Handball-WM in Endphase: Das China des Handballs
Üben die Dänen eine langweilig werdende Dominanz auch bei dieser WM aus? Bislang rauschen sie ungefährdet durchs Turnier zum vierten Titel in Folge.
Wie wertvoll ist ein Drama ohne Drama? In all die preisenden Worte über die dänische Handballnationalmannschaft mischt sich gerade Kritik. Kritik an der Dominanz eines Teams, das in bisher sechs Weltmeisterschaftsspielen kein einziges Mal in Bedrängnis geriet.
Auf dem Weg zum vierten WM-Titel hintereinander erinnerte die dänische Wochenzeitung Weekendavisen an die eintönige Hegemonie der Chinesen im Tischtennis und der Amerikaner im Basketball und dachte schon über Quoten und Regeländerungen nach: Dänemark im Handball nur zu sechst? Eine Art Handicap, um Spiele gegen Algerien, Italien oder Tunesien spannend zu gestalten? „Spitzensport lebt vom Spannungsunterschied zwischen der Möglichkeit einer Sensation und dem Eintreten des Erwartbaren“, schreibt das Blatt aus Kopenhagen. „Wenn das Ergebnis vorher feststeht, wird alles gleichgültig.“
Tatsächlich gab es einige Aussagen im Laufe dieser WM in Dänemark, Norwegen und Kroatien, die aufhorchen ließen. Geradezu entschuldigend hob der dänische Trainer Nikolaj Jacobsen die eigentlich ganz gute Leistung der Algerier nach dem 47:22-Sieg seines Teams hervor und erklärte den Unterschied mit der „extremen Stärke“ der Dänen an diesem Abend. Als die dänischen Fans vor dem Spiel gegen Außenseiter Italien dessen Hymne mitklatschten und italienische Treffer bejubelten, damit das Spektakel vor 15.000 Menschen in der Jyske Bank Boxen im jütländischen Nirgendwo nicht zu einseitig würde, wirkte das spöttisch – auch wenn es wohl nicht so gemeint war.
Der Handball bezieht seinen Reiz aus der Spannung zum Nägelkauen, die sich häufig in den letzten Minuten ausbreitet – wenn jahrelange Fans ständig zum Kühlschrank gehen oder mehrfach die Toilette aufsuchen, weil der Thrill sie killt. Der Handball bezieht seinen Reiz weniger aus einem zauberhaften Kempa-Trick, einem rasanten Gegenstoß oder der elften Torwartparade nach zehn Minuten gegen hoffnungslos unterlegene Kontrahenten, wie sie diese Weltmesse nicht nur für Dänemark vorsah. In fast allen Gruppen gab es Qualitätsunterschiede, die nicht mal eine Handicap-Regel großartig verkleinert hätte.
Nie waren sie besser
Den dänischen Spielern ist kein Vorwurf zu machen. Sie sind dabei, ihren swingenden Stil zu perfektionieren. Er lebt von der Freiheit des Individuums, was natürlich gut zu Skandinavien passt. Schablonen gibt es kaum. „Ich habe nie besseren Angriffshandball gesehen“, sagte Altstar Lars Krogh Jeppesen nach dem 40:30 gegen Deutschland am Dienstag verblüfft.
Da geht alles schnell, jeder bewegt sich in freie Räume, täuscht, fintiert – und trifft. Für seine strenge Personalauswahl – er wechselt fast nie, lässt seine Vielspieler auch gegen Algerien beinahe durchspielen – hat Nikolaj Jacobsen eine Erklärung: Jeder gemeinsam gespielte Angriff gebe mehr Sicherheit, aus dieser Sicherheit in den Abläufen und Laufwegen, im blinden Verständnis folge, dass die Partien insgesamt weniger anstrengend würden, weil das aufreibende Eins-gegen-Eins, das ewige Kämpfen, Ringen, Fallen, umgangen werde. Auch eine Form, um der handballtypischen Dauerbelastung zu entkommen.
Die dänische Dominanz scheint im kleinen Königreich niemanden zu stören. Die Einschaltzahlen sind astronomisch hoch. Selbst das Testspiel gegen Bahrain wurde live übertragen. Handball ist beim Bäcker, im Laden, an der Tankstelle Tagesthema. Neben Grönland. Gewinnen wird nie langweilig, gleichgültig, wie hoch.
Mal sehen, wie es für die dänische Handballnationalmannschaft an diesem Mittwoch im Viertelfinale in Oslo weitergeht. Der Gegner heißt Portugal oder Brasilien. Aus Sicht der dänischen Fans nur eine Durchgangsstation auf dem Weg ins Finale gegen Lieblingsgegner Frankreich. Der hat eine ähnliche Selbstverständlichkeit in seinem Tun und die Dänen oft distanziert. Könnte spannend werden.
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