: Handgranate gegen „Schicki“-Lokal
■ 100.000 Mark Sachschaden im „Auerbach“ in Kreuzberg Mehrmals Ziel der Anschläge von „Klasse gegen Klasse“
Die farbige Bleiverglasung der großen Fenster ist zerborsten, die Streben sind grotesk nach außen gedrückt. Drinnen im Restaurant „Auerbach“ in der Köpenicker Straße in Kreuzberg hängt auch zehn Stunden nach dem Anschlag noch Rauchgeruch in der Luft, sind Tische und Stühle zerbrochen und liegt Staub über Gläsern und Tischtüchern: Der Sachschaden durch die Explosion einer Handgranate wird auf rund 100.000 Mark geschätzt. Menschen wurden nicht verletzt, weil das Lokal seit 1Uhr nachts geschlossen war.
Die Mieter des Wohnhauses waren in der Nacht zum Montag gegen vier Uhr durch einen „Wahnsinnsknall“ – so ein Zeuge – aus dem Schlaf gerissen worden. Für die über dem Lokal lebende Familie mit mehreren Kindern war die große Fensterfläche des Restaurants offenbar ein Glücksfall. Dadurch wurde die Druckwelle nach außen abgeleitet, anstatt weiteren Schaden im Gebäude anzurichten. Der Sprengkörper war offenbar zuvor von außen durch das Fenster geworfen worden. Der polizeiliche Staatsschutz fand vor dem Lokal einen Abzugsbügel und den Sicherungsring der Handgranate, die vermutlich aus einem Land des früheren Ostblocks stammt.
Ein Bekennerschreiben liegt bislang nicht vor. Die Polizei geht allerdings von einem politischen Hintergrund aus. Das Restaurant „Auerbach“ war in der Vergangenheit bereits mehrfach Ziel von Anschlägen. Im Juli 1991 verübten Unbekannte einen demonstrativen Zechbetrug, um gegen die überhöhten Preise des angeblichen „Schicki-Lokals“ zu protestieren. Im Oktober 1991 wurde ein Fäkalienkübel ins Restaurant – teuerstes Hauptgericht 30 Mark – geschüttet. Im August letzten Jahres flog eine Rauchbombe ins „Auerbach“.
Zu den drei Anschlägen mit dem Ziel der Vertreibung des Lokals hat sich die Gruppe „Klasse gegen Klasse“ bekannt. Die stalinistische Kadertruppe, die sich auch von den Autonomen scharf abgrenzt, hat in den letzten zwei Jahren mehrfach Kreuzberger Lokale überfallen und Betreiber bedroht und erpreßt. Eine monatelange Terrorkampagne wurde gegen das Kreuzberger Traditionsrestaurant „Exil“ am Paul-Lincke-Ufer geführt. Daneben gab es Brandanschläge gegen die Autos der Bürgermeister von Kreuzberg und Neukölln sowie gegen mehrere SPD-Politiker. Bedroht wurden auch Mieter von Kreuzberger Dachgeschossen und Ladenbesitzer in der Oranienstraße. Ihnen wurde jeweils vorgeworfen, sie gehörten nicht nach Kreuzberg und machten den Kiez kaputt. Letzter Vorfall: Vor wenigen Wochen brannte das Auto eines Ladenbesitzers. Zuvor war er in einem Drohschreiben aufgefordert worden, den Bezirk zu verlassen. Gerd Nowakowski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen