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Hannah Eberle zum Bildungsstreik"Streik verbindet mehr als Sozialkunde"

Bis zu 150.000 SchülerInnen und Studis wollen in dieser Woche auf die Straße gehen. Hannah Eberle ist eine davon. Sie findet: Der Leistungsdruck an den Schulen nimmt immer mehr zu.

Schon Anfang Juni demonstrierten Hannoveraner Gesamtschüler gegen die Einführung des Abiturs nach 12 Jahren an ihrer Schule. Bild: dpa
Felix Lee
Interview von Felix Lee

Bild: privat
Im Interview: 

Hannah Eberle. Die 18-Jährige hat gerade ihr Abitur gemacht. Sie ist Hauptinitiatorin des Bildungsstreiks von SchülerInnen und StudentInnen in der baden-württembergischen Unistadt Heidelberg.

taz: Frau Eberle, Schüler und Studenten protestieren erstmals seit langem wieder gemeinsam. Aber ist das auch argumentativ sinnvoll?

Hannah Eberle: Na klar. Studierende legen den Schwerpunkt ihres Protests auf den Bologna-Prozess und die damit einhergehende Einführung von Bachelor und Master. Uns Schüler wurmt vor allem das G8, also der verkürzte gymnasiale Bildungsgang, bei dem das Gymnasium in 8 statt bisher 9 Jahren durchlaufen wird. Letztendlich soll an den Schulen der gleiche hohe Leistungsdruck entstehen wie an den Universitäten. Deswegen macht unser gemeinsamer Protest schon Sinn.

Was konkret stört Sie an der Schule?

Ich persönlich habe vor allem ein Problem mit der fehlenden Mitbestimmung. Dazu gehört für mich, Demokratie zu lehren, aber auch, dass wir Schüler das Gelernte auch anwenden können. Wir werden häufig bei Entscheidungen, die uns betreffen und wozu wir auch eine Meinung haben, nicht eingebunden.

Aber ist die mangelnde Mitbestimmung wirklich das Thema, das die Schülerschaft heutzutage interessiert? An vielen Schulen sind die Schülervertretungen nicht einmal besetzt.

Das stimmt. Aber ich führe das darauf zurück, dass vielen nicht klar ist, was demokratische Mitbestimmung im unmittelbaren Alltag alles bewirken könnte. Ich merke das ja dort, wo Schüler beteiligt sind. Plötzlich ist das soziale Engagement da. Aber dafür müssen die Strukturen auch gegeben sein. Wenn die Schulleitung den Schülervertretungen jahrelang vorschreibt, was wir alles nicht dürfen, dann darf sich niemand wundern, warum wir Schüler resignieren.

Ist Streik wirklich die angemessene Protestform? Der Verdacht liegt nahe, dass die SchülerInnen einfach ein bisschen frei machen wollen.

Der Streik ist eine sehr gute Form, um zu zeigen: Ich traue mich zu sagen, was mir nicht passt und dass ich diese Bildung bestreike. Man darf auch nicht unterschätzen, wie sehr ein Streik verbindet. Und zwar viel mehr, als wenn mal ein Vortrag stattfindet oder im Sozialkundeunterricht darüber diskutiert wird.

Mit wie vielen SchülerInnen Ihrer Schule rechnen Sie beim Bildungsstreik?

30 bis 40 Prozent werden bestimmt dabei sein.

INTERVIEW: FELIX LEE

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6 Kommentare

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  • RS
    Rolf Speckner

    Das Interview ist ausgezeichnet, wenn auch die plumpe Vorstellung, die Schüler wollen sich mal einen schönen Tag machen, selbst wenn sie provozieren sollte, zeigt, wie sehr wir ein Unternehmer-Menschenbild angenommen haben. Alle Menschen seien von Natur aus faul. Dasselbe Vorurteil begegnet bei der Debatte um das Grundeinkommen. Letztlich ist die Propagierung eines solchen Menschenbildes ein Angriff auf die Menschenwürde! Die Freiheit, die Initiativkraft wird uns abgesprochen. Daß der Frust der Angestellten und Arbeiter, der Frust der Schüler und Studenten vielleicht etwas mit dem Verhalten der in der Wirtschaft und in den Bildungseinrichtungen "Verantwortlichen", die fortwährend verantwortungslos handeln, zu tun haben könnte, scheint nicht im Wahrnehmungshorizont der Selbstbediener und Bildungs"planer" zu liegen.

    Da braut sich was zusammen, das noch mächtig krachen kann.

    Rolf Speckner

  • T
    topbert

    Leider richtet sich der Bildungsstreik lediglich gegen die Symptome einer völlig neuen Ausrichtung des Bildungs- und Wissenschaftsbereichs.

     

    G8, Bachelor und Master sind nicht die Ursache des Problems sondern das Ergebnis der konsequenten Anwendung von volks- und betriebswirtschaftlichen Prämissen auf die Schulen und Hochschulen. So versucht die Bundesregierung (schon seit über 10 Jahren!) den vorhandenen Investitionsüberhang, der durch ihre Sparpolitik entstanden ist, (am liebsten kostenneutral) wieder wettzumachen.

     

    Dazu zählen auch die unsinnige Exzellenzinitiative, die Abschaffung der bundesweiten Hochschulrahmengesetzgebung und die krude Idee von Bildungsclustern und der zunehmenden Selbstfinanzierung der Hochschulen.

     

    Nicht nur, daß die z. B. Gelder der "Exzellenzinitiative" mit der man Harvard, Stanford, Oxford und Co. Paroöi bieten möchte noch nicht mal an das Jahresbudget einer einzigen dieser Unis heranreicht, zerstört man dadurch die in Deutschland gewachsene Hochschullandschaft, die einmal als Vorbild für US-Iniversitäten gedient hat! Jetzt holt man sich sozusagen das alte deutsche Modell amerikanisiert wieder zurück und hofft somit billig den Anschluss an die "Weltelite" halten zu können.

     

    Gerade die Bolognareform zeigt doch, daß Bildung eben doch noch Geld kostet! Wahrscheinlich sogar noch mehr als vorher und das mit einem Ergebnis, was eher schlechter ist.

     

    Der Bachelor als Regelabschluss dient weder der Verbesserung der Hochschulbildung noch der Qualifizierung der Absolventen. Nur die Wirtschaft kann nun von jungen, ungebundenen 21-jährigen Akademikern profitieren, die weniger Gehalt bekommen müssen, wahrscheinlich noch keine feste Familienstruktur haben und darüber hinaus noch im eigenen Betrieb nach eigenen Vorstellungen geformt werden können (Stichwort Master).

    Kein Wunder, daß sich außer an den Fachhochschulen, deren Status immens aufgewertet wird in der Hochschullandschaft kaum Begeisterung zeigt!

     

    Bezeichnend ist aber, daß sich von den etablierten Parteien kaum Widerstand dagegen regt. Lediglich die Linkspartei macht da mobil, was ich notgedrungen anerkennen muss, auch wenn ich die Linke grundsätzlich ablehne.

     

    Ich hoffe, daß der Bildungsstreik endlich die nötige breite öffentliche Debatte anregt, die diese Mißstände mal auf den Prüfstand stellt!!!

  • T
    twolate

    wen die "linksextreme" ausrichtung der aktionen stört, der kann eigentlich nur eine konsequenz daraus ziehen: mitmachen und sich einbringen. denn diese aktionen sind nicht per se "linksextrem", sondern es finden sich letztlich vielfach keine anderen menschen die es organisieren; und dann beschweren sich alle dass die linken es machen.

     

    allerdings besteht bei diesem bildungsstreik eine recht hohe chance, dass nicht nur die üblichen verdächtigen daran beteiligt sind. der frust über die aktuelle bildungspolitik sitzt tief.

