Hamburgs Grüne wollen mit CDU sondieren: Schmerzen in Bauch und Seele
Die einen fürchten eine "grün lackierte FDP", die anderen, in der Opposition ständig "von der Linken überboten" zu werden. Wie Hamburgs Grüne sich der CDU gedanklich annähern.
HAMBURG taz Enttäuschung ist eine Position, die sich politisch nicht dauerhaft durchhalten lässt. Bei den Hamburger Grünen währt sie genau vier Tage. Dann, am Donnerstag abend um 22.32 Uhr, ist die Wahlniederlage vom Sonntag verdaut und der Weg frei für ein Sondierungsgespräch mit der CDU. Die Versammlungsleiterin in der überfüllten Aula der Max-Brauer-Schule im Stadtteil Altona spart sich die Mühe, die hochgereckten Stimmkarten einzeln zu zählen.
Sicher 240 der versammelten 300 Mitglieder sind jetzt dafür, dass Hamburgs Spitzenkandidatin Christa Goetsch, die Landesvorsitzende Anja Hajduk und ihr Stellvertreter Jens Kerstan nächsten Mittwoch mit der CDU ausloten sollen: Reicht es trotz der inhaltlichen Differenzen zwischen Grünen und Schwarzen für ernsthafte Verhandlungen um ein Regierungsbündnis? "Antrag angenommen mit großer Mehrheit", verkündet die Stimmenzählerin. In ihrem Rücken hängt wie zur Untermauerung der Botschaft des Abends der Schriftzug "Kreative Stadt" - auf grünem Transparent vor tiefschwarzem Bühnenvorhang. Im Saal werden Stühle gerückt, gähnend gehen die ersten nach Hause.
Selten fiel die Debatte um ein so emotional gehandeltes Thema derart blutleer aus: Ein Bündnis ausgerechnet mit Ole von Beust? Dem CDU-Mann, der sich einst von dem Rechtspopulisten Roland Schill ins Amt heben ließ. Der Sozialstrukturen zerschlug, Migranten- und Frauenprojekte zu Tode sparte, Strafvollzug und Polizeigesetz verschärfte, Gefahrenabwehr zur Prävention deklarierte. Den die Grünen deswegen seit sieben Jahren aus dem Bürgermeisteramt jagen wollen. Und was tut diese Basis? Versichert sich dreieinhalb Stunden lang, unter Vermeidung jeglicher Intonation und zumeist vom Zettel abgelesen, gegenseitig ihrer "Bauchschmerzen", ihrer "schmerzenden Seele", ihrer "Skepsis".
Um sodann ein Gespräch mit von Beust abzunicken. Als gehe es hier nicht um mehr, einen Tabubruch nämlich, oder, um es freundlicher zu formulieren: um den Beginn einer neuen Ära für die Grünen. Schwarz-Grün in Hamburg wäre ein Experiment, das weit über die Hansestadt hinaus Bedeutung hätte. "Wohin gehen wir", bangt am Saalmikrofon eine Frau mit grauem Haar.
Miteinander sprechen, so trösten sich einige, heiße nicht, tatsächlich zusammen zu regieren. Auch wenn viele bereits ahnen, was Holger Gundlach vom Kreisverband Wandsbek so beschreibt: "Sondierungsgespräche sind bloß der erste Schritt einer Salamitaktik hin zu Schwarz-Grün."
Jetzt muss die grüne Spitze eingreifen. Es war ihre Idee, den Fahrplan zur Macht so zu gestalten, dass die Basis jeden Schritt in einer gesonderten Mitgliederversammlung absegnen soll. Problemlösung durch Temporalisierung heißt das in Luhmanns Systemtheorie. Die Landeschefin und Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk im altrosa Samtjacket wiegelt ab: "Sich dem Angebot der CDU nicht zu stellen, wäre ein Ausdruck von Schwäche."
