Hans-Ulrich Wehlers Deutsche Gesellschaftsgeschichte, letzter Band, mit zwölf Metern Figuren. Da fragt man sich dann: Meinst du das, Reich-Ranicki? Man kann nicht sagen, dass Kultur im Fernsehen nicht stattfindet. Auch wenn es stimmt, dass die große Masse - und das ist alles mit mehr als eine Million Zuschauer - davon gar nichts wissen will.
Sehnen Sie sich danach, diese große Masse zur Kultur zu erziehen?
Ich mach das ja schon, aber in Form von Elite-Internat. Der Einstieg beim Gespräch mit Gottschalk war ja, dass Reich-Ranicki Helge Schneider mit Atze Schröder verwechselt hat. Das ist also ob ich sage: Fußball ist entsetzlich, ich habe neulich den Präsidenten von Herta BSC gesehen, Franz Beckenbauer. Dann ist die Diskussion beendet. Für uns ist sie allerdings wie eine sprudelnde Ölquelle. Der Latenight-Gott hat uns diese Sendung geschickt in trüben Zeiten.
Apropos sprudelnde Quellen. Ist der Kapitalismus jetzt vorbei?
Der Kapitalismus blüht mehr denn je. Und er funktioniert! Wer Fehler macht, fliegt vom Markt. Jede Firma, die zusammenkracht, zeigt, dass die Marktwirtschaft funktioniert.
Auch wenn es dann der Staat ist, der die zusammengekrachten Privatunternehmen retten muss?
Gute Frage. Wird er das? Nö, wird er nicht. Weil die Banken sagen: Wer als erster hinlangt, hat verloren. Ich finde das hochinteressant. Jetzt liegen die 500 Milliarden rum, und keiner will sie haben. Ein zwei Banken haben mal vorsichtig reingeguckt in den Geldkoffer, aber es scheint bankenintern die absolute Kapitulation zu sein, diesen Kredit in Anspruch zu nehmen. Und ich hab in einer Umfrage gelesen, dass nur 27 Prozent der Deutschen sich von der Finanzkrise betroffen fühlen. Auch hier im Theater ist das übrigens kein Thema.
Man kann sich doch auf die Armen und Ausgebeuteten konzentrieren.
Die Armen und Ausgebeuteten bleiben ja arm und ausgebeutet. Die sind ja von dem Bankenzusammenbruch nicht betroffen, die haben eh nix. Es ist ein westeuropäisches, nordamerikanisches und vielleicht südostasiatisches Problem. Schlimmstenfalls knallt das Bankensystem zusammen. Aber auch dann werden die Leute arbeiten gehen, es wird weiter produziert. Dann fängt man vielleicht wieder ein bisschen tiefer oder von vorne an. Ich find's eine großartige Situation!
INTERVIEW: EVA BEHRENDT
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