: Happy-End für den Einäugigen
■ Peter Weirs „Ein Jahr in der Hölle“, 22.15 Uhr, RTL
Djakarta 1965. Sukarno, der populistische Diktator Indonesiens, hat eben einen Putschversuch der Kommunisten blutig niedergeschlagen. Dies ist die Kulisse, vor denen Weirs Ein Jahr in der Hölle spielt. Im Gegensatz zu gängigen Polit-Thrillern stehen die Kulissen jedoch im Vordergrund. Während in den Straßen der Bürgerkrieg um Ideale und Menschlichkeit tobt, sitzen abgebrühte Korrespondenten in der klimatisierten Hotelbar und warten gelangweilt auf den weit aufregenderen Kriegsschauplatz Vietnam. Es scheint für sie interessanter zu sein, dem australischen Newcomer Guy Hamilton (Mel Gibson) Informationen vorzuenthalten, so daß dieser zuhause wegen schwacher Reportagen getadelt wird.
Ein politisch ambitionierter Film, der die tatsächlichen Zustände eines Landes einerseits aufzeigt, und andererseits den zynischen Voyeurismus der internationalen Presse geißelt, wäre an den Kinokassen gefloppt und mit Hollywood -Geldern schon gar nicht zustandegekommen. Wenn die „Kulissen“ bestimmend in den Vordergrund treten, müssen Identifikationsfiguren und Lovestory in den Hintergrund treten.
Peter Weir, der dem australischen Kino mit Picknick am Valentinstag (1975) und Die letzte Flut (1977) durch seine feinsinnige Ethno-Poesie zu internationalem Ansehen verhalf, hat das Problem durch einen Kunstgriff gelöst. Die nur vordergründig chaotischen Zustände des Landes, das Gespinst hintergründiger Zusammenhänge sowie das Elend und das Leid der Menschen findet sich auf rätselhafte Weise in dem zwergenwüchsigen Kameramann Billy Kwan (hervorragend gespielt von Linda Hunt) verkörpert, der seine Beziehungen zu hohen politischen Kreisen bislang geheimhielt. Im Außenseiter Guy Hammilton erkennt er jedoch jemanden, der die Korruption von oben und die Armut von unten nicht so leicht hinnehmen will. Er wird das „Auge“ von Guy. Über die in Billy personifizierte Ethno-Metaphysik bekommt Weir nicht nur die politische Kurve. Indem er den weisen Gnom mit dem Hawaii-Hemd zu einer Art buddhistischem Marionettenspieler stilisiert, zeigt er die Bewußtseinskrise der lärmenden Zivilisationsmenschen auf, die keine Antenne mehr haben für das feinsinnige Gespinst hinter der vordergründigen Fassade des Sichtbaren - hier der Kriegsschauplatz als Nachrichtenlieferant, in dem die coolen Reporter herumstochern wie in einem erloschenen Kartoffelfeuer.
Guy verweigert am Ende die regenerierende Symbiose, die der Zwerg ihm anbietet und die uns Weir subtil als Gleichnis vom Lahmen und dem Blinden symbolisiert. Er ist letztlich doch wie die anderen, eitel und ignorant. Wie der Zuschauer will Guy seine Lovestory. Und nachdem die, von wabernden Synthiklängen vorangepeitscht, abgefackelt ist, ist der Ofen aus. Guy verliert sein „Auge“, im doppelten Sinn. Ein glückliches Happy-End für den Einäugigen, der unter blinden Zuschauern König bleibt.
Manfred Riepe
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