piwik no script img

Handball-BundesligaFührungswechsel bei den Recken

Transfercoup beim TSV Hannover-Burgdorf: Nachdem sich Trainer Carlos Ortega zum FC Barcelona verabschiedet hatte, übernimmt ein Ex-Nationaltrainer.

Haben die Saison auf Tabellenplatz 11 beendet: Die TSV Hannover-Burgdorf mit Trainer Carlos Ortega Foto: Swen Pförtner/dpa

Erst spendierten sie ihm einen letzten Sieg (31:28 gegen Leipzig). Dann schmissen die Spieler der TSV Hannover-Burgdorf ihren Trainer noch einmal in die Höhe (mindestens zweieinhalb Meter hoch). Es war ein emotionaler Abschied. Nach drei starken Jahren bei den „Recken“ wechselt Carlos Ortega in seine Heimat zu einem ganz großen Klub im Profihandball.

„Der FC Barcelona fragt dich nicht zweimal“, sagt der spanische Cheftrainer. Er hatte deshalb um die Auflösung seines Arbeitsvertrages in Hannover gebeten. Was beim Verein eine Schockstarre befürchten ließ, sorgte für einen richtig guten Move. Mit Christian Prokop übernimmt der ehemalige Bundestrainer den Posten von Ortega bei der TSV. Diese Personalie lässt bundesweit aufhorchen und ist für Hannover eine große Chance.

Es spricht für die Verantwortlichen des Vereins, dass sofort gehandelt und eine spannende Lösung gefunden werden konnte. Mit dem international erfahrenen Ortega hatte der Bundesliga-Handball in Hannover an Wucht und Schwung gewonnen. Der 49-Jährige fremdelte nie, sondern war ein allseits respektierter Macher.

Unvergessen werden seine Ansprachen an die Mannschaft während der Auszeiten bleiben. Mit einem für Laien nicht verständlichen Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch und Spanisch hatte Ortega angesagt, wo es spieltaktisch langgehen soll. „Listen“: Diese englische Vokabel leitete stets ein, was bei der Mannschaft gut ankam. Offenbar hatte man sich auf eine besondere Sprache des Handballs geeinigt, die die Zuschauer eher verwirrte und die Mannschaft motivierte.

Was Prokop zu sagen hat, klingt anders. Der 42-Jährige hat klare Vorstellungen davon, wie guter Tempo-Handball geht. Er hat seine Laufbahn als Berufsspieler im Alter von 25 Jahren beendet, um danach ein Lehramtsstudium abzuschließen und auf den Trainerjob umzusatteln. In Hannover führte er den ambitionierten Stadtteilklub TSV Anderten 2007 bis in die 2. Bundesliga.

Vertröstet und aussortiert

Nach weiteren Stationen in Magdeburg, Schwerin, Essen und Leipzig schaffte Prokop 2017 den Sprung auf den Posten des Bundestrainers. Trotz seiner in Fachkreisen geschätzten Arbeit war das dreijährige Intermezzo im Auftrag des Deutschen Handball-Bundes am Ende kein glückliches. Prokop wurde, weil die vom Verband erhofften Erfolge ausblieben, im Februar 2020 unter unwürdigen Umständen beurlaubt. Hingehalten, vertröstet und dann aussortiert: Diese Delle in seiner Karriere soll mit dem Wechsel nach Hannover repariert werden.

Der neue starke Mann an der Seitenlinie gilt als akribischer Trainer mit dem Hang zum Perfektionismus. Aufstrebende Übungsleiter wie Prokop können ein Handballspiel in unzählige Taktikbrocken zerlegen und so zusammensetzen, dass dem Gegner schwindelig wird.

Auf diese Art Schach in kurzen Hosen freut sich auch Sven-Sören Christophersen. Der Sportliche Leiter der TSV Hannover-Burgdorf nennt Prokop eine „zukunftsfähige Alternativlösung“ zu Ortega. Er bescheinigt ihm die Fähigkeit, junge Spieler weiterzuentwickeln und bestens zur Vereinsphilosophie der „Recken“ zu passen.

Der Klub wird seit Jahren für seine gute Nachwuchsarbeit gelobt. Sie kompensiert im Wettstreit mit der zahlungskräftigen Elite, dass Hannover nicht immer nur teure Profis auf Erstliga-Niveau einkaufen, sondern sie auch selbst entwickeln muss.

Einen ihm aus der Nationalmannschaft bekannten Spieler wird Prokop in Hannover vermissen. Mit Timo Kastening, bei den „Recken“ vom Talent zum Profi ausgebildet und 2020 zum Erstligarivalen MT Melsungen gewechselt, verbindet ihn eine kuriose Anekdote. Europameisterschaft 2020: Der Bundestrainer Prokop will dem Außenspieler Kastening während einer Auszeit eine taktische Anweisung geben. Er hat allerdings seinen Namen vergessen und fragt laut hörbar für Millionen von Fernsehzuschauern: „Wie heißt Du?“

Dieser Fauxpas war nicht imagefördernd und wird Prokop noch eine Weile begleiten. Ihm ist zu wünschen, dass darüber bald genauso herzlich gelacht wird wie über das „Listen“ von Señor Ortega.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!