: Hans Günther Oesterreich
■ 29.7.1910 - 4.5.1990
Zu einem meiner kleinen Bücher hat Hans Günther Oesterreich den Klappentext geschrieben. (Das einzig Lesenswerte an diesem Machwerk, wie später ein Kritikaster anmerkte.) Als ich ihn telefonisch um diesen Freundschaftsdienst bat, knackte es in der Leitung, und nach einer Weile hörte ich seine Stimme: „Einen Klappentext? Sowas kann ich nich‘. Das ist ja furchtbar...“
Und jetzt werde ich telefonisch gebeten, auf diesen Mann einen Nachruf zu schreiben. Sowas kann ich nicht. Lizzi Waldmüller hätte es vielleicht gekonnt, sein Freund Erich Fried, die große Diseuse Iska Geri, der telefonbuchzerreißende Graf Luckner, man hätte Evelyn Künnecke fragen sollen, F. C. Delius, Friedrich Meyer, Ilse Werner, Hans-Joachim Kulenkampff oder James Last.
Himmel, was hat der bloß alles gemacht! Er war Theaterregisseur in Paris, Trickfilmzeichner, Weltumsegler, Kameramann und Regisseur bei der Ufa, Satiriker, Karikaturist und... freiberuflicher Spötter. Er gehörte zum staff des legendären Belgrader Soldatensenders „Lili Marleen“, wurde in den letzten Kriegstagen in Wien wegen Befehlsverweigerung zum Tode verurteilt und statt von den Deutschen zu letzterem von den Amerikanern zum Bürgermeister von Prackenbach in Bayern befördert. Im selben Jahr, 1945, kehrte Hans Günther Oesterreich nach Bremen zurück, wo er schon einen Großteil seiner Jugend verbracht hatte, und machte sich inmitten der post-urbanen Trümmerlandschaft daran, seinen Traum umzusetzen, den er mehrere Monate lang, gewissermaßen als einzige hier bitte
das bild
mit dem kopf
reinkleben
Wegzehrung, mit sich herumgeschleppt hatte: Die Idee von der Gründung eines Radiosenders.
Hans Günther Österreich stürzte sich gemeinsam mit einem Häuflein verbündeter deutscher und Rundfunkbesessener ins ätherische Abenteuer und war 1945-46 erster Sendeleiter Radio Bremens. Ein allround-man als Sprecher, Autor, Regisseur und Organisator. Ein Mann, dem feste Posten freilich zuwider waren, der sich schon ab 1947 auf die Wildbahn der freien Mitarbeit zurückbegab und seinem Sender ungebunden verbunden blieb.
Bremerinnen und Bremer, die die 50er Jahre auch nur halbwegs bewußt erlebt haben, werden sich seiner Serie „Familie Meierdierks“ erinnern, der Zeitzeugen glaubhaft Straßenfegerqualitäten attestieren. Für viele meiner Kolleginnen und Kollegen ist Hans Günther Oesterreich der Repräsentant der Fuffzigerjahre schlechthin, womit sie, damit wir uns recht verstehen, auf seine Art Rundfunk zu machen anspielen. Sie sagen so etwas durchaus anerkennend. Als Diplomaten des herrschenden Zeitgeistes. Also ziemlich pharisäerhaft. Im Sinne von: Jedes Ding zu seiner Zeit. Schublade zu. Aus.
Glücklicherweise sind im Schallarchiv von Radio Bremen einige seiner Funkarbeiten erhalten geblieben unglücklicherweise nur wenige. Darunter auch solche, die noch kein Jahrzehnt alt sind. Reminiszenzen des 73jährigen, der hinreißend altmodisch zu erzählen weiß, der es sich herausnimmt, für seine Geschichten Zeit zu beanspruchen, der seine Pointen langsam garen läßt, der nichts von sich hermacht und doch ganz genau weiß, daß es ihm bereits mit den ersten ein oder zwei Sätzen gelungen ist, seine Zuhörerinnen und Zuhörer rettungslos in seine Story zu verwickeln, aus der sie nur wieder herauskommen, wenn sie bis zum Ende dranbleiben an den Lautsprechern.
Unerhört, so einer. Das kann man doch heute nicht mehr machen. Oder richtiger: Das kann doch heute keiner mehr. Und jetzt stirbt uns der auch noch weg, geht einfach über Bord. Wir senden S.O.S. Michael Augusti
Anm. d. Red.: Heute abend ist Hans Günther Oesterreich noch einmal zu hören, und zwar von 21 - 22 Uhr auf RB1
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen