Handyüberwachung per Kurzmitteilung: Der Feind in deiner Tasche
Polizei, Zoll und Verfassungsschutz lokalisieren Verdächtige per "stiller SMS". Die Methode ist umstritten, bringt aber genaue Daten und kann mehrmals täglich erfolgen.
BERLIN taz | Mit einem Smartphone kann man heute längst nicht nur telefonieren. Aber die technischen Möglichkeiten bieten nicht nur den Nutzern Vorteile. Sicherheitsbehörden können Verdächtige leichter orten. Und zwar ohne dass die etwas davon bermekten. Mit "stillen SMS" können Polizei, Zoll und Verfassungsschutz herausfinden, in welcher Funkzelle sich ein Mobiltelefon gerade befindet.
Die bisher wenig bekannte Technik wird hundertausendfach pro Jahr eingesetzt. Eine "stille SMS" ist ein Signal an das Handy der Zielperson, das dort keine für den Benutzer sicht- oder hörbare Reaktion auslöst. Das Handy nimmt dabei mit der nächsten Funkzelle Kontakt auf, so dass der Netzbetreiber den ungefähren Standort erfährt, die die Polizei dann vom Provider verlangt.
Der Radius einer Funkzelle beträgt je nach Technik, Landschaft und Bevölkerungsdichte etwa hundert Meter bis einige Kilometer. Die Polizei nutzt "stille SMS" regelmäßig, um Verdächtige, deren Handynummer sie kennt, aufzufinden und festzunehmen. Beim Verfassungsschutz werden mit diesem Trick Bewegungsbilder einer Person erstellt oder Observationen unterstützt.
Betroffene Mobiltelefone
Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (die Linke) wollte nun von der Bundesregierung genau wissen, wie oft ihre Sicherheitsbehörden "stille SMS" an Verdächtige senden. Die Zahlen sind erstaunlich hoch. Im Jahr 2010 verschickte das Bundeskriminalamt 96.314 "stille SMS", das Bundesamt für Verfassungsschutz 107.852 und die Zollfahndungsbehörden sogar 236.617.
Bundespolizei und Militärischer Abschirmdienst haben angeblich keine Statistik. Dazu kommen noch die Zahlen aus den Ländern. Bekannt sind diese bisher nur aus Nordrhein-Westfalen, wo sie die Linken-Abgeordnete Anna Conrads jüngst abgefragt hat (taz vom 23.11.). Im Jahr 2010 hat die Polizei dort 255.874 "Ortungsimpulse" (so der Polizei-Jargon für "stille SMS") abgesandt.
Die Zahl der betroffenen Handys liegt aber deutlich niedriger. In NRW waren in 778 Ermittlungsverfahren 2.644 Mobiltelefone betroffen. Das heißt pro Mobiltelefon verschickte die Polizei im Schnitt rund 100 "stille SMS". Beim Bundesamt für Verfassungsschutz waren pro Jahr sogar nur 90-150 Mobiltelefone betroffen, wie ein Sprecher auf Anfrage der taz mitteilte. Wenige Handys wurden also wohl besonders intensiv überwacht.
Neue Rechtslage
Bekannt wurde der Einsatz von "stillen SMS" durch die Polizei erstmals 2003 in Berlin. In der Folge gab es einige wissenschaftliche Aufsätze, die die Ermittlungsmethode mangels Rechtsgrundlage für unzulässig erklärten. Entsprechende Gerichtsurteile sind aber nicht bekannt.
Seit 2008 gibt es ohnehin eine neue Rechtslage. Damals hat die große Koalition in der so genannten "TKÜ-Novelle" die heimlichen Ermittlungsmaßnahmen der Strafprozessordnung neu geregelt. Dabei wurde der Polizei unter anderem erlaubt, dass sie beim Mobilfunkprovider nicht nur "Verbindungsdaten", sondern auch "Verkehrsdaten" verlangen darf.
Sie muss also nicht darauf warten, bis der Verdächtige telefoniert oder mittels "stiller SMS" in eine Verbindung getrickst wird, sondern sie kann schon die Daten der regelmäßigen Kontaktaufnahme des Handys mit dem Netzbetreiber abfragen. In der Begründung zur Neufassung von Paragraph 100g hieß es hoffnungsfroh: "Die Neuregelung kann die - rechtlich umstrittene - Übersendung einer ,stillen SMS' entbehrlich machen".
Heimlich und beliebig oft
Wie die aktuellen Zahlen zeigen, ist die "stille SMS" aus Sicht der Polizei aber keineswegs entbehrlich geworden. Denn sie bringt einfach genauere Daten als die Kommunikation von Basisstation und Handy. Dort wird nur die Location Area des Handys bekannt, also der Zusammenschluß mehrerer Funkzellen, und die Kontaktaufnahme erfolgt in der Regel nur einmal am Tag. Dagegen verrät ein Kontakt per "stiller SMS" die konkrete Funkzelle. Und je nach Ermittlungsziel können die Behörden sogar alle paar Minuten einen neuen Ortungsimpuls senden." Ausdrücklich geregelt ist die "stille SMS" heute aber immer noch nicht. Das Problem dürfte nach der Neuregelung zwar nicht mehr die Herausgabe der Standortdaten sein.
Aber darf die Polizei einem Verdächtigen ohne Rechtsgrundlage "stille SMS" schicken? Polizeinahe Juristen verweisen darauf, dass die Ermittler einen Verdächtigen ja auch zum Schein anrufen dürfen, um seine Anwesenheit zu Hause zu kontrollieren. Der Vergleich hinkt jedoch. Denn so ein Anruf ist für den Betroffenen hörbar, während die "stille SMS" heimlich erfolgt und deshalb beliebig oft wiederholt werden kann. Es ist also eine ganz andere Überwachungsdichte möglich.
Immerhin finden derzeit wohl alle polizeilichen SMS-Ortungen im Rahmen einer richterlich genehmigten Handy-Überwachung statt (siehe Text unten). Wenn bei Gefahr im Verzug zunächst die Staatsanwaltschaft entscheidet, muss das Gericht spätestens nach drei Tagen zustimmen. Und der Einsatz durch den Verfassungsschutz erfolgt nur, wenn eine Handy-Überwachung im so genannten Kontrollgremium des Parlaments G 10 genehmigt wurde.
Auch die Betroffenen werden - nachträglich - oft über die Handy-Überwachung unterrichtet. Der Einsatz von "stillen SMS" wird dabei aber nicht thematisiert, wie das BKA auf Anfrage der taz erläuterte. So wird auch klar, warum es nicht schon längst Klagen zur Zulässigkeit der Methode gibt. Die Betroffenen wissen einfach nichts davon. Wer übrigens sicher gehen will, dass er nicht per "stiller SMS" geortet werden kann, muss nicht nur das Handy ausschalten, sondern auch SIM-Karte oder Akku entfernen.
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