  • CA
    Charlotte Adler

    Es ist hochbrisant wie in unserem Land mit der Thematik Bildung umgegangen wird. Schon die kleinsten sollen auf Input getrimmt werden und dabei kommt das vernetzende, selbständige Denken oft zu kurz. Ich hatte eine tolle Schule incl. sehr viel Mitbestimmung, Projektwochen, Aktionismus und ich war lange engagiert im Schülerrat tätig. Dabei habe ich viel gelernt, über mich, Demokratie und was alles möglich ist wenn man nur wirklich will. Das Desinteresse vieler hat mich damals schon genervt, hier beisst der Drang nach Individualismus der Gemeinschaft gehörig in den Arsch. Und diese Woche erlebe ich, was ich nie erleben wollte- ich bin nicht beim Streik dabei da ich meine Arbeits- und Lernzeiten für die Klausuren sonst nicht schaffe. So wie das Bachlorsystem funktioniert, denke ich ständig darüber nach wofür ich das mache. Selbstbestimmung? Diskussion? Lebensnahes Praxisorientiertes Lernen? Fehlanzeige. Einzelnachweise und Grundstudium in dem es nur alles kompakt oder nix gibt ist die traurige Realität.

    Bin ich resigniert? Ich weiß es nicht, will es nicht. Aber ich wünsche uns allen das wir die Richtung noch ändern können.

  • NJ
    navajo joe

    Ein interessantes Interview!

     

    Ich finde übrigens, die SchülerInnen sollten gar nicht so sehr gegen weniger Schuljahre protestieren, sondern eher für mehr und bessere Lehrkräfte, bessere Didaktik und eine Entrümpelung der Lehrpläne (z. B. die Abschaffung von Latein, wo es das noch gibt). Ich glaube nämlich, in 8 Jahren ließe sich bei besserer Didaktik und besseren Lehrkräften und kleineren Klassen sogar viel mehr lernen, als heute oder früher in 9 Jahren. Ein Stichwort: Projekttage, oder Projektwochen! Sich einen ganzen Tag, besser eine ganze Woche, oder sogar 2, intensiv mit einer Fremdsprache zu befassen, bringt z. B. viel mehr, als jeden Tag 45 Minuten Unterricht + Hausaufgaben u.s.w. Sogar wenn dann eine längere Pause bis zum nächsten Projekt ist, weil dazwischen dann ein Naturwissenschaftsprojekt oder Geschichtsprojekt etc. kommt, denn es bleibt viel besser im Gedächntis.

     

    Auch mehr vernetztes Lernen, mehr fächerübergreifende Projekte wären besser, als die heutige Fächertrennung.

     

    Sport ist eigentlich das einzige, was regelmäßig jeden Tag ein bisschen sinnvoller ist, als es eine Woche intensiv und dann einige Wochen gar nicht zu tun. Also: 5 x Sport und sonst nur 2 interdisziplinär kombinierte Fächer jede Woche. Also z. B. Woche Nr 1: Geschichte + Sozialkunde, Woche Nr. 2: Englisch, Woche Nr. 3: Französisch, Woche Nr. 4: Mathe + Physik, u.s.w. Und v. a. an Grundschulen, Hauptschulen und Berufsschulen nur halb so große Klassen!

     

    Die im Interview angesprochene Mitsprache nicht zu vergessen! z. B. auch gezielt gegen Mobbing, Bevorzugung/Benachteiligung von SchülerInnen u.s.w. und thematisch bei der konkreten Durchführung der oben erwähnten Projekte.

  • AS
    anton Schubert

    das problem an diesen ganzen bildungs"streiks" ist ja, dass aus den demos "für bildung" immer wieder nur antikapialisten und antifaschisten-demos werden, auf denen dann (wie im november 2008) bildungseinrichtungen (humboldt-uni) sogar gestürmt werden. wie idiotisch ist das denn?

    deshalb größtenteils ja zu den forderungen, aber nein zur linksextremen ausrichtung.