Die Basis schluckt es. "Was sollen wir denn in der Opposition", fragt die Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Blömeke. "Wir würden dort bloß ständig von der Linkspartei überholt, wir sagen Mindestlohn sechs Euro, die sagen 15 Euro!" Andere versuchen, sich Schwarz-Grün mit Sarkasmus schönzureden. "Eine Partei, die in Nordrhein-Westfalen mit dem SPD-Mann Clement regiert hat, der sich später an einen Energiekonzern verkaufte, kann in Hamburg auch mit Ole von Beust regieren", lacht der Abgeordnete Jens Kerstan. Die Altonaerin Dorothee Freudenberg ruft: "Unter Rot-Grün haben wir dem Brechmitteleinsatz zugestimmt." Aus dem Saal schallt es: "Das Mühlenberger Loch zugeschüttet!" Und dann: "Kosovokrieg!"
Erwartungen an einen wirklichen Aufbruch unter grüner Regierungsbeteiligung, wie es sie 1997 bei der ersten rot-grünen Koalition in Hamburg gab, hat längst keiner mehr. Heute geht es um bescheidene politische Korrekturen sowie die Frage, ob und wie groß der Schaden einer schwarz-grünen Regierungsbeteiligung für das nächste grüne Wahlergebnis wäre. Und diejenigen, die solches Kalkül anwidert, sind in der Minderheit.
Die Bezirkspolitikerin Liesing Lühr aus Hamburg-Bergedorf, eine Urgrüne, deren Überzeugungskraft im Wahlkampf die Partei viele Stimmen verdankt, wird ausgelacht. Mit brüchiger Stimme erklärt sie: "Ich sehe keine Übereinkunftsmöglichkeit mit der CDU." Während sie spricht, verlässt der Bundesvorsitzende Reinhard Bütikofer, der aus Berlin angereist ist, den Saal. Draußen warten Fernsehkameras.
Als dann eine weitere Basisgrüne namens Ulrike sich traut, ihre Parteifreunde als "grün lackierte FDP" zu bezeichnen und schüchtern androht, sich bei den Wählern zu entschuldigen, sollte es zu einer schwarz-grünen Regierung kommen, ertönen Buhrufe. Willfried Maier, der einstige Stadtentwicklungssenator, kanzelt den Einwand mit der Bemerkung ab: "Selten war unsere Position strategisch so günstig." Der Landesvorständler Helmut Deecke mahnt: "Wir können Inhalte ohne Macht nicht durchsetzen." Martin Schmidt, der Elder Statesman der Hamburger Grünen, ist genervt: "Man muss nach einer Wahl nur bewerten, was man tut mit seinen Stimmen."
Auch Krista Sager in der ersten Promi-Reihe guckt ungeduldig. Moralische Bedenken, Glaubwürdigkeitsverlust, drohende Parteiaustritte - die einstige Zweite Bürgermeisterin und heutige Bundesfraktionsvizechefin mag es nicht mehr hören. Sie ist der Basis schon so viele Schritte voraus: "Wenn wir nach Hause gehen und auf die Große Koalition warten, würden die Wähler doch sagen, ihr habt doch wohl nen Knall, ihr seid zu doof für Politik!" Die SPD, erinnert sie, habe kein Problem damit, im Bund mit der CDU zu koalieren, in Rheinland-Pfalz mit der FDP, in Bremen mit den Grünen und in Berlin mit den Linken. "Sollen wir Grünen also", fragt sie spitz, "in der Opposition bleiben und auf Godot warten?"
Damit es nicht so kommt, hat die Grünenspitze die Hamburger Mitglieder bereits für nächsten Donnerstag wieder einbestellt. Offizielle Koalitionsgespräche sollen dann abgesegnet, pardon: beraten werden. "Viele", sagt Sager am Ende ihrer Rede, "haben die Schnauze voll von ritualisierter Politik". Sie selbst offenbar am meisten.
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