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Aus taz FUTURZWEI

Hans-Dietrich Reckhaus über Insect Respect „Ich bringe den Markt nach unten“

Der Unternehmer Hans-Dietrich Reckhaus verkauft Insektentötungsmittel und will damit Insekten retten. Verwirrt?

»Ich gebe zu, dass etliche Kunden die Geschäftsbeziehung abgebrochen haben«: Unternehmer Reckhaus in seinem Büro Foto: Ricardo Wiesinger

taz FUTURZWEI: Herr Reckhaus, mit Ihren Produkten wurden Milliarden Insekten getötet. Heute rufen Sie dazu auf, Insekten zu schützen. Das klingt paradox. Was ist passiert?

Hans-Dietrich Reckhaus: Ich habe das Unternehmen 1995 in zweiter Generation übernommen und die ersten 15 Jahre schön aufgebaut. Ich hatte nicht so große Lust auf meine Firma, aber letztlich bin ich da hineingeboren worden.

Sie wollten nie Insektenvernichtungsmittel herstellen?

Sagen wir so: Es hat mich nicht angemacht, zeitgemäße Insektentötungsprodukte herzustellen. Aber gleichzeitig bin ich auch nie darauf gekommen, dass Insekten vielleicht wertvoll sein können und vielleicht sogar noch dramatisch bedroht. Ich hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen, ich habe mit großen Handelskonzernen zusammengearbeitet, und die haben mich ja jeden Tag belohnt und gelobt für die gute Arbeit.

Und dann?

Vor zehn Jahren traf ich auf Künstler, und zwar auf Frank und Patrik Riklin aus St. Gallen. Sie sollten eigentlich nur eine Kunstaktion für eine insektizidfreie Fliegenfalle kreieren, die ich entwickelt und sogar patentiert habe. Aber dann komme ich in das Kunstatelier, und die sagen zu mir: Hans, dein Produkt ist einfach nur schlecht, wie kommst du überhaupt damit zurecht, dass du den ganzen Tag Fliegen tötest?

Hans-Dietrich Reckhaus

Der Mann: Geschäftsführender Gesellschafter der Reckhaus-Gruppe, ursprünglich Hersteller von Insektenvernichtungsmitteln. Dr. der Betriebswirtschaft.Leitet den gleichnamigen Familienbetrieb (60 Mitarbeiter) in der Nachfolge seines Vaters Klaus seit 1995.

Geboren 1966, verheiratet, lebt am Firmensitz in Bielefeld.

Das Werk: Warum jede Fliege zählt. Eine Dokumentation über Wert und Bedrohung von Insekten. Murmann 2020 – 184 Seiten, 20 Euro

Offensichtlich doch gut zu dem Zeitpunkt?

Ja. Das war für mich aber zu 100 Prozent abstrakt. Und dann haben sie mir ihre Idee einer Fliegen-Rettungsaktion erläutert, inklusive einer Stubenfliege namens Erika, die mit der Lufthansa auch mal in den Erholungsurlaub fliegt. Das haben wir später alles gemacht, aber damals dachte ich, ich kann doch nicht als Insektentöter Werbung für Insekten machen. Ich habe das abends meiner Frau erzählt. Sie ist Kunsthistorikerin und hat viel mehr Ahnung von Kunst als ich. Und sie sagte auch, Fliegenretten als Kunstaktion sei völlig spinnerisch. Ich habe zwei Nächte nicht schlafen können, und dann habe ich die Riklins angerufen und gesagt: Wir machen das. Da waren die ganz überrascht, weil sie nie damit gerechnet hatten. Und dann sagten sie: Wir arbeiten aber nur mit, wenn du die Rettung auch in dein Geschäftsmodell integrierst. Sonst ist das eine Eintagsfliege oder Marketing.

Leuchtete Ihnen das ein?

Das habe ich am Anfang nicht verstehen wollen. Damals habe ich noch gedacht, ich mache mein Geschäft weiter und nebenbei kann ich auch mal so Fliegen retten. Das ist doch sympathisch. Über Monate wurde die Idee immer größer. Die Künstler sagten, ich solle doch einen Geldbetrag pro Produkt nehmen und in weitere Rettungsaktionen stecken. Meine Antwort: Jetzt mache ich das konsequent. Nicht tausend Fliegen töten und zehn retten, sondern tausend töten und tausend einen Lebensraum anbieten. In dem Moment war im Kunstatelier die Idee der ersten ökoneutralen Biozide der Welt geboren.

Sie kompensieren mit dem Siegel »Insect Respect« den durch Tötungsmittel entstandenen Insektenverlust durch insektenfreundliche Lebensräume.

Ja, was mich auch als BWLer beeindruckt hat, weil wir eine weltweite Innovation gefunden haben. Dieses Geschäftsmodell habe ich vor zehn Jahren ganz beseelt meinen Mitarbeitern präsentiert.

Und?

Es kam nur Kritik. 100 Prozent Kritik. Keiner wollte mehr mit mir reden, ich bin das schwarze Schaf der Branche geworden und werde seit zehn Jahren nicht mehr eingeladen vom Verband der Chemischen Industrie, obwohl ich pünktlich meine Jahresbeiträge zahle. Die Leute gucken weg, die gucken weg.

Ist das nicht besser geworden?

Nein, das ist bis heute so. Ich tue weh. Ich tue weh, weil ich mit aller Kraft, die ich habe, am gesellschaftlichen Bewusstsein für Insekten arbeite. Ich mache ja mittlerweile sogar die wichtigste jährliche Veranstaltung über den Wert und die Bedrohung von Insekten im deutschsprachigen Raum: den »Tag der Insekten«, übrigens am 30. März in Berlin. Publiziere, mache Ausstellungen. Podcasts. Medienarbeit. Je mehr Bewusstsein die Gesellschaft für Insekten hat, desto schlechter geht es der Branche.

Fangen und draußen freilassen statt töten: Fruchtfliegen-Retter Dr. Reckhaus Foto: Ricardo Wiesinger

Was haben die Angestellten gesagt? Die fühlten sich ja möglicherweise auch bedroht in ihrer Existenz.

Die Angestellten haben gar nichts mehr gesagt. Wir sind ein ganz klassischer Familienbetrieb, bei dem die Mitarbeiter sehr lange da sind, oft Jahrzehnte. Man kennt sich gut, man grüßt sich herzlich, man macht sich gegenseitig einen Kaffee. Nach der Geburtsstunde von »Insect Respect« bin ich in die Firma gekommen und die Mitarbeiter haben weggeguckt. Geredet wurde da gar nicht mehr.

Die hatten Angst?

Wir sind ein mittelständisches Unternehmen mit fünfzig Mitarbeitern vor Ort, und ich wusste natürlich, dass die Mitarbeiter Angst um ihre Arbeitsplätze hatten. Ich wusste, dass sie denken: Der ist ja total verrückt. Ich hatte zwei leitende Kräfte. Die haben beide gekündigt. Ich habe dann Seminare gemacht, und zwar für alle Mitarbeiter. Ich habe Biologen sprechen lassen, ich habe die Künstler sprechen lassen, aber die Stimmung blieb sehr schlecht.

Sie haben fast stolz darauf hingewiesen, dass Ihr Umsatz und noch mehr Ihr Gewinn zurückgegangen ist.

Das ist ein stetiger Weg nach unten, der bis heute anhält. Ich habe in den letzten Jahren rund 30 Prozent meines Umsatzes und 80 Prozent meiner Rendite verloren. Seit zwei Jahren ist es kritisch. Ich muss jetzt wirklich aufpassen. Ich muss jetzt echt sehen, dass wir durchhalten.

In Ihrem Buch schreiben Sie aber, dass Sie Ihren Weg als zukunftsfähigen unternehmerischen Weg betrachten. Da ist die wirtschaftliche Dimension doch zentral wichtig?

2012 habe ich meinen Mitarbeitern gesagt: Es wird ungefähr zwanzig Jahre dauern, bis wir damit Geld verdienen. Und seit knapp zwei Jahren haben wir ein Wachstum mit Produkten, die das Gütesiegel tragen, weil große Kunden wie Aldi, dm und Rossmann und mittlerweile auch Migros in der Schweiz und Spar in Österreich mit unserem Siegel arbeiten. Unser Umsatz steigt.

Mit Insect Respect?

Ja. Und jetzt kriegen wir jeden Monat Anfragen für den Bau eines insektenfreundlichen Lebensraums, und zwar von außerhalb unserer Branche. Da haben die Unternehmen verstanden, dass die grüne Wiese vor ihren Firmen, diese kurz geschnittenen Rasenflächen, nicht nur eine ökologische Wüste ist, sondern sie auch noch in der Pflege viel Geld kostet. Und jetzt rufen die mich an und sagen: Herr Reckhaus, können Sie da nicht so einen insektenfreundlichen Lebensraum bauen? Die wollen alle das Insect-Respect-Siegel.

