: Hans im Glück als Friedrich der Große
Aus dem Leben eines Stadtführers: Allabendlich steht Olaf Kappelt als König Friedrich II. von Preußen am Brandenburger Tor und wartet auf seine Gäste. Manchmal erlebt er, wie ältere Männer vor ihm, wie im Affekt, für Sekunden respektvoll Haltung annehmen – und darüber meist selbst erschrecken
von WALTRAUD SCHWAB
Es sind die hehren Ideen, die einen wie Olaf Kappelt begeistern. Gerechtigkeit zum Beispiel. Oder Lebensfreude. Oder Freiheit. Er will sie nicht nur für sich. Obwohl er froh ist, wenn er sie hat. Der promovierte Soziologe, der sich nicht scheut, sich in einer preußischen Soldatenuniform jeden Tag in der Seestraße auf seinem Weg zur U-Bahn von den Weddinger Kindern zum Gespött machen zu lassen, beansprucht die großen Ideen, um sie zu verstehen. Dabei geht er ungewöhnliche Wege.
Derzeit versucht er, sich die Welt durch den Blick eines anderen zu erschließen. Unbescheiden ist er dabei nicht. Als Friedrich der Große, mit Dreispitz, Hakennase und Spazierstock, führt er die Touristen über „Unter den Linden“. An dem, was auf der Hauptstadtstraße zu sehen ist, erklärt er ihnen 300 Jahre deutsche Geschichte. „Die Berliner sagen ‚Alter Fritz‘ oder liebevoll ‚oller Fritz‘ zu mir.“ So stellt er sich den Besuchern vor und lädt sie ein, „die Dinge neu zu sehen“. Anhand der Gebäude, die von Friedrich und seinen unmittelbaren Vorfahren angelegt wurden, erklärt Kappelt, wie aus einer spartanischen Residenzstadt, die auf sumpfigem Boden stand, eine europäische Metropole werden konnte. Am Brandenburger Tor war Berlin damals zu Ende.
In der Montur vom Alten Fritz über den Prachtboulevard zu schlendern ist für Kappelt, der sich nun auch Friedrich König nennt, in vielerlei Hinsicht ein Experiment. Einmal natürlich, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Nicht die erste übrigens. Der 49-Jährige – der früher Philosophie-, Geschichts-, Koch- und auch Märchenbücher gesammelt hat – ist ein Hans im Glück. Das, was er hatte, hat er eingetauscht gegen Wertloseres. Nicht immer freiwillig, wohlgemerkt, aber weil er nicht bereit ist, das Leben nur von seiner schweren Seite zu nehmen, hat es ihn freier gemacht.
Als Friedrich der Große kann er zudem studieren, wie er auf Menschen wirkt. Kinder, die über ihn lachen, ihn bestaunen, mit dem Finger auf ihn zeigen. Das stört ihn nicht. Schon eher die irritierten Blicke der Frauen, obwohl er sie genießt. Dass aber die Männer, vor allem die älteren, wie im Affekt für Sekunden respektvoll vor ihm Haltung annehmen und darüber meist selbst erschrecken, zeigt, wie tief der militärische Geist verwurzelt ist. Kappelt geht nicht auf die Verbrüderung ein, die die Blicke der vermeintlichen Befehlsempfänger signalisieren.
Kappelt hat, wenn er Friedrich ist, vor allem den Visionär und Kunstmäzen – nicht den preußischen militärischen Befehlshaber – im Blick. „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden“, zitiert er seinen Vorgänger und betont bei allen Führungen, dass eine der ersten Amtshandlungen Friedrichs die Abschaffung der Folter war. Niemals würde Kappelt zudem vergessen zu erwähnen, dass der Alte Fritz die Religionsfreiheit sowie die Geistes- und relative Pressefreiheit eingeführt und Majestätsbeleidigung geduldet hat. Dass „die Nachgeborenen“ das alles wieder abgeschafft haben, kann beim Spaziergang über den Boulevard sowieso erörtert werden.
Je mehr Friedrich König das Leben König Friedrichs erklärt, umso deutlicher wird der Aufklärer, der sich dahinter verbirgt. Kappelt, der über Nazis in der SED promoviert hat, glaubt, dass in der aktuellen Politik die Visionen zu kurz kommen. „Es läuft alles auf ein Nivellieren hinaus. Zu wenig Ecken und Kanten.“ Alles sei Neue Mitte. Dass Ecken und Kanten auch Extreme bedeuten, pariert er mit „Grundaxiomen“: „dem Recht auf Leben. Und dass es mit friedlichen Mitteln gestaltet sein muss. Kein Krieg. Keine Gewalt.“ Deshalb will Kappelt auch Friedrichs Größe auf keinen Fall an seinen militärischen Erfolgen messen.
Der Stadtführer klebt nicht an seiner Rolle. „Obwohl ich mit Spaß und Freude rangehe, will ich nicht missionieren“, sagt er. „Zum Politiker tauge ich nicht.“ Sollte ihn allerdings jemand als Bürger nach seiner Meinung zu Dingen wie dem Stadtschloss befragen, hält er nicht hinterm Berg. Die Mitte brauche eine Aufwertung, etwas, das die Leute dorthin zieht. „Es muss etwas gebaut werden, was über Generationen wirkt, nicht nur für eine einzige wie der Palast der Republik oder im Westen das ICC.“ Warum nicht das Stadtschloss, der Alltag sei trist genug. Kappelt erinnert daran, dass es kein privates Lustschloss der Hohenzollern war, sondern primär immer schon Funktionsgebäude, obwohl die Familien unter den über 1.000 Zimmern dort einige Gemächer hatten. Außerdem: „Da bin ich an einem Sonntag zu Berlin im Jahre 1712 geboren.“
Kappelt lacht gerne und viel. Egal, wohin es ihn verschlägt – und er habe die Republik bereits von Norden nach Süden und Osten nach Westen bewohnt –, versucht er, dem Alltag die charmante Seite abzugewinnen. Seine Passion: Rollenwechsel. In Rothenburg ob der Tauber besaß er einmal eines der besten Hotels am Ort. Allabendlich wurden im 900 Jahre alten Restaurant Ritteressen, historische Tafeleien, „unvergessliches Schmaustheater“ geboten. Es war eine Episode in seinem Leben, in der er „die Relativität materieller Güter zu schätzen gelernt hat“. Hans im Glück eben. Als er nichts mehr hatte, hat ihn das Schicksal vor zwei Jahren zurückgeführt an den Geburtsort seiner Mutter: den Wedding zu Berlin. Hier ist die Miete bezahlbar, und er hat Platz für das Einzige, was ihm geblieben ist: seine Bücher.
Die Weddinger Kids haben sich mittlerweile an die eigenwillige Erscheinung gewöhnt. Sie halten ihn für Napoleon. Touristen aus den romanischen Ländern oder türkische Berliner übrigens auch. Der internationale Ruf des französischen Kaisers ist größer als jener des „ersten Dieners des Staates“. Den Amerikanern allerdings sagen die europäischen Finessen nicht viel. Für sie steht niemand anders als George Washington vor dem Brandenburger Tor und wartet auf seinen Fanclub.
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