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Hannes Koch Wir retten die WeltKeine Frage, besser geht es immer

Wird es meinen Kindern besser gehen als mir? Ich bin geneigt zu sagen: Gesellschaftlich dürften wir das Maximum erreicht haben. Fast alle genießen hierzulande einen im historischen Vergleich sagenhaften Wohlstand – selbst wenn 20 Prozent der Bürger*innen relativ arm sind. Das Volkseinkommen beträgt rund 30.000 Euro pro Kopf und Jahr – schwer, das noch sprunghaft zu steigern.

Zumal die Wachstumsraten in den hochentwickelten Staaten stetig abnehmen. Hinzu kommen Megaaufgaben wie der Klimawandel, der Unsummen verschlingt, für Prävention oder Schäden, wahrscheinlich beides. Wären wir Pilot eines Flugzeugs, ginge es darum, die Reiseflughöhe zu halten. Höher kommen wir nicht. Der Wohlstand wächst nicht mehr, vielleicht können wir ihn bewahren.

Was bedeutet diese Stagnation für die kollektive Psyche einer materialistischen Gesellschaft? Kürzlich sah ich die Theater-Film-Adap­tion des Romans „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq. Sein Protagonist François, ein Pariser Literaturprofessor, interessiert sich für die reibungslose Versorgung mit gutem Wein und jungen Frauen, weshalb ihm die islamische Polygamie attraktiv erscheint. „Wir sind abgeschlafft“, fasst mein Freund, der auch nicht am großen Lebensziel arbeitet, zusammen. „Die Muslime wollen noch was erreichen.“

Ist das so? Immerhin wäre es möglich, dass die Digitalisierung haufenweise neue Jobs schafft, eine Öko-Mitte-links-Regierung soziale Verteilungspolitik betreibt, die Medizin den Krebs killt, die Lebenserwartung auf 130 Jahre steigt. Fahrräder haben zwei Spuren auf den Straßen, Autos nur eine. Vielleicht meinen unsere Enkel solche Lebensqualität, wenn sie später sagen, es gehe ihnen besser als uns.

Dass es immer besser geht, wurde mir wieder klar, als ich an einem Sonntagnachmittag – meine Kinder waren zu Besuch – auf die Idee kam, den Monumentalwestern „Spiel mir das Lied vom Tod“ auf den Bildschirm zu zaubern. „Nur Männer!“, protestierte meine 20-jährige Tochter. „Wie die mit der einzigen Frau umgehen!“ Immerhin sei Claudia Cardinale die Chefin, argumentierte ich. Es folgten Tränen, Türenschlagen, weg war meine Tochter. Ihren Furor des Feminismus und des Kampfes für die Gleichberechtigung aller lesbisch-schwulen-bisexuellen-transgender-queeren-und-Sternchen-Menschen hatte ich unterschätzt.

Vielleicht verlangen irgendwann intelligente Maschinen eigene Rechte. Ein Montage-Roboter, der vier Autos pro Stunde fertigen und die Ersatzteile selbst bestellen kann, nähme im Bundestag Platz. Er und seine Kollegen forderten, einen Androiden als Parlamentspräsidenten zu wählen. Die Menschen könnten kontern, indem sie einen wie Donald Trump undercover in die Maschinen-Fraktion schicken, um dort für etwas Durcheinander zu sorgen.

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