»ICH DACHTE: DAS MUSS DOCH MACHBAR SEIN. DAS MUSS DOCH MACHBAR SEIN, MIT SINNVOLLEN DINGEN GELD ZU VERDIENEN.«

Hans-Dietrich Reckhaus

Wer?

Ich habe für Ritter Sport eine Fläche gebaut. Ich baue zurzeit für IKEA in Rumänien eine Fläche. Damit verdienen wir Geld. Das ist jetzt ein zweites Standbein, das nebenbei wächst. Wir fangen an, Landschaftsgärtner zu schulen, bauen ein Franchise-System auf, damit die Landschaftsgärtner endlich mal was über Insekten lernen, was sie früher in ihrer Ausbildung überhaupt nicht gehört haben. So wächst mein Gesamtgeschäft, auch wenn die Zahlen noch bescheiden sind.

Warum ist die Erkenntnis, die bei Ihnen gewachsen ist, gesamtgesellschaftlich noch so selten?

Die Riklins, die sehr intensiv mit Unternehmern arbeiten, sagen: Die meisten Unternehmer erkennen den Sinn in unseren Ideen. Aber sie sagen auch: Das ist ja nicht realistisch, das können wir nicht umsetzen. Unternehmer haben ja alle ein großes Ego und feiern sich für irgendwelche Zahlen, für Umsatz, Marktanteil, Mitarbeiteranzahl, Exportmärkte. Das hat mich nie so sehr interessiert. Ich war insgeheim immer unzufrieden und habe offenbar nach etwas gesucht. Als ich es gefunden hatte, wusste ich: Das stärkt mich. Das macht mir große Freude, dass ich diese Branche verändern kann, dass ich am gesellschaftlichen Bewusstsein für Insekten arbeiten kann. Dass ich eine neue Kultur schaffe für das Verhältnis Mensch und Insekt.

Sind Sie immer schon ein Abweichler gewesen?

Mein Vater ist ein Patriarch. Ich bin sehr konservativ erzogen worden. Erst im betriebswirtschaftlichen Studium habe ich gemerkt, dass ich nicht der klassische Kaufmann bin. Das hat mich einfach überhaupt nicht interessiert, über was meine Kollegen sich unterhalten haben. Ich habe meine Diplomarbeit über Umweltschutzüberlegungen in der chemischen Branche geschrieben – und damit schon den elterlichen Betrieb direkt kritisiert. Und ich war einer der Ersten, die an der »feinen« Universität St. Gallen die Arbeit auf grauem Umweltpapier abgegeben haben, im Jahr 1990. Zwischenzeitlich war ich ganz kurz davor, die Brocken hinzuwerfen und Literatur zu studieren. Ich dachte, nur Literatur kann mich retten.

Was kam dazwischen?

Die Fesseln von zu Hause waren zu stark. Ich konnte mich nicht befreien. Danach bin ich tatsächlich ins elterliche Unternehmen gerutscht und wollte gerade wieder ausbrechen. Da hat mein Vater mir von heute auf morgen das Unternehmen übertragen. Er sagte: Hier, jetzt hast du es. Ich dachte: Mist.

Aber Sie haben dann funktioniert?

Ja, ich habe sehr viel gearbeitet. Und als ich wieder ein bisschen Luft hatte, bin ich oft von der Firma weg gewesen und musste meinen Frust literarisch verarbeiten. Ich war immer unzufrieden und habe das immer so gemacht, dass ich da gerade von leben konnte.

Na, na.

Doch. Ich habe nur die Geschäftsanteile. Ich zahle meinem Vater bis heute Miete. Als mir die Künstler die Antwort auf meine Suche nach Sinn auf dem Silbertablett präsentierten, dachte ich: Ich versuch's. Das muss doch machbar sein.

Was?

Das muss doch machbar sein, mit sinnvollen Dingen Geld zu verdienen. Und dann habe ich mich – in Anführungsstrichen – verwirklicht.

Sie waren schon auch in einer privilegierten Position?

Ich habe natürlich die besondere Situation ausgenutzt, dass ich niemand anderen fragen muss. Aber Deutschland ist ein Land von kleinen, inhabergeführten Betrieben, das dürften über 90 Prozent der Betriebe sein. Das heißt: Was ich mache, das können ganz, ganz viele tun.

Offenbar ist eine Voraussetzung dafür, um out of the box zu denken, nicht zu 100 Prozent identifiziert zu sein mit dem, was man macht.

Ja, davon bin ich überzeugt. Zum Beispiel meine Studienfreunde, auf die ich nichts kommen lasse. Sie sind beseelt von Zahlen. Sie finden meine Geschichte irgendwie cool. Und trotzdem sagen sie: Insekten retten? Weißt du, ich muss jetzt hier sehen, dass ich meine Marktanteile steigere. Du, ich habe jetzt gerade einen neuen Exportmarkt. Indien. Hans, du musst nach Indien gehen. Indien wächst.

Sie haben auch Freunde verloren?

Naja, ich war so beseelt von der Richtigkeit meines Handelns und wollte das mit meinen Freunden teilen. Und ich merkte, hoppla, da wird sofort das Abendessen abgebrochen. Auf einmal musste man früh ins Bett und hatte keine Zeit mehr. Freunde haben mit mir nicht geredet und das tun sie teilweise bis heute nicht. Sie wollen damit nichts zu tun haben.

Insect Respect: Man trägt Insekt Foto: Ricardo Wiesinger

Das ist nachvollziehbar: Lebensgrundlagen bewahren gilt als unrealistisch und romantisch. Weiter zerstören gilt als ökonomisch sinnvoll oder notwendig. Sie widersetzen sich dem und das verstört. Wie haben Sie das denn dann vollends durchgezogen, wenn Familie, Freunde, Leute im Unternehmen gesagt haben: Mach das nicht?

Um mich herum hat sich niemand für die Rettung von Insekten interessiert. Ich habe mich dann über zwei Jahre ein bisschen zurückgezogen und mit 50 Prozent meiner Zeit ein Buch über den Wert und die Bedrohung von Insekten geschrieben: Warum jede Fliege zählt. Dadurch habe ich erst verstanden, wie wichtig und dramatisch bedroht Insekten sind. Und damit hatte ich erst ein richtiges Problem: Wir produzieren den ganzen Tag in Bielefeld Insektenvernichtungsmittel, 100.000 Stück gehen da täglich übers Fließband. Und auf einmal wird Ihnen klar: Ohne Fliegen gibt es keine Vögel mehr, ohne Mücken gibt es keine Süßwasserfische mehr. Ohne Insekten geht die Welt zu Ende.

Was haben Sie gemacht?

Ich kam auf die Idee, dass ich vor meinen Produkten warnen muss. Weil ich sonst nicht mehr schlafen kann. Ich habe also Warnhinweise auf die Verpackungen gedruckt. Ich zeige Ihnen das mal.

Sieht ein bisschen aus wie bei Zigarettenschachteln.

Der Warnhinweis ist auf der Vorderseite. Und auf der Rückseite sind ganz viele Informationen über den Wert von Insekten. Sie kriegen ein richtig schlechtes Gewissen, wenn Sie das Produkt kaufen. Außerdem jede Menge Präventionstipps, damit wir lernen, die Insekten draußen zu lassen. Insekten sind ja nur dann ein Problem, wenn sie drinnen sind, in Gebäuden, in Zimmern. Sie draußen zu lassen, ist erstens die beste Bekämpfung und zweitens die beste Rettung. Nachdem ich das gemacht hatte, konnte ich wieder schlafen.

Reaktionen?

Ich gebe gerne zu, dass etliche Kunden dann die Geschäftsbeziehung abgebrochen haben. Ich habe aber auch handgeschriebene Briefe von Händlern bekommen: »Herr Reckhaus, Sie sind die aufrichtigste Marke in meinem Geschäft. Ich werde mich immer für Sie einsetzen.«

Wir lernen, dass zwar ständig von Weltrettung geredet wird und wie grün und bio alles sei oder werden müsse, aber Unternehmerpersönlichkeiten wie Sie die Ausnahme sind und für ihr Handeln von allen Seiten Feuer bekommen. Was ist Ihre Erkenntnis?

Ich war ein destruktiver Unternehmer und habe erst dank der Künstler verstanden, dass mein Unternehmen mir einen sehr guten Hebel gibt, die Welt ein wenig empathischer und umweltfreundlicher zu gestalten. Das ist doch fantastisch! Ich bin heute total zufrieden mit dem, was ich tue. Aber Voraussetzung war, dass ich mich von dem Geldverdien-Gedanken befreit habe. Nicht, weil ich so viel habe. Ganz im Gegenteil. Aber die Befreiung vom Ökonomischen versetzt einen in die Lage, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die wirklich einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Wenn man da eine Antwort gefunden hat, dann kann man fragen: Wie kann ich damit Geld verdienen?

