: Handelskrieg um deutsche Babys
■ Die Firma Schlecker vertreibt Babynahrung, die eine Schweizer Konservenfabrik in Spanien herstellen läßt / Das Zeug ist billig und mit Lindan und anderen Pestiziden vergiftet
Berlin (taz) – Fragen nimmt die Geschäftsleitung in Ehingen nur noch schriftlich entgegen. Die Firma Alfred Schlecker hat seit längerem ein gespaltenes Verhältnis zur Öffentlichkeit. Gerne stellt sich die Drogeriemarktkette als die größte ihrer Art in Deutschland vor; Schleckers Läden überziehen die Republik mit billigen Eigenmarken. Als aber Lebensmittelkontrolleure letzten Dezember Rückstände des Pflanzeschutzmittels Lindan in Schleckers „Gemüseallerlei“ fanden, einigte sich die Firma mit den Behörden des Landes Baden-Württemberg auf ein Stillschweigeabkommen. Schlecker vesrprach, die beanstandeten Produkte aus dem Regal zu nehmen, die Behörde ließ den Fall in der Schublade.
Das ZDF berichtete trotzdem, und die Verbraucher-Initiative wurde im Januar und Februar erst recht fündig. Schleckers Baby- Nahrung enthielt in drei von fünf Proben Pestizidrückstände, die weit über dem geltenden Grenzwert von 0,01 Milligram pro Kilogramm liegen. Im Gemüseallerlei zum Beispiel steckten 0,045 Milligram Lindan, im Vollkornreisbrei 0,097 Milligramm Brompropylat, im Apfel-Bananen-Brei 0,02 Milligramm Chlorfenvinphos – jeweils bezogen auf ein Kilogramm des entsprechenden Produkts.
Eine akute Gefahr bestehe nicht, versicherte am Ostermontag das Umweltmisterium in Stuttgart. Die Beamten müßten es besser wissen. Grenzwerte haben den Sinn, langfristigen Schäden vorzubeugen. Lindan gilt weltweit als gefährlich, alle in Schleckers Babygläschen gefunden Stoffe lagern sich im Fettgewebe ab und können so leicht toxische Konzentrationen erreichen. Die Folgen sind nur unvollständig erforscht, als Symptome gelten Schüttelfrost, Muskelkrämpfe, Asthma und Leberschäden, sagte gestern der Sprecher der Verbraucher-Initiative.
78.000 Gläschen seien bereits zurückgerufen worden, sagte ein Vertreter der Firma, die für Schlecker die Billigware importiert, eine weitere Charge von 25.000 Gläschen, die ebenfalls belastet sei, würd nun „unverzüglich vom Markt genommen“. 15 Millionen seien in den letzten Jahren nach Deutschland geliefert worden, gab ein Sprecher des spanischen Herstellers zu: Was unter Namen Schlecker in Deutschland vertrieben wird, ist in Wirklichkeit ein Produkt der Schweizer Konservenfabrik Hero, die ihre Baby- Kost in Spanien zusammenbrauen läßt. Dort witterte man sofort einen Anschlag der deutsch-schweizerischen Konkurrenz Nestlé, die mit „Alete“ den bundesdeutschen Babynahrungsmarkt neben der Firma „Hipp“ anführt. „Wir waren dabei, sie zu verdrängen“ schimpfte der Sprecher der spanischen „Hero“-Tochtergesellschaft gestern. Ein „Handelskrieg“ sei ausgebrochen, die Deutschen hätten sich „eine protektionistische Richtlinie“ einfallen lassen. Denn die Grezwerte für das Mittel Lindan, das in Deutschland nicht mehr eingesetzt werde, so der Sprecher weiter, ließen sich in Spanien „nicht in jedem einzelnen Glas einhalten“.
Der Mann irrt. Lediglich die Produktion des chemisch mit dem Entlaubungsmittel „Agent Orange“ eng verwandten Giftes ist in Deutschland 1984 eingestellt worden. Die Chemikalie selbst ist für bestimmte Bereiche immer noch zugelassen. Die Verbraucher-Initiative warnt deshalb vor Illusionen. Auch eine schärfere Lebensmittelkontrolle könne die Gefahr nicht ausschließen. Nur der „Verzicht auf Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft“ stelle ein „wirksames Mittel zum Schutz von Säuglingen und Kleinkindern dar“. Niklaus Hablützel
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