Handballklubs haben sich finanziell übernommen: Drohungen wie stumpfe Schwerter
Die Handball-Bundesliga gilt als eine der besten der Welt. Finanzielle Probleme etlicher Klubs zeigen, wie teuer die Klasse erkauft ist. Für den insolventen TuSEM Essen steht der Zwangsabstieg bereits fest.
Für Reiner Witte, Präsident der deutschen Handball-Bundesliga (HBL), ist die Lage "wenig erfreulich". Sein Geschäftsführer Frank Bohmann ist längst in Rage geraten. "Ich habe langsam die Faxen dicke", zürnt Bohmann, der einen "erheblichen Imageschaden" konstatiert. Dass die HBL derzeit die tiefste Krise seit ihrer Gründung im Sommer 2003 durchläuft, darüber sind sich alle Beobachter einig. Die Steuerfahndung in Magdeburg und Nordhorn, der aktuelle Insolvenzantrag beim dreifachen Meister in Essen, die drohende Pleite in Stralsund: Diese dramatischen Fakten haben das Lizenzierungsverfahren der Profiliga der Lächerlichkeit preisgegeben.
Das Verfahren sei "nichts wert", ätzte gar Stralsunds Manager Jörg Dombdera angesichts der Misere. Turnusgemäß sollte das HBL-Präsidium erst Mitte Dezember wieder über das Lizenzverfahren diskutieren. "Aber jetzt werden wir uns in den nächsten Tagen treffen müssen", sagt Witte. Die Fragen liegen auf der Hand: Wie ist es möglich, dass ein Klub wie Nordhorn schon zu Saisonbeginn einen Fehlbetrag von 700.000 Euro ausweist? Wie kann es sein, dass TuSEM Essen bei einem Etat von gut zwei Millionen Euro rund 1,5 Millionen Schulden ausweist? Und wusste im Mai, als die Lizenzen vergeben wurden, in Stralsund und bei der HBL noch keiner, dass bei dem geplanten Etat von 1,2 Millionen nun 450.000 Euro fehlen, die nun die Stadt Stralsund als Bürgschaft berappen soll?
Geschäftsführer Bohmann wird seinem Präsidium die Lage in anderen Klubs, die im Mai auf der Kippe standen, darstellen müssen. Wie sieht es also aus beim VfL Gummersbach, der die Lizenz erst in letzter Minute erhielt, als er durch den Verkauf seines Coaches Alfred Gislason an den THW Kiel (750 000 Euro) die geforderte Liquidität aufweisen konnte? Andernfalls, räumt Witte ein, "wäre dieser Fall auch virulent geworden". In Magdeburg, das Schwarzgeldzahlungen eingestehen musste, hätten die Verantwortlichen "das Risiko im Griff", versichert Bohmann. Und will dennoch "nicht ausschließen", dass weitere Klubs in finanzielle Nöte geraten.
Kein Wunder, dass Kritik an dem aktuellen Lizenzverfahren laut wird. "Ich möchte niemanden verurteilen", sagt Uwe Schwenker, Manager des THW Kiel und HBL-Präsidiumsmitglied. Gleichwohl habe er den Eindruck, dass im Lizenzverfahren "versucht wird, jeden Hintern über die Latte zu heben", wie er anfügt. Schwenker wirft der dreiköpfigen HBL-Lizenzierungskommission mithin vor, in kritischen Fällen nicht energisch durchgegriffen zu haben; dieser Kommission gehören neben Bohmann der Mindener Jurist Rolf Nottmeier und der Schweriner Wirtschaftsprüfer Siegfried Friedrich an. Die Milde hat im Sommer einige Traditionsvereine womöglich kurzfristig vor dem Zwangsabstieg bewahrt.
Doch nun ist das Dilemma groß. Durch die Insolvenz Essens nämlich steht bereits ein Absteiger fest, und mit Stralsund könnte ein zweiter bald feststehen - 23 Spieltage vor Saisonende. So könnte die Bundesliga am Tabellenende zu einer reinen Kirmesveranstaltung verkommen. Konsens herrscht darüber, dass die bedrohten Klubs die steigenden Spielergehälter, welche der WM-Boom befeuerte, nicht hätten zahlen dürfen. Man dürfe jetzt nicht alles in Frage stellen, warnt zwar Witte. Aber klar sei doch, dass man im Lizenzverfahren nun "die Stellschrauben anziehen" müsse. Auch müsse man "hinterfragen", ob es sinnvoll sei, dass Geschäftsführer Bohmann weiterhin in der Lizenzierungskommission sitze. Ein Problem aber wird sich nicht beseitigen lassen: Selbst bei vorsätzlich falsch eingereichten Unterlagen, wie sie die HBL im Falle Essens vermutet, kann dem Klub trotz entsprechender Statuten die Lizenz kaum entzogen werden.
Dagegen steht das Insolvenzrecht; ein Insolvenzverwalter könnte dann erheblichen Schadensersatz von der HBL verlangen, weil diese mit dem Lizenzentzug die Arbeitsgrundlage für die Angestellten entzöge. "Diese Drohung ist deshalb ein stumpfes Schwert", sagt Bohmann. "Wenn man diese Richtlinien verschärft, muss man auch die Risiken einkalkulieren", so formuliert es Witte. Denn im Falle einer Schadensersatzklage könnte auch der HBL das drohen, womit einige ihrer Klubs nun zu kämpfen haben: die Insolvenz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Plädoyer im Prozess zu Polizeigewalt
Tödliche Schüsse, geringe Strafforderung
Olaf Scholz in der Ukraine
Nicht mit leeren Händen