»INSEKTENTÖTUNGSPRODUKTE SIND SCHLECHTE PRODUKTE. SIE MOTIVIEREN MENSCHEN, INSEKTEN ZU TÖTEN.«

Hans-Dietrich Reckhaus

Ist denn das Töten von Insekten eigentlich komplett sinnlos? Auch das von Kleidermotten, Zecken und was es da so gibt.

Ich mache nur Insekten-Tötungsprodukte für den privaten Gebrauch im Haus, das heißt Insektensprays, Mottenpapiere, Ameisenköder bis hin zur Fliegenklatsche. Insekten im Haus haben keinen ökologischen Nutzen. Und da stören die. Dann sagt unsere Branche: Das sind Schädlinge, ich habe ganz tolle Mittel, um die mal ganz dezent und schnell zu entsorgen. Aber keiner fragt, wo die Insekten herkommen. Nämlich von draußen. Deshalb ist es am besten, wenn wir Menschen lernen, Insekten draußen zu lassen. Das ist die Logik. Kleidermotten, Lebensmittelmotten und Fliegen, sie alle bestäuben Pflanzen. Und sie sind ein wesentliches Element der Nahrungskette. Wenn man die rettet, macht man ökologisch etwas Sinnvolles, denn es gibt kein Insekt auf dieser Welt, das keinen ökologischen Nutzen hat.

Auch die Zecke?

Auch die Zecke. Und nur fürs Protokoll: Zecken sind keine Insekten, sondern Milbentiere. Insekten sind nur die Tiere, die sechs Beine haben.

Herr Reckhaus, eine Sache müssen wir noch klären: Der größte Teil Ihrer Umsätze kommt weiterhin durch das Töten von Insekten. Wo ist da die Logik?

Insekten-Tötungsprodukte sind schlechte Produkte, egal ob sie insektizidhaltig sind oder insektizidfrei. Das ist nicht zu diskutieren. Das Problem ist, dass sie den Menschen motivieren, Insekten zu töten. Die Masse möchte heute Insekten töten, und die Masse kauft solche Produkte. Wenn ich jetzt aufhöre, dann erreiche ich diese Masse nicht. Daher produziere ich weiter Insekten-Tötungsmittel, statte sie aber mit Warnhinweis und nützlichen Informationen aus. Dadurch mache ich meine schlechten Produkte zu sinnvollen Produkten, weil sie auf das gesellschaftliche Bewusstsein für Insekten einzahlen.

Die Tötungsprodukt-Käufer ändern irgendwann ihre Einstellung zu Insekten?

Schauen Sie, wenn wir zu dritt als kleine NGO so ein bisschen für die Insekten kämpfen, dann kommen wir nicht an die Oberfläche. Ich bin nur ein kleiner Mittelständler, aber da ich mit Aldi, Rossmann, all diesen Unternehmen arbeite, bin ich oben. Ich sage denen: Leute, ihr könnt mein Gütesiegel haben, aber nur mit Warnhinweis. Die großen Kunden sind leider nicht so radikal, dass sie den erwähnten Warnhinweis umsetzen. Aber: Auf jeder Packung der Großen steht drauf: »Lesen Sie die Präventionstipps. Ziel ist, das in Zukunft weniger Bekämpfungsprodukte eingesetzt werden.« Letztes Jahr haben 4,5 Millionen Packungen das Insect-Respect-Gütesiegel getragen. Tötungsprodukte. Ich finde das richtig klasse, weil meine Tötungsprodukte wehtun. Und so bringe ich den Markt nach unten.

Sie sind ein Unternehmer, der den Markt nach unten bringen will.

Richtig. Mein gesellschaftlicher Beitrag ist, dass ich den Markt der Insektenbekämpfung nach unten bringe. Und deswegen möchte ich weitermachen und damit Geld verdienen. Und wenn ich den Markt im deutschsprachigen Raum nach unten gebracht habe, dann gehe ich nach Frankreich, Spanien, Italien und in die USA und bringe da die Märkte auch nach unten.

Interview: PETER UNFRIED und HARALD WELZER

Dieser Beitrag ist im März 2023 in taz FUTURZWEI N°24 erschienen.