Hannover beendet Pilotprojekt: Keine anonyme Bewerbung mehr
Während Niedersachsen das anonymisierte Bewerbungsverfahren testen will, hat die Landeshauptstadt negative Erfahrungen gemacht.
HANNOVER taz | Kein Foto, keine Angabe von Name, Nationalität, Geburtsort oder Religion: Ein Jahr lang hat Hannover das anonymisierte Bewerbungsverfahren getestet. Nun hat die Stadt entschieden: Das Projekt wird nicht fortgeführt.
„Das Verfahren brachte nicht die gewünschten Ergebnisse“, sagt Andreas Möser, Pressesprecher der Stadtverwaltung. Anonymisierte Bewerbungen sollen eine Diskriminierung von Frauen oder Migranten verhindern. „Im Testjahr haben sich weniger Frauen beworben und es wurden weniger Frauen eingestellt“, sagt Möser. Statt 52 Prozent Frauen 2012 bewarben sich 2013 nur noch 38 Prozent; eingestellt wurden nur 40 Prozent Frauen gegenüber 56 Prozent im Jahr davor.
Wie viele Migranten sich beworben haben, hat Hannover nicht überprüft. Hinzugekommen sei aber ein größerer Bearbeitungsaufwand, weil Personalien und Qualifikationsangaben getrennt werden mussten. Kurz: „Wir konnten insgesamt keine Vorteile feststellen“, bilanziert Möser.
Damit läuft Hannover gegen den bundesweiten Trend – immer mehr Länder und Kommunen testen das anonymisierte Bewerbungsverfahren. In Stuttgart und Berlin laufen Pilotprojekte.
Hamburg testet das Verfahren in einzelnen Stellenausschreibungen. 2008 hat Niedersachsen die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet und bemüht sich seither, für Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zu Verwaltungsstellen zu verbessern. Auch die rot-grüne Landesregierung hat ein solches Pilotprojekt im Koalitionsvertrag festgeschrieben und arbeitet derzeit an der Umsetzung.
Dass die Landeshauptstadt dem Projekt eine Absage erteilt, habe auf die niedersächsischen Pläne keinen Einfluss, sagt Landessprecherin Svenja Böhrk. Über die Hannoverschen Gründe mag sie nicht spekulieren. „Damit geht leider ein Protagonist auf kommunaler Ebene verloren“, bedauert sie.
Ausgangspunkt war ein Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2010.
Ziel war, die Chancen für Migranten, Mütter und ältere Bewerber zu verbessern.
Formal besteht eine anonymisierte Bewerbung aus einem Standard-Formular, das online oder auf Papier ausgefüllt wird. Foto und persönliche Angaben fehlen.
Andere Länder sind schon weiter: In den USA und Großbritannien ist das Verfahren längst Usus, in Frankreich und der Schweiz zum Teil. Belgien hat im gesamten öffentlichen Sektor anonymisierte Bewerbungen eingeführt.
Sebastian Bickerich von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist nicht glücklich über die Entscheidung Hannovers. „Es ist erwiesen, dass Bewerber mit ausländischen Namen seltener zum Gespräch eingeladen werden als Mitstreiter mit deutschen Namen“, sagt er.
Nach einer Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen müsse jemand mit türkischem Namen im Durchschnitt sieben Bewerbungen verschicken, bis er zum Bewerbungsgespräch eingeladen werde – einer mit deutschem Namen nur fünf.
Er bemängelt, dass Hannover das Verfahren nur in zwei von 22 Fachbereichen durchgeführt hat, und dass es sich dabei mit den Fachbereichen Bauen und Stadtentwicklung sowie Gebäudemanagement um technische Berufe handele.
Er zweifelt an der Aussagekraft der Ergebnisse. Stadtsprecher Möser begründet die Auswahl mit der Zahl der Stellenausschreibungen. „Bei den meisten anderen Fachstellen werden innerhalb eines Jahres nur wenige Stellen frei“, sagt er.
Tatsächlich scheint es, als sei die Begeisterung in Hannover schon vor dem Start des Pilotversuchs eher mäßig gewesen: „Wir sind nicht hundertprozentig überzeugt von dem Ansatz“, sagte Personalchef Harald Härke im November 2011 der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.
Möser zufolge verfügte die Stadt bereits vorher über diverse Instrumente, um mehr Frauen in die Verwaltung zu holen. „Wir glauben, dass eine gezielte Förderung in offenen Verfahren einfacher zu erreichen ist“, sagt er. Das Personaldezernat stehe in der Pflicht, gewisse Quoten zu erfüllen. „Eine Verwaltung sollte auch die Stadtbevölkerung widerspiegeln“, findet Möser.
Anders sieht man das in der Stadt Celle. Celle hat als erste deutsche Kommune das anonymisierte Bewerbungsverfahren getestet und ist dabei geblieben. „Es geht nicht um gezielte Förderung von bestimmten Gesellschaftsgruppen, sondern darum, dass alle Bewerber dieselben Chancen im Bewerbungsprozess haben“, sagt Jockel Birkholz, der Personalleiter von Celle. Er wirbt noch immer für das Verfahren: „Das Verfahren ist objektiv und bietet jedem dieselben Chancen, eingeladen zu werden.“
Sind anonymisierte Bewerbungen in Hannover endgültig vom Tisch? „Wir nehmen den Entscheid des Personaldezernats zur Kenntnis“, sagt Michael Klie vom Organisations- und Personalausschuss. Glücklich sei er nicht über den Entscheid.
„Wir werden prüfen, ob man das Verfahren auch in anderen Bereichen durchführen kann“, kündigt er an. Elemente des Verfahrens will Hannover beibehalten. Beispielsweise sollen auch in Zukunft Bewerbungen ohne Foto eingereicht werden.
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