piwik no script img

Hank Shocklee über HipHop"Perfektion finde ich öde"

Die Produzentenlegende Hank Shocklee über gefesselte Kreativität, den Anteil des HipHop am Wahlsieg Obamas und die unterschätzte Rapcrew Public Enemy..

Hank Shocklee: "Beim Wahlsieg Obamas ging sehr viel von der Jugend aus und von Leuten, die für HipHop aufgeschlossen sind. Dafür haben Public Enemy (Bild: Flavor Flav) die Vorarbeit geleistet." Bild: ap
Interview von Jan Kage

taz: Herr Shocklee, Sie wurden im New York der 70er-Jahre sozialisiert, als Sie zusammen mit Ihrem Bruder Keith Shocklee als Spectrum City DJs arbeiteten. War das Ihr Zugang zum HipHop?

Hank Shocklee: Ja, Deejaying kam zuerst, das ist für mich der Kern meines Schaffens. Alles beginnt auf dem Dancefloor beim Rhythmus. Die Grundsteine wurden in meinem Elternhaus gelegt. Zum einen war mein Vater Jazzfan, dann gab es auch viel Reggae und Calypso zu hören, die bevorzugten Genres meiner Mutter, die übrigens auch eine klassische Ausbildung am Klavier hatte. Durch meinen Vetter kam auch Funk von Sly and the Family Stone und Funkadelic hinzu. Ich selbst fühlte mich aber immer beim harten Rock am wohlsten, Def Leppard und so. Ich sollte vielleicht auch erwähnen, dass ich in den frühen Achtzigern einen Heavy-Metal-Plattenladen geführt habe. Eines meiner Spezialgebiete war Quiet Riot.

Quiet Riot?!

So hieß eine Band. Ich habe eine Wertschätzung für alles Mögliche. Das definiert meine musikalische Bandbreite. Als ich dann die Chance bekam, mit dem Produzieren anzufangen, konnte ich mein Musikwissen in einer komplett anderen Weise nutzen und auf etwas völlig Neues anwenden. Und das Neue war damals HipHop. Wenn Sie sich die Instrumentierungen und die verwendeten Samples von Public Enemy ansehen, findet sich die Essenz all dessen darin wieder.

Wie viel Konzeption stand hinter den Produktionen Ihres Produktionsteams Bomb Squad, und wie viel davon war Intuition und Ausprobieren?

Das meiste war Intuition, spontanes Musikmachen. Ich habe ein Bewusstsein dafür erst entwickelt, nachdem ich mit dem Produzieren begonnen hatte. Denn wenn man etwas allein vom Kopf her angeht, dann gibt es immer etwas, was unnatürlich ist. Musik sollte sich organisch anfühlen. Sie braucht ein Element der Improvisation. Leider ist dies inzwischen weitgehend aus der Musik getilgt. Improvisation steckt im Grunde genommen in allen Fehlern und Experimenten. Ich bedaure, dass Fehler heute aus der Musik gelöscht werden, weil alles perfekt sein muss. Perfekt heißt, dass man an einer unveränderlichen Formel festhält, von der man weiß, dass sie funktioniert. Das finde ich öde. Ich strebe nach Erfahrung, und es ist mir ganz egal, was diese Erfahrung ist. Ich will etwas fühlen, was ich zuvor noch nicht so gefühlt habe.

Heute ist die Lizenzierung von Samples ein lukrativer Markt. Wäre es noch möglich, die Samplingrechte für eine Platte wie "It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back" zu klären?

Ich denke, nicht. Dieses Album ist ein Produkt der späten 80er-Jahre. Es war unser Statement in Sachen Sampling. Damals wurde das noch nicht als Musik angesehen. Wir wurden des Diebstahls bezichtigt. Unser Sampling ließ die Leute verstehen, dass wir uns nicht beugen werden und gegen den Strom schwimmen. Das Ausmaß der Sample-Schichtungen, die wir vornahmen, war bewusst monströs. Denn um diese Erfahrung zu schaffen, braucht man Elemente aus allen möglichen Bereichen.

Können Sie das erläutern?

Für mich hat jeder Sound, den man von einer Platte nimmt, seine eigene Kultur. Wenn ich einen Gitarrenriff der Dead Kennedys nehme, dann steht hinter diesem Gitarrenriff Punkrock. Also wird jeder, der das Sample hört, es mit der Kultur dahinter identifizieren. Das war für mich die Schönheit des Samplings. Es war niemals eine Geschäftsidee, die Dead Kennedys abzuzocken. Nur leider kann die Kunstform Sampling aufgrund der herrschenden Gesetzeslage nicht mehr existieren. Deswegen haben wir diese momentane Stagnation der Kreativität, denn das Sampling als Werkzeug fehlt uns. In den 70ern, als HipHop noch in den Kinderschuhen steckte, ergab Sampling noch keinen Sinn. Aber mit dem Voranschreiten der Zeit haben wir diesen unglaublichen Körper von Inhalt bekommen. Unsere aller Leben werden jeden Tag in Inhalt getaucht. Wenn man diesen Inhalt nicht benutzen darf, um etwas Neues zu schaffen, dann läuft doch was falsch.

War es nicht immer so, dass Neues aus Altem entstand? Keith Richards hat Bo Diddley gehört, und Bo Diddley hat Robert Johnson gehört, und Robert Johnson hat irgendeinen Gitarristen gehört, den wir nicht mehr kennen.

Wenn sich Gitarristen Riffs von den anderen Musikern borgen, dann verstehen alle ihren Kontext. Das genau ist Inspiration. Meine Generation wuchs vor den Fernsehapparaten auf. Wir sind mit dem Radio groß geworden und konnten uns alle möglichen Sender anhören, was dazu führte, dass wir uns bereits vielseitiger als noch unsere Eltern mit Musik auseinandersetzen konnten. Also ist unsere ganze Kontextualisierung grundverschieden. Somit sind die Elemente, auf die wir uns beziehen, Referenzen aus den Inhalten, die wir uns angehört haben. Das hat das Sampling damals losgetreten. Und dann kamen die Justiziare und sagten: Ihr könnt euch nicht an diesen Inhalten bedienen, die zuvor frei ausgestrahlt wurden! Ich denke, dass das zum Schaden der kreativen Klasse passiert ist. Die ganze Idee der Legalität müsste aber doch gerade die kreative Gemeinde schützen und ihr dienen.

Was, glauben Sie, läuft hier schief?

Es gibt einen Generationskonflikt zwischen denen, die ihre Inspirationen aus Versatzstücken anderer Inhalte ziehen, und denen, die das für falsch halten. Kreativität muss besser geschützt werden. Denn heutzutage will jeder den Mangel an Kreativität Künstlern und Produzenten anlasten. Tatsächlich aber verpasst man ihrer Kreativität Fesseln.

Als Sie Ende der 80er radikale, afroamerikanische Statements in Musik produziert haben, schien es unmöglich, dass ein Schwarzer je zum US-Präsidenten gewählt werden könnte. Welchen Anteil hatte HipHop am Wahlsieg Obamas?

Ich möchte nicht die Verdienste der Bürgerrechtsbewegung verschweigen - bis dahin war es ein weiter Weg. Aber beim Wahlsieg Obamas ging sehr viel von der Jugend aus und von Leuten, die für HipHop aufgeschlossen sind. Dafür haben Public Enemy die Vorarbeit geleistet. Denn Public Enemy waren nicht nur eine Stimme der Afroamerikaner, sondern auch immer eine Stimme der entrechteten Menschen auf der ganzen Welt. Und die Leute, die sich mit uns identifiziert haben, waren Leute aller Hautfarben. Das Tolle daran ist, dass das einen Dialog eröffnet hat, der die Leute dahin führte, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Ohne dass es ihnen irgendwer einfach nur gesagt hätte, sondern weil sie das selber in sich fühlen.

Überschätzen Sie jetzt HipHop nicht?

Nein. Public Enemy war nicht nur eine einflussreiche Rapcrew! Was hat denn den Leuten den Antrieb zum Kämpfen gegeben? Wenn Sie sich ansehen, was ihnen das Motiv gegeben hat, rauszugehen und gegen Unrecht anzukämpfen, dann müssen sie das auch Public Enemy verdanken. Wir werden oft unterschätzt, was unseren tatsächlichen gesellschaftlichen Einfluss angeht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!